Nach archäologischen Funden in Bad Oeynhausen werden die Ausgrabungen ausgeweitet

Bad Oeynhausen. Die Scherbe ist etwa so groß wie ein Daumennagel. Sven Spiong hält sie auf Höhe seines Kopfes und gibt der Scherbe ein Gesicht. Der Archäologe vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat die Probegrabung unter der künftigen Straße ins Neubaugebiet unweit von Dorfkirche und Friedhof in Volmerdingsen veranlasst. Erst gab's nur einen Verdacht, dann entdeckten die Archäologen die Scherben und nun gibt's Gewissheit: Unterm Acker haben die Experten Überreste einer mittelalterlichen Hofstelle entdeckt. Im Frühjahr soll die Ackerkrume auf weiteren 1.000 Quadratmetern Fläche Richtung Westen abgetragen und nach weiteren Überresten gesucht werden. Spiong ist ziemlich sicher, dass bei der Grabung weitere Hinterlassenschaften aus dem Mittelalter ans Tageslicht kommen werden. "Die Stelle ist prädestiniert für Besiedlung im Mittelalter", sagt der Archäologe. Der Acker befindet sich auf einer Hochterrasse, der Ackerboden ist durch das nahe Wiehengebirge reich an Nährstoffen. "Das ist schöner Lehmboden mit Ackerkrume", sagt Spiong. Perfekt für mittelalterlichen Hausbau. Gegenwärtige Häuslebauer müssen allerdings erst abwarten, bis die Archäologen die Überreste der Vergangenheit gesichtet und gesichert haben. Die LWL-Außenstelle Bielefeld will die Funde aus dem Acker ausgraben und dokumentieren. "Wir sind dafür da, dass nichts verloren geht", sagt Spiong. Das Bodendenkmal wird damit für die Zukunft gesichert, ist aber danach nicht mehr an Ort und Stelle, sondern steht in säurefreien Kartons und Plastiktütchen verpackt im Archiv. Das ist die gute Nachricht für die Bauwilligen und die Eigentümerin des Grundstücks, eine Immobiliengesellschaft der Sparkasse. Das 12. Jahrhundert war die Blütezeit der Stadtgründungen Allerdings ist auch möglich, dass unterm Acker weitere Spuren aus einer ganz anderen Vergangenheit gefunden werden. Spiong hält das nicht für ausgeschlossen, aber nicht für wahrscheinlich. "Die Scherben stammen aus dem 12. Jahrhundert", sagt er. Das war keine Krisen-, sondern eine Blütezeit der Urbanisierung. Überall im Herzogtum Sachsen wurden Städte gegründet. Minden wurde befestigt, in Herford verwuchs der Handelsort Radewig mit dem Damenstift zu einer Stadt. Und in Volmerdingsen? Womöglich standen dort ein bis drei Höfe in dem Siedlungsgebiet nahe der Dorfkirche. Dazu noch ein paar Nebengebäude. Mehr nicht. Die Besiedlung Volmerdingsens im 12. Jahrhundert war übersichtlich. Ein ganzes Dorf werden die Archäologen unterm Acker eher nicht finden, so Spiong. Die archäologische Fachfirma, die im Auftrag des LWL den Probeschnitt in der Landschaft untersucht hat, hat aber drei mächtige Löcher im Lehmboden gefunden, in denen vermutlich die Hauptpfosten der kurzen Seite eines Langgebäudes standen. Dieses Langgebäude muss man sich als eine Art Mehrgenerationenhaus auf 50 mal 30 Metern Fläche vorstellen. Es war in West-Ost-Richtung gebaut, so dass es dem Wind wenig Angriffsfläche bot. Unterm Dach des Hofes lebten vermutlich drei Generationen. Vieh wurde im 12. Jahrhundert meist in Stallungen gehalten. Die Menschen stellten in dem Gebäude aber alles unter, was nicht nass werden durfte, also beispielsweise Werkzeuge und Lebensmittel. Der Wohnraum war also weniger üppig, als man das anhand der Gebäudeausmaße vermuten könnte. Der Zwischenboden diente als Speicher. Das Dach war meist mit Holzschindeln bedeckt, selten auch mit Stroh. Wenn die Hofstelle freigelegt ist, kann die Siedlungsgeschichte fortgesetzt werden Die natürlichen Baustoffe sind auch der Hauptgrund dafür, dass von dem mittelalterlichen Hof fast nichts mehr da ist. "Alles, was übrig bleibt, sind die Löcher im Boden", sagt Spiong. Und die Scherben. So ein Langhaus hat nach Erkenntnissen der praktischen Archäologie eine Lebensdauer von etwa 70 Jahren. Dann sind die tragenden Holzpfosten im Lehmboden meist morsch. Möglich, dass die damaligen Eigentümer ihr Haus auch saniert haben. Wahrscheinlich aber haben sie an anderer Stelle ein neues Langhaus gebaut. Womöglich sogar direkt daneben? Oder auf der Ruine des alten Hauses? Auch das ist vorgekommen. "Wir haben in der Region auch schon siebenphasige Hofstellen gefunden", sagt Spiong. Die Menschen in der Region waren also nicht nur sesshaft, sie klebten geradezu an ihrer Scholle. Die Ausgrabung soll das Neubaugebiet aber nicht blockieren. Der Großteil des Ackers bleibt, wie er ist. Die 1.000 Quadratmeter von der Fundstelle Richtung Westen sollen aber genau untersucht werden. "Wenn man weiß, was kommt, geht's schneller", sagt Spiong. Und diese Gewissheit zieht der Archäologe aus den Scherben. Experten des LWL haben die daumennagelgroße Scherbe als Teil eines Tongefäßes identifiziert, das eine Art Allzwecktopf im mittelalterlichen Haushalt war. Darin wurden Speisen und Flüssigkeiten eingeweckt und mit einem Holzdeckel verschlossen. Der Topf wurde aber auch direkt auf die Feuerstelle gestellt, um darin zu kochen. Die Scherbe passt zu ähnlichen Gefäßen, die der LWL bereits sicher ins 12. Jahrhundert datiert hat. Das Gefäß wurde nicht auf einer Drehscheibe getöpfert, sondern von Hand geformt. Der Ton ist gröber, nicht so fein. Drehscheiben-Keramik aus dieser Region ist meist deutlich jünger. "Mir geht 's aber nicht um Scherben", betont Spiong: "Ich möchte den kompletten Grundriss des Hauses erwischen." Im April soll die nächste Grabung beginnen. Wenn die Hofstelle freigelegt und gesichert ist, kann die Siedlungsgeschichte in Volmerdingsen fortgesetzt werden.

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