Sensationsfund im Kreis Gütersloh: Stadtgeschichte muss neu geschrieben werden

Rietberg. Die Funde in der Baugrube an der Straße Klingenhagen sehen unscheinbar aus: Scherben eines Kruges, verschiedene Holzreste, das Obermaterial eines Lederschuhs. In Laienaugen sieht das unbedeutend aus, doch den Archäologen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) erzählen diese Funde eine ganze Menge. Man kann sogar von einer Sensation sprechen. Denn nun gibt es Gewissheit: Die Gründungsgeschichte der Stadt Rietberg muss neu geschrieben werden. &bdquo;Bislang ging man davon aus, dass die Stadt ab dem Jahr 1240 beiderseits der heutigen Rügenstraße gegründet wurde und sich erst über die Jahrhunderte das heutige Altstadtgebiet entwickelte“, berichtet Sven Spiong, Leiter der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen. &bdquo;Doch nun wissen wir sicher, dass Rietberg bereits Mitte des 13. Jahrhunderts als Stadtsiedlung geplant war und von Anfang an großflächig bebaut wurde.“ Spiong betont die Bedeutung dieser Ausgrabungen: &bdquo;Diese neu gewonnenen Kenntnisse zeigen, wie wichtig diese Grabung ist. Ein Historiker hätte dazu keine Aussage machen können, denn es gibt keine schriftlichen Zeugnisse darüber. Dazu braucht es die Archäologie.“ Lesen Sie auch: Schatz im Kreis Gütersloh? Archäologen machen einzigartigen Fund Keramikfunde weisen auf die Erstbesiedlung Mitte des 13. Jahrhunderts hin Erste Hinweise für die These einer geplanten Besiedlung gab es bereits vor drei Jahren, als in der Sennstraße gegraben wurde und um das Jahr 1250 gefällte Bäume als Rohmaterial für die ältesten Brunnen identifiziert wurden. Doch erst mit der neuen Entdeckung herrscht Sicherheit, dass der damalige Burgherr das Stadtgebiet um die damalige Hauptstraße, der heutigen Rügenstraße, planvoll besiedeln ließ. Dabei wurde auch nicht auf die örtlichen Bedingungen Rücksicht genommen. &bdquo;Den Neubürgern wurden hier Grundstücke zugeteilt, die zum Wohnen eher ungünstig waren“, sagt Sven Spiong. Noch heute ist an flächigen schwarzen, torfartigen Sedimentschichten abzulesen, dass die Menschen hier in einer Senke lebten, die sicherlich oft von der Ems überflutet wurde. &bdquo;So mussten die Schwellen der Fachwerkhäuser teilweise auf Pfosten gelegt werden, die bis tief in den Sand reichten“, ergänzt Grabungsleiterin Marianne Moser. Moser weist auf die Überreste der Holzschwellen im Boden hin. Sorgfältig ausgegraben, stehen manche zur Stützung des Hauses angeschrägt in Löchern, die mit Grundwasser gefüllt sind. Genauere Untersuchungen zur Bestimmung des Alters dieser Holzbalken stehen noch aus. Immerhin weisen Keramikfunde auf die erste Besiedlung um die Mitte des 13. Jahrhunderts hin. &bdquo;Sie stammen aus dem Töpfereizentrum Siegburg und liefern uns den ersten sicheren Anhaltspunkt für diese frühe Datierung.“ Manche Funde im Kreis Gütersloh geben noch Rätsel auf Auch sind gut erhaltene Reste von Holzfässern sowie der freigelegte Boden einer Holzkonstruktion im Erdreich zu sehen. Noch rätseln Moser und Spiong, was es damit auf sich hat und welche Gewerke an diesem Standort tätig waren. &bdquo;Das werden wir hoffentlich noch in der nächsten Zeit herausbekommen“, gibt sich die Ausgrabungsleiterin zuversichtlich. Klar ist: Südlich des Klingenhagens verlief der Wall der Stadtbefestigung, der nicht nur feindliche Angreifer draußen halten, sondern auch vor Hochwasser schützen sollte. Zu Anfang verlief auf der anderen Seite ein Graben, der auch wohl Brauchwasser führte - noch ist unbekannt, zu welchem Zweck. Keramikfunde belegen, dass er bereits im 14. Jahrhundert wieder verfüllt wurde. Dahinter befanden sich Wohnhäuser. Der Graben wurde weiter genutzt, was zwei gefundene Gaubenfässer belegen. Aus einem dieser Fässer konnte sogar ein gut erhaltenes Oberleder eines mittelalterlichen Schuhs gefunden werden. Marianne Moser hat aber auch noch mehr aus ihren verschließbaren Plastikbeutelchen zu präsentieren. Neben verschiedenen Scherben und dem Unterkiefer eines Schweines hält sie auch ein kaputtes Köpfchen einer Tonpfeife in ihren Händen. Dieses datiert sie auf die Zeit nach der Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus und der Einfuhr des Tabaks. Funde aus dem Kreis Gütersloh werden im Museum archiviert Und was passiert nun mit den Grabungsfunden? &bdquo;Die sind Eigentum des Landes Nordrhein-Westfalen und werden vom LWL verwaltet und verwahrt, um der wissenschaftlichen Forschung zu dienen“, klärt Sven Spiong auf. Der Lederschuhe beispielsweise müsse unter besonderen klimatischen Bedingungen archiviert werden. Ob einzelne Stücke später in Rietberg oder im LWL-Museum gezeigt werden können, ist noch nicht sicher. &bdquo;Wir hätten das passende Museum dafür hier“, meldet Frank Jungeilges von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Rietberg schon mal Interesse an. Die Grabungsarbeiten laufen bereits seit einigen Wochen und gehen, obwohl sehr vorsichtig mit kleinen Handschüppchen gearbeitet wird, gut voran. &bdquo;Bisher hatten wir Glück mit dem Wetter“, sagt Grabungstechniker Udo Granzin. In Paderborn hätte ein Unwetter vor Kurzem eine Grabungsfläche überflutet, erzählt er. Das Ergebnis ist ein archäologischer Totalschaden. Am Klingenhagen werden die Ausgrabungen wohl noch &bdquo;einige Wochen“ andauern, wie Marianne Moser schätzt. Das hänge auch davon ab, wie viele Mitarbeiter eingesetzt werden könnten. Zurzeit schwankt die Zahl zwischen vier und fünf Experten, die mit ihren Schäufelchen zugange sind und dabei achten, dass keine Entdeckung beim Ausgraben zerstört wird. Grabungsarbeiten müssen vom Eigentümer bezahlt werden Bezahlt werden sie, so will es die Denkmalschutz-Gesetzgebung, vom Grundstückseigentümer. In diesem Fall ist das Stefan Krähenhorst. Der Bauunternehmer spricht von einem fünfstelligen Betrag, der ihn dieser Einsatz kostet. Doch als Investor wusste Krähenhorst, dass in der historischen Altstadt zunächst der Denkmalschutz das Sagen hat, bevor es endlich losgehen kann mit den Bauarbeiten. Lesen Sie auch: Überraschende Fundstücke bei Bauarbeiten im Kreis Gütersloh entdeckt Denn Krähenhorst will entlang des Klingenhagens eine Reihe von &bdquo;Giebelhäusern“ mit zwölf Wohneinheiten bauen, zwischen 63 und 91 Quadratmetern groß. Im hinteren Bereich, zur Rügenstraße gelegen, kommt noch ein Stadthaus mit 116 Quadratmetern hinzu. Zufällig habe er die ursprünglich drei Grundstücke erwerben und so zu einem fassen können. Von den zwölf Wohnungen sind nur noch drei verfügbar. Die Preise dafür liegen zwischen 327.000 und 348.500 Euro. Die alten Häuser, teilweise in Fachwerkbau, seien abgängig gewesen, sie wurden abgerissen. Ein Baggerfahrer des Unternehmens hat die Archäologen bei den ersten, gröberen Ausgrabungen unterstützt. &bdquo;Das ist eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Firma Krähenhorst“, lobt daher Marianne Moser. Für sie geht es danach an anderer Stelle in Rietberg weiter. Der Untergrund des kürzlich abgerissenen Pfarrheims wartet auf seine archäologische Untersuchung.

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