Extremismus-Experten: AfD war treibende Kraft der Coronaproteste im Mühlenkreis

Bad Oeynhausen. Beim Lichterspaziergang durch den Kurpark in Bad Oeynhausen läuft nur noch ein harter Kern mit, wenn sich denn überhaupt noch Menschen zum Coronaprotest aufraffen. Der Protestbewegung gegen die Corona-Einschränkungen ist die Luft ausgegangen. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) hat die Szene in der ganzen Region in den vergangenen zwei Jahren beobachtet und eine mehr als 100 Seiten starke Analyse mit dem Titel "Verstrickungen" vorgelegt. Für die Kreise Minden-Lübbecke und Herford kommen die Experten zu erstaunlich unterschiedlichen Ergebnissen und der Erkenntnis: Der Protest hat sich regional vernetzt und sucht ein neues Thema. Die AfD war nach Ansicht der Mobilen Beratung bis Sommer 2021 treibende Kraft hinter zahlreichen Coronaprotesten im Mühlenkreis. Die Kleinstpartei "Die Basis" dagegen findet in der Broschüre keine Erwähnung. Im Wittekindskreis Herford sind die Teilnehmerzahlen lange Zeit hinter denen anderer OWL-Städte zurückgeblieben. Coronademonstranten aus dem Wittekindkreis fuhren aber zu Demos in den Nachbarstädten. Ein Teil der Szene wurde vorübergehend stärker in Bünde aktiv. Schwerpunkte der Coronaproteste waren die größeren Städte in OWL. Im Mühlenkreis versammelte sich Coronaprotest vor allem in Espelkamp und Minden, bemerken die Autoren Jannik Kohl, Dario Schach, Kristina Speich und Hannah Herborn. Die Lichterspaziergänge durch den Kurpark in Bad Oeynhausen stehen nicht im Fokus der Autoren, eine Kundgebung auf dem Inowroclawplatz dagegen schon. Dort hat eine stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende aus dem Kreistag Lippe nach Ansicht der MBR-Experten im Mai 2021 Schlagworte der verschwörungsideologischen Szene verbreitet. Die Frau trug ein Banner mit der Aufschrift "Great Reset" ("Großer Neustart"). Das ist auf einem Facebook-Post des Mindener AfD-Landratskandidaten und ehemaligen Landtagsmitglied Thomas Röckemann vom 1. Mai zu sehen. Dazu schreiben die MBR-Autoren: "Der "Great Reset" ist eine in der extremen Rechten und bei Coronaleugnern beliebte antisemitische Verschwörungserzählung." Die üblichen Verdächtigen: Rechtsextremisten aus OWL Ausgerechnet zu diesem Schlagwort gibt es in der MBR-Broschüre trotz mehrerer Verweise im Text keine Erklärung im Glossar. Trotzdem lässt sich aus dem Zusammenhang erschließen, wie wichtig der Begriff für die Coronaleugnerszene ist. Die Szene behauptet unter diesem Schlagwort, dass eine angeblich heimliche Welt-Finanzelite eine neue Weltordnung etablieren will - durch einen "großen Neustart". Tatsächlich hat Klaus Schwab, Organisator des World Economic Forums in Davos, den Begriff "Great Reset" in aller Öffentlichkeit für einen Buchtitel verwendet, aber ganz anders gemeint: Schwab forderte 2021 einen "großen Umbruch" der Politik nach der Coronakrise, um die Welt weniger zerstörerisch, integrativer, gerechter und fairer zu machen als vor der Pandemie. Laut Analyse der Mobilen Beratung versteht sich die Coronaleugnerszene selbst als Mitte der Gesellschaft, bewegt sich jedoch am rechten Rand. Zugleich suchen zahlreiche bekannte Rechtsextremisten den Kontakt und sind in den vergangenen zwei Jahren bei den Coronaprotesten aktiv gewesen. Die MBR-Analyse nennt Anhänger der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck aus Vlotho, der völkischen Szene, der Reichsbürgerszene, der Identitären Bewegung und der Jungen Alternativen. Für ihre umfassende Analyse der Coronaproteste haben Mitarbeiter der Mobilen Beratung 115 öffentliche Telegram-Kanäle eingesehen und über 500 Protestveranstaltungen besucht. Die MBR greift außerdem auf zahlreiche Presseberichte aus der Region sowie eine Datensammlung des anonymen "Recherche Kollektiv Ostwestfalen" zurück. Die Coronazeit wird von den Autoren als eine Art Katalysator für Rechtsextremismus beschrieben. Wer sich zuvor als unpolitisch bezeichnete, wurde durch die Coronaproteste politisiert. Vor allem über den Handy-Dienst Telegram sind in den vergangenen zwei Jahren nach Beobachtungen der MBR menschenfeindliche Inhalte immer wieder geteilt und weiterverbreitet worden. Der Dienst hat in der Szene dafür gesorgt, dass sich Gleichgesinnte vernetzen konnten. Dort gab es kaum Widerspruch für wildeste Verschwörungserzählungen und zugleich ihre massenhafte Verbreitung. Die Autoren sind überzeugt: Telegram war der Ort, an dem die Kundgebungen organisiert wurden. Russlands Angriffskrieg: Wiederkehr der Verschwörungserzählungen Auf den Demonstrationen in den Großstädten waren die Ergebnisse dieser Telegram-Vernetzung zu beobachten. Coronaleugner besuchten sich wechselseitig auf Demonstrationen und Lichterspaziergängen in den Nachbarstädten, vor allem aber in den großen Städten Bielefeld, Gütersloh, Detmold und Paderborn. Auch wenn Lichterspaziergänge - wie in Bad Oeynhausen - kaum noch wahrnehmbar sind, ist die Szene nach Analyse der Mobilen Beratung weiterhin aktiv. Die Bewegung hat mit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine längst ein neues Thema gefunden, um Stimmung zu machen. Mit ähnlichen Methoden und Schlagworten wie zur Coronakrise. "Die Themen ändern sich", sagt Jannik Kohl: "Die Verschwörungserzählungen bleiben aber die gleichen." Die Broschüre "Verstrickungen" ist auf Anfrage auf Papier bei der MBR OWL erhältlich, steht aber auch kostenlos digital auf der Homepage bereit (www.mbr-owl.de/material).Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus OWL (MBR OWL) berät Menschen, die sich in der Region mit Rechtsextremismus oder Rassismus auseinandersetzen wollen oder müssen. Die Arbeit der MBR OWL ist für Beratungsnehmende kostenlos. Die MBR OWL wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW bezahlt.

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