Kiesabbau: Das sind die Chancen und Risiken des Beweisverfahrens

Bad Oeynhausen. Die Stadt Bad Oeynhausen wagt den Weg in einen juristisch höchst ungewöhnlichen Prozess. Sie strebt ein "selbstständiges Beweisverfahren" zum Kiesabbau am Deesberg in Rehme an. Einstimmig und ohne Enthaltung hat der Hauptausschuss die Verwaltung dazu am Mittwochabend ermächtigt. "Wir werden nun den Antrag beim Verwaltungsgericht in Minden so schnell wie möglich auf den Weg bringen", sagte Bürgermeister Lars Bökenkröger der NW. "Unser Anwalt ist ja gut im Thema."Thomas Tyczewski heißt der Fachanwalt für Verwaltungsrecht, der die Stadt in dieser Sache vertritt und der im Hauptausschuss über den Weg ins Verfahren und dessen Chancen und Risiken informierte. "Ein solches selbstständiges Beweisverfahren, das früher Beweissicherungsverfahren hieß, ist selbst für Juristen höchst ungewöhnlich", sagte Tyczewski. In den 20 Jahren, in denen er selbst Verwaltungsrichter war, sei ihm solch ein Verfahren gar nicht begegnet, in seiner Zeit als Anwalt nur einmal. Und doch riet der Anwalt der Stadt, diesen Weg zu gehen - auch angesichts der Alternativen.Erhöhte Werte gleich in der ersten Probe Es ist der zweite Gang der Stadt vor Gericht in Sachen Kiesabbau. Sie hatte schon gegen den 2018 ergangenen Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung in Detmold geklagt, war damit in erster Instanz in Minden aber gescheitert und hatte sich dann auf einen Vergleichsvorschlag des Oberverwaltungsgerichts Münster eingelassen. Der räumt Bad Oeynhausen eigene Kontrollen des Wassers im Baggersee am Deesberg ein. Und gleich die erste Probe, entnommen im September 2021, wies erhöhte Werte im Mineralgehalt auf - vor allem bei der Salzkonzentration.Das Dilemma, das auch Tyczewski noch einmal skizzierte: Es gibt zwei gegensätzliche Fachmeinungen dazu, wie diese Werte zu werten sind. Der Gutachter der Stadt, das Büro Leichtle, kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich Wasser der Solequellen sei, das nun aus dem Untergrund in den Kiesteich ströme. Die Reese-Gruppe, Betreiber des Kieswerks, beauftragte daraufhin nach Aufforderung durch die Bezirksregierung das Büro Schmidt, ein Gutachten zu erstellen. Und das kam zu dem Schluss, dass die Mineralienwerte durch &bdquo;aufsteigendes Tiefenwasser“ zu erklären seien, was als natürliches Phänomen einzustufen sei. Endgültige Klärung könnte nun ein unabhängiger, vom Gericht bestellter Gutachter in die Sache bringen."Das Problem ist, dass es noch keinen Schaden gibt" Schritt eins dazu ist der Antrag der Stadt auf das Beweisverfahren. Den aber muss das Verwaltungsgericht erst einmal akzeptieren. Zulässig sei dies, wenn die Stadt ihr rechtliches Interesse darlegen könne, dass mit einem Gutachten die Ursache eines Schades festgestellt werden könne. "Das Problem ist, dass es diesen Schaden so noch nicht gibt", sagte Tyczewski. Andererseits aber wäre es zu spät, wenn es erst einen Schaden an Heilquellen oder den Trinkwasserbrunnen der Stadtwerke in Rehme zu beklagen gäbe. Lehnt das Verwaltungsgericht das Beweisverfahren ab, wäre das natürlich nicht im Sinne der Stadt. Aber es wären auch noch keine großen Kosten entstanden. Denn die - von der Stadt auf 100.000 Euro geschätzt - entstünden zu ganz wesentlichen Teilen durch das aufwendige Gutachten. Dazu kämen Anwalts- und Gerichtskosten. Außerdem könnte die Stadt gegen die Ablehnung des Verfahrens Beschwerde in Münster einlegen.Akzeptiert Minden das Verfahren, dann würde das Verwaltungsgericht selbst den Gutachter bestellen. "Es ist aber durchaus empfehlenswert, dass die Stadt einen Gutachter vorschlägt", sagte der Anwalt. Liegt das Gutachten vor, das die unterirdischen Wasserströme in einem Modell beschreiben soll, ist es unanfechtbar. Danach gibt es zwei Möglichkeiten: Das Gericht kann es einfach bei dem Gutachten belassen oder einen Erörterungstermin mit allen Beteiligten - also auch der Bezirksregierung und dem Kiesabbauunternehmen Reese - anberaumen, mit dem Ziel, zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Die könnte zum Beispiel in einer Änderung des Planfeststellungsbeschlusses bestehen. "Je nach dem Ergebnis könnte so auch ein Rechtsstreit mit der Bezirksregierung vermieden werden", stellte Tyczewski in Aussicht."Der politische Schaden wäre enorm" Fünf bis sechs Monate kalkuliert der Anwalt für das Verfahren. Zwei bis drei Monate bis zur Entscheidung, ob das Gericht das Verfahren überhaupt annimmt, drei Monate fürs Gutachten. Eine grobe Schätzung, da es - wie gesagt - kaum Erfahrungen mit solchen Beweisverfahren gibt. Die Alternativen sind offenbar bescheiden. Die Stadt könne ohne Beweisverfahren selbst ein weiteres Gutachten in Auftrag geben, so der Anwalt. Das aber stünde wieder im Verdacht, nicht unabhängig, sondern parteiisch zu sein, und hätte keine Beweiskraft. Und die Stadt könnte auch einfach: nichts tun. "Wenn dann aber in fünf, sechs, sieben Jahren tatsächlich ein Schaden an den Heilquellen oder der Trinkwasserversorgung aufträte, dann wäre der politische Schaden enorm", warnte Tyczewski. Auch dieses Argument mag zu dem einstimmigen Beschluss des Hauptausschusses beigetragen haben, dass die Stadt das Beweisverfahren in Minden beantragen soll.

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