Hilfe durch die Polizei: Sechsköpfige Familie flieht nach Bad Oeynhausen

Bad Oeynhausen. Nein, seinen vier kleinen Kindern hat Sergej (Name von der Redaktion geändert) nur das Nötigste erzählt. "Wir haben ihnen gesagt, dass wir an einen sicheren Ort fahren", sagt der 30-Jährige. Den hatten seine Frau (26) und er mit den vier Söhnen nach vier Tagen Fahrt erreicht. Seit Freitag wohnen sie auf Zeit bei Andreas Redikop. Er hatte - wie viele andere aus der Baptistenbrüdergemeinde in Dehme - Wohnraum frei und war bereit, vertriebene Menschen aus der Ukraine aufzunehmen. "Weil Krieg nicht von Gott gewollt ist", sagt er. "Krieg ist etwas Unbegreifliches. Ist Not, Leid, Kummer und Menschenzerstörendes." Somit sei der Gemeinde klar gewesen, dass sie helfen wollten, als sie von der Masse an Flüchtlingen hörten. Ganz aus dem Osten des Landes, aus der Region Charkiw, machte sich Sergej auf den Weg. Weil er Angst hat und nicht weiß, in was für ein Land er einmal zurückkehren wird, möchte er nicht mit Namen und Foto in der Zeitung stehen. Denn er will zurück. Zurück in seine Heimat. Die er aber erst einmal auf unbestimmte Zeit verlassen hat. "Wir wollten eigentlich für einige Tage meine Eltern besuchen", erzählt der 30-Jährige. Da sei die Lage schon sehr angespannt gewesen. Über Nacht kam dann der russische Angriff. "Sie haben begonnen zu schießen, zu bombardieren - da sind wir einfach weiter nach Westen gefahren, gar nicht mehr nach Hause, haben alles liegen gelassen." Dabei wollte das Ehepaar gar nicht weg. Wollte weiter in der Ukraine arbeiten und leben. "Aber es wurde so unsicher. Und wir haben vier kleine Kinder - die sollten in Sicherheit sein", sagt Sergej. Die vier Jungs zwischen anderthalb und sechs Jahren, sind auch der Grund, warum der 30-Jährige überhaupt aus der Ukraine ausreisen durfte. "Männer zwischen 18 und 60 müssen im Land bleiben. Für alle mit vier Kindern und mehr gibt es Sondergenehmigungen." Baujahr 1976 mit Sowjet-Kennzeichen Und so fuhr Sergej und fuhr. Immer gen Westen. "Wir hatten Freunde in der Westukraine", sagt Sergej. Und die wiederum hatten Kontakt nach Löhne. Gemeinsam machten sich die drei Familien in drei Autos auf den Weg zur polnisch-ukrainischen Grenze. Sergej in seinem Auto, Baujahr 1976, mit altem Sowjet-Kennzeichen. An der Grenze aber war Schluss. "Das Auto war für Europa nicht zulässig", erfuhr der junge Mann. Was nun? Zwei Autos der Freunde waren noch da, also stiegen alle um. 20 Mann, zwei Autos. Weiter ging's. "Sehr langsam", berichtet Sergej seien sie gefahren. Schließlich waren die Autos heillos überladen. Was vermutlich auch der Grund war, warum sie letztlich von der deutschen Polizei rausgewunken wurden. "Wir hatten gar nicht gemerkt, dass wir schon in Deutschland waren. Es gab ja gar keine Grenzkontrollen", sagt Sergej erstaunt, der ein freies Europa und freies Reisen bisher nicht kannte. Bei der Polizei sorgten die zehn Leute, die aus jedem Auto purzelten, für Erstaunen. Aber offenbar auch für Verständnis: "Sie haben uns durchgecheckt und gute Fahrt gewünscht."Sergej ist immer noch überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Menschen. "Schon in Polen sind wir so gut versorgt worden. Warme Suppe, Mandarinen, Gebäck, ein Lunchpaket für die Weiterfahrt und sogar Süßigkeiten für die Kinder", sagt er dankbar. Und auch für Andreas Redikop und Familie zeigt Sergej den Daumen hoch. "Aufgehoben wie im Restaurant", sagt er. "Wir werden so toll versorgt." Auch vom Rest der Gemeinde. In den gesammelten Hilfsgütern, die eigentlich an ein Kinderheim in der Ukraine gehen sollten, fanden sich Kleidung und Spielzeug für die Familie, Gemeindemitglieder bringen Lebensmittel oder sprechen Essenseinladungen aus. "Er ist als Christ auf Hilfe geprägt - jetzt bekommt er selbst Hilfe und schätzt das", hat Andreas Redikop erfahren. "Aber Hilfe kennt keine Grenzen. Unsere Hilfe ist nicht auf Christen begrenzt."Hilferuf aus der Ukraine Seit Jahren unterstützt die Baptistenbrüdergemeinde ein Kinderheim in der Ostukraine - mit Spenden und Hilfstransporten. "Wir haben die Bilder aus der Ukraine gesehen und uns entschlossen, zu helfen", erzählt Andreas Redikop. Als der Hilferuf vom Kinderheim kam, standen die Dehmer mit Fahrzeugen bereit, die Kinder, Betreuer und deren Familien an der Grenze einzusammeln. "Wir hatten eine Liste fertig, wer wie viel Personen aufnehmen kann. Es gab eine hohe Bereitschaft in der Gemeinde", sagt Redikop, der selbst 1988 aus Kasachstan nach Deutschland kam. Die Liste war fertig, doch vorerst hingen die Kinderheimkinder an der Grenze fest. "Als dann der Anruf aus Löhne kam und die Frage, ob wir jemanden aufnahmen können, haben wir nicht gezögert", sagt Redikop. Und so stellt er der sechsköpfigen Familie sein Souterrain zur Verfügung. "Wir haben selbst zwölf Kinder und für die alles ausgebaut. Aber die sind groß und ausgezogen. Also ist Platz da." Außerdem möchte Andreas Redikop die gute Aufnahme, die einst seiner Familie in Bad Oeynhausen zu Teil wurde, weitergeben.Gelegenheit zu helfen, hat die Gemeinde weiterhin: Während des Interviews erreichte die Verantwortlichen ein Anruf aus der Ukraine. Die 116 Kinder und Betreuer aus dem Kinderheim dürfen doch ausreisen. Und werden nun mit Bullis und Fahrern aus Dehme bei ihrer Weiterfahrt von Moldawien nach Bad Oeynhausen unterstützt. "Wir werden etwas Gepäck übernehmen, bringen Fahrer mit und lotsen sie durch Deutschland - die kennen sich hier ja überhaupt nicht aus", erklärt Andreas Redikop junior, der sich mit auf den Weg macht. Die Behörden sind zu langsam Fürs erste hat auch die Familie von Sergej ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Eine Dauerlösung ist das allerdings nicht. "Die Sache mit den Behörden gestaltet sich schwierig", bemängelt Andreas Redikop, der für seine Gäste erst in zwei Wochen einen Termin zur Anmeldung bekommen hat. "Das ist doch viel zu spät", sagt er. "Die brauchen jetzt Hilfe." Zum Beispiel, um mit ihrem kleinen Jungen, der sich auf der Fahrt erkältet habe, zum Arzt zu können. Mit viel Zureden habe sich immerhin eine Apotheke gefunden, die ein Inhalationsgerät gespendet hätte. Solange der Krieg weitergeht, möchte Sergej nicht zurück. Aber danach. "Ich will, dass es schnell endet und wir wieder nach Hause können", sagt er. Noch aber sei das nicht möglich. "Wir können die Situation leider nicht ändern." Viele seiner Geschwister durften das Land nicht verlassen, werden kämpfen müssen. Weshalb der 30-Jährige ständig sein Handy in der Hand hat, telefoniert oder nach Nachrichten schaut. In seiner Heimat hat er die Sommermonate über ein Gewächshaus betrieben, hat Blumen und Gemüse verkauft. Im Winter, außerhalb der Saison, arbeitete der 30-Jährige im Trockenbau, machte Maler- oder Stuckarbeiten. "Ich möchte hier auch arbeiten, solange ich hier bin", betont er. "Ich möchte nicht auf Kosten anderer leben und möchte mich beschäftigen." Auch, um nicht immer an Zuhause denken zu müssen.

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