Klima- oder Naturschutz? So viel Fläche frisst die ICE-Trasse

Bad Oeynhausen. Zwei Eisenbahnstrecken und zwei Autobahnen zerlegen die Region ums Werretal in mehrere ungleiche Schollen. Eine weitere Trasse für superschnelle Züge zwischen Berlin und Bonn bedeutet in den Augen der Landwirte Flächenfraß und in den Augen der Naturschutzverbände Zerstörung. Die Verbände warnen, das Ravensberger Hügelland verinsele zusehends. Die Deutsche Bahn dagegen verweist immer wieder darauf, wie klimafreundlich und flächenschonend Schienenwege sind. Vor allem im Vergleich zum Straßenbau. Sticht der Klimaschutz den Naturschutz aus? Wer mit der Bahn reist, bläst am wenigsten schädliche Treibhausgase in die Luft. Das hat das Umweltbundesamt bei einem rechnerischen Vergleich der Verkehrsmittel für das Jahr 2019 herausgefunden. Ein Bahnfahrer setzt demnach je gefahrenen Kilometer 29 Gramm klimaschädlicher Treibhausgase frei. Ein Autofahrer 154 Gramm und ein Fluggast bei einem Inlandsflug sogar 214 Gramm. Das Projektteam für den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke &bdquo;Hannover-Bielefeld" stellt auch deshalb in öffentlichen Vorträgen immer wieder heraus: &bdquo;Die Bahn ist das klimafreundlichste Verkehrsmittel insbesondere für lange Strecken." Dieser Aussage würden wohl auch Naturschützer nicht widersprechen. 60 Meter Baustellenmoloch? Sie kritisieren jedoch den Flächenverbrauch einer neuen ICE-Trasse. Laut Pressemitteilung befürchtet die Naturschutzkonferenz OWL einen &bdquo;bis zu 60 Meter breiten Baustellenmoloch" auf einer rund 100 Kilometer langen Neubaustrecke. Angenommen, die ICE-Trasse würde wirklich so lang, bedeutet das einen Flächenverbrauch von rund sechs Millionen Quadratmetern oder 600 Hektar zwischen Hannover und Bielefeld. Doch stimmen die 60 Meter Breite? Die Bahnplaner selbst haben zuletzt nur von &bdquo;rund zwölf Metern Kronenbreite" bei gerader Strecke gesprochen. Mit Kronenbreite meint die Bahn die oberste Schotterschicht, Schwellen und Schienen, also nur die Spitze des Bahndammes. Auf Nachfrage präzisiert das Projektteam: &bdquo;Die Deutsche Bahn schreibt 12,10 Meter Kronenbreite für gerade zweigleisige Strecken vor, die mit über 200 Kilometern pro Stunde befahren werden." In Kurven oder mit Einbauten wie Lärmschutz sei die Kronenbreite dagegen größer. Angenommen die neue ICE-Trasse wäre 100 Kilometer Strecke lang, würde das einen Flächenverbrauch von 121 Hektar bedeuten. Die zwölf Meter Breite gelten aber nur für den Bereich der Trasse, den die Züge durchfahren. Was darunter an Boden durch schwere Maschinen aufgerissen und wieder verdichtet wird, zählt nicht dazu. Und wie breit könnte eine Neubautrasse quer durch OWL wirklich werden? Dazu schreibt das Projektteam: &bdquo;Die Breite der Neubautrasse ist noch offen, weil der Verlauf der Strecke noch nicht feststeht." Es gelte: Je höher der Bahndamm oder je tiefer der Einschnitt ins Gelände werde, desto breiter sei die Trasse. Und entlang der existierenden Gleise? Wäre eine ICE-Trasse genauso breit wie die alte Eisenbahnstrecke? Auch diese Frage kann die Bahn &bdquo;nicht mit einer Zahl" beantworten, so Pressesprecher Peter Mantik. Das hänge &bdquo;von Gestalt und Umfeld der bestehenden Strecke ab". Genauere Angaben erforderten gründliche Untersuchungen. Und die führe die Bahn derzeit durch. Experte schätzt: 15 Meter Schätzungen gibt es dennoch. Der Eisenbahnexperte, Ingenieur und gelernte Lokführer Stephan Schröder vom Ingenieurbüro &bdquo;Bahnzentrum Bielefeld" nennt eine Zahl. Schröder arbeitet derzeit im Auftrag der Bürgerinitative Widuland und der Stadt Vlotho an einer Alternativtrasse, die weitgehend entlang der bestehenden Gleise verläuft. Auf die gleiche Frage nach der Breite nennt der Ingenieur die 12,10 Meter und zählt weitere Bedingungen wie Obermasten, Lärmschutz und Entwässerung auf. Dann sagt er: "Rund 15 Meter." Das ist weit von der Zahl entfernt, die von den Naturschutzverbänden genannt worden ist. Allerdings, so Schröder, beziehen sich seine geschätzten 15 Meter nur auf das sichtbare Ergebnis der Bauarbeiten, also den Gleiskörper mit den Nebenanlagen. &bdquo;Wenn die Strecke gebaut wird, braucht man auch Zuwege für Baufahrzeuge", sagt der Gutachter. Die Schneise, die für einen Neubau der ICE-Trasse durch OWL geschlagen würde, wäre also wohl deutlich breiter. Mit allem drum und dran kommt Schröder über den großen Daumen auf &bdquo;bis zu 40 Meter". Gerechnet auf mögliche 100 Kilometer Strecke wären das immerhin 400 Hektar Flächenverbrauch. Die Schneise zerstört Natur Karsten Otte, Sprecher der Naturschutzkonferenz OWL, will sich nicht auf die 60 Meter versteifen. &bdquo;Wenn das gut gemacht ist, liegt der Flächenverbrauch der ICE-Trasse deutlich unter dem einer neuen Bundesstraße", sagt Otte. Das Problem beim Trassenbau liege woanders. Im Ravensberger Hügelland müssten zahlreiche Tunnel und Brücken gebaut werden. Das bedeutet Kahlschlag in den Wäldern und zusätzliche Bodendeponien für den Abraum vom Tunnelbau. Dafür müssten erhebliche Erdmassen bewegt und &bdquo;weitere Flächen totgeschottert" werden. Die Trasse schlage zudem &bdquo;eine weitere durchgehende Schneise in die Natur, die von Flora und Fauna nicht durchquert werden kann", sagt Otte. Das werde &bdquo;Landschafts- und Naturschutzgebiete zerstören und verinseln, gewachsene räumliche und menschliche Beziehungen kappen, Landschaften und Siedlungen verlärmen, Wasserversorgung gefährden und wertvolle Nutzflächen versiegeln"

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