Gericht urteilt: Aggressiver Bewohner bleibt im Wittekindshof

Bad Oeynhausen/Bielefeld. Was auf den ersten Blick nach einem Routine-Verfahren ausgesehen hat, wie landgerichtliches Alltagsgeschäft, entpuppte sich als komplexer Sachverhalt, der in seinen Dimensionen auch das Gericht überraschte. Das Bielefelder Landgericht lehnte nun die von der Staatsanwaltschaft betriebene Unterbringung eines Bewohners des Wittekindhofs in einem psychiatrischen Krankenhaus ab, da diese nicht verhältnismäßig sei. Der Fall hatte durch die anhaltenden Ermittlungen der Bielefelder Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter des Wittekindshofs einen durchaus brisanten Hintergrund. Sören O. (Name geändert) leidet unter Epilepsie, einer mittelgradigen Intelligenzstörung sowie einer Impulskontrollstörung. Der heute 24 Jahre alte geistig behinderte Mann lebt seit seinem vierten Lebensjahr in Betreuungseinrichtungen. Seit 2010 befindet O. sich im Wittekindshof, wo er seit 2015 ein lediglich mit einem Bett ausgestattetes Zimmer im heilpädagogischen Intensivbereich bewohnt. Wenn Sören O., der sich kognitiv auf dem Stand eines Kinds befindet, etwas nicht passt, so reagiert er oftmals fremd- und autoaggressiv - weshalb Tausende freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierung und Verschluss in seinen Akten dokumentiert sind. Die Mitarbeiter brachten den Fall zur Anzeige Am 2. Dezember 2019 bedrohte und beleidigte Sören O. mehrfach Mitarbeiter seiner Station, trat und schlug in Richtung der dort Beschäftigten und versuchte gar, eine Pflegerin mit einer Scherbe eines von ihm zuvor zerstörten Medikamentenbechers aus Hartplastik am Hals zu treffen. Die Vorfälle verliefen glücklicherweise sämtlich glimpflich, doch war nun das Maß für die Bediensteten voll - sie brachten den Fall zur Anzeige, die Staatsanwaltschaft betrieb fortan die dauerhafte Unterbringung von Sören O. in einer forensischen - geschlossenen - Klinik. Das Sicherungsverfahren gegen Sören O. vor der XXI. Großen Strafkammer des Landgerichts wurde am 11. Dezember 2020 eröffnet - und begann ungewöhnlich: Der Vorsitzende Richter Kai Niesten-Dietrich machte keinen Hehl aus seinem Befremden darüber, dass die Kammer erst kurz vor dem Prozessauftakt von den Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Wittekindshofs erfahren hatte. Den polizeilichen Berichten sei zu entnehmen, dass es neben zahlreichen fragwürdigen Fixierungen von Sören O. einmal sogar einen CS-Gas-Einsatz gegen diesen gegeben habe. Wer damit gesprüht habe, sei jedoch in den Akten der Einrichtung nicht dokumentiert. Darüber hinaus habe ein eigentlich für den Schutz der Mitarbeiter vor O. engagierter Sicherheitsdienstmitarbeiter einen Pfleger, der auf den 24-Jährigen einschlug und eintrat, wegziehen müssen. Im Nachgang soll der Pfleger dem Sicherheitsdienst gegenüber geäußert haben, er habe derartiges bereits seit zehn Jahren schon häufiger ohne Konsequenzen getan. "Ich war beim ersten Lesen entsetzt" "Bei aller Neutralität: Ich war beim ersten Lesen entsetzt ob der ungeheuren Vorwürfe gegen die Einrichtung", hatte Richter Niesten-Dietrich zum Beginn des ersten Verhandlungstags gesagt. Nun lehnte das Gericht den Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine Unterbringung von Sören O. in einer forensischen Klinik ab. Dass der Umgang mit O. sicherlich schwierig sei, das mochte Niesten-Dietrich in der Urteilsbegründung zugestehen. Auch sei das bislang bereits bekannte aggressive Verhalten von O. auch weiterhin zu erwarten. Doch sei "die dauerhafte Unterbringung das schärfste Schwert, das der Justiz zur Verfügung steht - ein belastender, einschneidender Eingriff in die Grundrechte", sagte Niesten-Dietrich. Dieser Eingriff, so der Richter, sei in der Causa O. nicht verhältnismäßig. Eine Unterbringung in einer forensischen Klinik komme nur in Betracht, wenn der Patient dort sicherer untergebracht oder weniger belastet sei - auf beides habe die Kammer jedoch keine Hinweise, hieß es in der Urteilsbegründung. Man müsse darüber hinaus zwischen Taten, die von Menschen in Freiheit begangen werden, und solchen, die sich in einer Betreuungseinrichtung ereignen, unterscheiden. Der Sinn der Unterbringung sei es nicht, Pflegeeinrichtungen von solchen Patienten zu entlasten - zumal das Personal des Wittekindshofs den Erregungszustand von Sören O. durch Freiheitsentzug und körperliche Schädigung möglicherweise noch verstärkt habe. "Ungeachtet dessen ist das von O. an den Tag gelegte Verhalten bei der Arbeit mit geistig Behinderten ein Teil des Berufsalltags", führte Niesten-Dietrich aus.

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