Stalking-Opfer über Verfolgung und Drohungen: Wenn der Freund zum Feind wird

Bad Oeynhausen. Dutzende Anrufe in kurzer Zeit, noch mehr Mails und WhatsApp-Nachrichten, Sturm-Klingeln an der Wohnungstür. Und das Ganze zu jeder Tages- und Nachtzeit. Seit mittlerweile acht Monaten wird Angelika M. (Name von der Redaktion geändert) von ihrem Ex-Freund gestalkt, weil er das Ende der Beziehung nicht akzeptieren will. Das permanente Nachstellen ihres Ex-Freundes belastet nicht nur die 38-Jährige massiv, sondern auch ihren kleinen Sohn. Im Februar, nach achtmonatiger Beziehung, wollten die beiden sogar zusammenziehen. Doch Angelika M. kamen Zweifel. Sie thematisierte die Zweifel in einem Gespräch. "Doch das Gespräch lief irgendwie falsch", erinnert sich Angelika M.. Statt sich mit den Zweifeln seiner Freundin auseinanderzusetzen, verfiel der Ex-Freund in einen Wust aus Vorwürfen. "Er war grundlos eifersüchtig auf den Vater meines Sohnes", erinnert sich Angelika M.. Dieses Gespräch war der Anfang vom Ende der Beziehung, der Freund ließ zwar den Wohnungsschlüssel bei seiner Noch-Freundin zurück, begann aber direkt danach mit den Nachstellungen. Er bombardierte sie mit Mails, SMS und WhatsApp-Nachrichten. Eine Fortsetzung der Beziehung konnte sich Angelika M. nun definitiv nicht mehr vorstellen. Zwei Tage später beendete sie die Beziehung. "Stalker handeln nicht aus Liebe, ihnen geht es um Macht und Aufmerksamkeit" "Stalker handeln nicht aus Liebe, ihnen geht es um Macht und Aufmerksamkeit", weiß Birgit Thinnes vom Kriminalkommissariat für Prävention und Opferschutz. Die Täter setzten sich Leben der Opfer fest, sei wollen deren Alltag dominieren. Die meisten Stalker hätten zudem ein verzerrtes Bild auf die Realität. "Die Nachstellungen gehen oft über einen längeren Zeitraum, sie werden intensiver und häufiger", weiß Thinnes. Im Leben von Angelika M. passierten in den kommenden Tagen einige Dinge, die auf den ersten Blick zwar nicht gravierend erscheinen, aber dennoch einschüchternd und belastend wirken. Wie von Geisterhand war beispielsweise der Aschenbecher auf der Terrasse morgens geleert. Eine halb volle Zigarettenschachtel verschwand vom Terrassentisch und lag zwei Tage später wieder dort. "Auf einmal war der Rolladen eines Fensters repariert. Dass der kaputt war, das wusste nur der Vermieter und mein Ex-Freund", erzählt Angelika M. Der Vermieter hatte die unangemeldete Reparatur allerdings nicht veranlasst. Die Zahl der E-Mails wurde größer und größer. Die Inhalte voller Hass und Vorwürfen und mit Inhalten, mit denen der Absender gezielt versuchte, Angelika M. zu manipulieren. Auch Mails von fremden Männern, die sie gar nicht kannte, erreichten die 38-Jährige. "Ich habe nie auf irgendwas reagiert", sagt sie. Auch handgeschriebene Briefe fand sie in ihrem Briefkasten. Gefährderansprache der Polizei bleibt ohne Wirkung Dann wurde ihr Google-Konto gehackt und ihr Auto gleich mehrfach zerkratzt. Angelika M. änderte ihre Telefonnummer, ihre E-Mail-Adresse, ihr Google-Konto. Angelika M. ging zu Polizei, erstattete mehrfach Anzeige wegen Sachbeschädigung und Stalking. Es folgte die sogenannte "Gefährderansprache" durch die Polizei. Dabei wird dem Tatverdächtigem klar mitgeteilt, dass er eine Grenze überschritten hat, und er wird auf die Konsequenzen seiner Tat hingewiesen. Doch ihren Ex-Freund schien dies nicht zu beeindrucken. Als Mailkontakt zu seiner Ex-Freundin nutzte er nun die Mailadresse des Kindsvaters. "Die Mails waren voller Beschimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen", berichtet Angelika M.. Die Mails zeigten aber auch, dass er sie auf Schritt und Tritt verfolgt und beobachtet. "Er folgte mir auf den Spielplatz, zur Arbeitsstelle, zu Freunden oder er fuhr stundenlang mit seinem Auto vor meine Haustür hin- und her", erzählt die 38-Jährige. Beschwerde von Angelika M. liegt seit Monaten beim Oberlandesgericht Schließlich nahm Angelika M. Kontakt zu Birgit Thinnes vom Kommissariat für Kriminalprävention und Opferschutz auf. Sie berät Stalking-Opfer und gibt ihnen Tipps. "Frau M. hat alles richtig gemacht, sie hat nicht auf die Nachstellungen reagiert, hat sie aber dokumentiert und sie hat mehrfach Anzeige erstattet", sagt Birgit Thinnes. Auch mit Unterstützung von Birgit Thinnes bewirkte Angelika M. Ende Mai vor dem Amtsgericht eine einstweilige Anordnung gegen ihren Ex-Freund. Die Anordnung besagt, dass der Ex-Freund keinen Kontakt mit Angelika M. haben darf, auch darf er sich der Wohnung, dem Kindergarten ihres Sohnes und dem Arbeitsplatz von Angelika M. nicht nähern. Doch der Ex-Freund ignoriert die Anordnung. Es sei ihm sogar gelungen, gegen die einstweilige Anordnung erfolgreich vorzugehen. Angelika M. Beschwerde gegen diese Entscheidung liegt nun beim Oberlandesgericht Hamm - seit Monaten. Das Stalking ging weiter. Angelika M. beantragte beim Amtsgericht, gegen ihren Ex-Freund ein Ordnungsgeld zu verhängen und die Anordnung aufrecht zu erhalten und zu verlängern. Doch der Richter lehnte ab. Polizistin empfiehlt den Opfern, jedes Vergehen anzuzeigen Dass sich viele Stalker über die Maßnahmen der Polizei oder Gerichte hinwegsetzen, sei eines der größten Probleme. &bdquo;Die Betroffenen merken gar nicht, dass es besser wird, obwohl sie sich Hilfe gesucht haben. Das ist auch für die Polizei nicht zufriedenstellend", sagt Birgit Thinnes. Sie empfiehlt den Opfern dennoch, auf jeden Fall immer die Polizei zu rufen. Denn häufen sich die Fälle, kann die Polizei weitere Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel ein sogenanntes Interventionskonzept. &bdquo;Da wird die Telefonnummer der betroffenen Person hinterlegt. Wählt die die 110, wird im Computer der Leitstelle sofort der entsprechende Hinweis angezeigt, zum Beispiel, dass sie besonders gefährdet ist." Die Polizei greift dann gleich entsprechend ein. Für solche Maßnahmen brauchen die Beamten keine richterliche Anordnung. Schärfere Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Überwachung mit einer sogenannten elektronischen Fußfessel sind möglich, müssen aber von einem Gericht angeordnet werden. "Die Rechtslage ist unbefriedigend" Seit 2007 ist Stalking, also das Nachstellen, ein eigener Straftatbestand. 2008 wurden nach Auskunft von Tillmann Bartsch, stellvertretender Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover, bundesweit wurden 29.273 Stalking-Straftaten zur Anzeige gebracht. Abgeurteilt wurden allerdings nur 778 Taten. In den Folgejahren ging die Zahl der Anzeigen stetig zurück. Den Grund dafür sieht auch Bartsch in der Beweispflicht der Opfer. "Die Opfer mussten nachweisen, dass ihre Lebensgestaltung durch das Stalking schwerwiegend beeinträchtigt ist", erklärt der Jurist Bartsch. Beim Stalking handele es um eine Vielzahl von Einzelhandlungen. Im Jahr 2017 wurden der Stalking-Paragraf (§ 238, Strafgesetzbuch) zwar reformiert, doch habe die Reform nach Experten wie Birgit Thinnes vom Kriminalkommissariat Prävention und Opferschutz und dem Juristen Tillmann Bartsch kaum gewirkt. "Die Rechtslage ist unbefriedigend, denn das Nachweisproblem für die Opfer bleibt bestehen", so Bartsch. Die Opfer müssten immer gut mitwirken, um die Taten gerichtsfest nachzuweisen.

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