Kind stirbt im Klinikum Lippe: Arzt und Krankenschwester stehen erneut vor Gericht

Kreis Lippe. Manche Wunden kann selbst die Zeit nicht heilen. Sechs Jahre ist es her, dass ein wegen eines vermeintlich harmlosen Magen-Darm-Infektes eingeliefertes Mädchen (12) völlig unerwartet im Klinikum Lippe verstarb. Der erste Versuch, den Fall juristisch aufzuklären, scheiterte an den unterschiedlichen Ansichten zweier Gutachten. Jetzt, zwei Jahre später, treffen die Beteiligten zur Neuauflage des Prozesses vor dem Amtsgericht Detmold wieder aufeinander. Der Schmerz ist nicht verblasst, nur die Anklagebank ist leerer geworden. Beim erneuten Prozessauftakt müssen sich am Montag nur noch der damals das Mädchen in der Notaufnahme behandelnde Arzt (52) und eine der Krankenschwestern (69) wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Das Verfahren gegen drei weitere Pflegekräfte hatte das Gericht gegen Geldauflagen eingestellt. Sie alle und eine weitere Kollegin sind diesmal als Zeuginnen geladen. Die Vorsitzende Richterin Denise Linnert muss die Beweisaufnahme komplett neu durchführen. Für die hinterbliebene Familie eine Tortur, an der prozessual kein Weg vorbei führt. Tod eines Mädchens (12): Klinikum Lippe zahlt Eltern 100.000 Euro Schmerzensgeld Neues Gutachten soll Klarheit bringen Diesmal soll die juristische Aufarbeitung allerdings zu einem schnellen Abschluss kommen – und nur zwei Verhandlungstage dauern. Dafür hatte die Richterin extra ein drittes, medizinisches Obergutachten in Auftrag gegeben, um Klarheit zu schaffen. Dessen Ergebnis stützt offenbar den Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft. Für die Ermittler steht daher nach wie vor fest: Der Todeseintritt des Kindes sei &bdquo;vorhersehbar und vermeidbar“ gewesen, so verliest es Staatsanwalt Moritz Lange aus der Anklage. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sind dem damals als Honorar-Arzt tätigen Mediziner aus Syrien grobe Behandlungsfehler unterlaufen. Trotz mehrfacher Zusammenbrüche des Mädchens und eindeutiger Hinweise im Blutbild habe der Arzt das Kind weder per Monitor überwachen lassen noch sie gewogen oder ihr genügend Flüssigkeit verabreicht. Noch dazu soll der Assistenzarzt das durch den fiebrigen Magen-Darm-Infekt schwer dehydrierte Mädchen eine falsche Infusion verabreicht haben, die ihr gar nicht hatte helfen können. Der Arzt selbst erklärt vor Gericht, die von ihm ausgewählte Infusion – eine pädiatrische Elektrolytlösung 2 – sei am Klinikum für Kinder ab zwei Jahren Standard gewesen. &bdquo;Das wurde mir so gesagt, als ich in dem Krankenhaus angefangen habe.“ Er habe allerdings wenig weitere Informationen gehabt. &bdquo;Wegen der Belastung habe ich auch nicht weiter recherchiert.“ Der Arzt deckte vor allem Nachtdienste ab, sagt er. Auch die Richtlinien zur Behandlung einer Gastroenteritis seien ihm damals nicht bekannt gewesen. Pflegekraft macht sich Vorwürfe Der Zustand des geschwächten Kindes verschlechterte sich in dieser Dezembernacht 2019 weiter. Mehrfach rief die Mutter die Pflegekräfte, sagt sie vor Gericht aus. Offenbar erkannte aber keine Krankenschwester den Ernst der Lage. Die als Zeugin geladene Nachtschwester beschreibt, nicht einmal die Patientenakte sei hoch auf die Kinderstation gekommen. Sie hätte nicht gewusst, was zu tun sei, und telefonisch alle Behandlungsschritte in der Notaufnahme erfragen müssen. &bdquo;Ich habe die Lage vielleicht komplett falsch eingeschätzt“, sagt die Rentnerin mit zittriger Stimme. &bdquo;Darauf kommt es jetzt nicht an“, erklärt die Richterin. &bdquo;Für mich schon“. Manchmal habe sie das Gefühl, sagt die Zeugin, sie wäre die Einzige gewesen, die das Kind hätte retten können. So verlief der Todestag des Mädchens &bdquo;Es geht ihr sehr schlecht, keinerlei Besserung. Ich verzweifle hier“, diesen Satz schrieb die Mutter am nächsten Morgen an ihren Ehemann. Zuvor soll die angeklagte Krankenschwester eigener Aussage noch versucht haben, den Arzt zu erreichen. Er sei aber gerade beschäftigt gewesen. Der Arzt sagt, er habe keinen Anruf bekommen. Erst kurz nach 8 Uhr erschien der Arzt auf Drängen des Vaters im Krankenzimmer. Zu diesem Zeitpunkt sei das Mädchen schon grau, blau gewesen und hätte kaum noch Herzschlag gehabt, erinnerte sich der angeklagte Arzt. Etwa eine Stunde versuchte ein Notfallteam, das Kind auf der Intensivstation wiederzubeleben. Erfolglos. Für die Eltern ein Schock. Irgendwann hätte man die Geräte abgestellt, sagt die Mutter, keiner hätte verstanden, was das gerade passiert sei. An den Satz des damaligen Chefarztes der Kinderklinik erinnert sich die Detmolderin noch gut. &bdquo;Es nützt auch nichts, wenn Sie uns verklagen“, soll der gesagt haben. &bdquo;Das bringt Ihnen Ihr Kind auch nicht zurück.“ Der Familie geht es aber um eins: Aufklärung. Der Prozess wird am 10. November fortgesetzt. Dann werden drei Gutachten gehört. Es könnte auch schon die Plädoyers und ein Urteil geben.

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