Senior (93) im Klinikum Lippe fixiert: Tochter will keinen Vergleich, sondern Urteil

Detmold. Sie will es durchziehen, diese Entschlossenheit steht Claudia Reismann abseits der Tränen ins Gesicht geschrieben. &bdquo;Ich bin es meinem Vater schuldig“, sagt die 61-Jährige auf dem Gerichtsflur. Während die Zivilkammer vor dem Landgericht Detmold gerade dabei ist, über einen angemessenen Vergleichsvorschlag zu grübeln, hat die Bielefelderin ihre Entscheidung längst getroffen. Sie will keinen Vergleich, sie will, dass das Klinikum Lippe verurteilt wird. Die Tochter hat als Bevollmächtigte ihres Vaters das Krankenhaus auf 15.000 Euro Schmerzensgeld verklagt, weil der demente Senior bei einem Krankenhausaufenthalt im Februar 2024 in ihren Augen unrechtmäßig ans Bett fixiert wurde und eine Windel anziehen musste. Ihr Vater sei darüber verzweifelt gewesen und habe aus diesem Grund kaum noch gegessen oder getrunken. &bdquo;Mein Vater war außer sich“, sagt Claudia Reismann über die Situation. &bdquo;Er ist sehr empfindsam, was seine Würde angeht.“ Seit dem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt vom 7. bis 22. Februar 2024 habe der betagte Mann seine Selbstständigkeit verloren und sei nun auf den Rollstuhl angewiesen. Ist ein Senior unrechtmäßig am Bett fixiert worden? Die Vorsitzende Richterin Sabine Diekmann macht direkt zu Beginn der Verhandlung klar, dass es nicht leicht sein wird, nachzuweisen, ob und inwieweit der schlechte Gesundheitszustand des Seniors auf die Fixierung am Bett und die Behandlungssituation im Klinikum Lippe zurückzuführen sind. Zwei Sachverständigengutachten werden dafür erforderlich sein, schätzt die Vorsitzende. Nur so könne der Fall aufgeklärt werden. Das könne Monate dauern und sei sehr kostenintensiv. &bdquo;Die Mühlen der Justiz mahlen langwierig.“ Der Klägerin ist das egal. &bdquo;Ihr geht es vor allem darum, dass so etwas nicht noch einmal passiert“, sagt ihr Rechtsanwalt Martin Becker. Drei Stunden dauert die mündliche Verhandlung an diesem Donnerstagnachmittag in Saal 143, an deren Ende es doch nicht zum Vergleich kommt. Noch bevor die beiden als Zeugen geladenen Pflegekräfte und der behandelnde Arzt aussagen, deutet sich an, dass in diesem Fall nicht alles glattgelaufen ist. Lesen Sie auch: Pflegefall nach Aufenthalt im Krankenhaus? Patient (93) verklagt Klinikum Lippe Protokoll weist Lücken auf &bdquo;Die Fixierung ist ein großer Eingriff ins Leben der Betroffenen“, sagt Richterin Diekmann. Daher sei im Bundesverfassungsgericht streng geregelt, wann eine Bevollmächtigte dazu befragt oder eine betreuungsgerichtliche Genehmigung eingeholt werden muss. &bdquo;Früher lag die Dauer bei 24 Stunden, inzwischen braucht man eine Genehmigung schon nach 30 Minuten.“ Auch die Beklagtenseite scheint das einzusehen. &bdquo;Man kann durchaus darüber reden, dass zu viel und zu früh fixiert wurde“, sagt Rechtsanwältin Klaudia Hugenberg, die das Klinikum Lippe vertritt. Den in der Presse hervorgerufenen Vorwurf, dass Dokumente nachträglich manipuliert worden seien, weist die Beklagte allerdings entschieden zurück. Die Schriftstücke sehen sich die Beteiligten an. Zwar gibt es ein Protokoll sowie eine unterschriebene ärztliche Anordnung darüber, aus welchen Gründen der demente Patient fixiert werden sollte. Auf den Dokumenten sind aber die Tabellenspalten leer geblieben, in denen eigentlich Kontrollen eingetragen werden sollen. Behandelnder Arzt erinnert sich nicht Außerdem erschließt sich der Kammer nicht, weshalb als Grund das Feld &bdquo;zum Schutz vor selbstschädigenden Eingriffen in einem intensivmedizinischen Behandlungsablauf“ angekreuzt ist. Der Senior habe schließlich nicht auf der Intensivstation gelegen, sagt die Vorsitzende, sondern wegen eines gebrochenen Arms auf seine OP gewartet. Auch der damals behandelnde Arzt kann kein erhellendes Moment beisteuern. &bdquo;Ich kann das nicht erklären, ich erinnere mich nicht“, sagt der 32-Jährige. Er habe nur mit der Krankenschwester telefoniert und sich den Fall schildern lassen, den Patienten habe er erst am nächsten Tag gesehen. &bdquo;Es war viel los, wir waren nur zu dritt. Die Notfälle gehen vor.“ Dennoch sieht der Assistenzarzt die damalige Maßnahme auch noch heute als gerechtfertigt an. &bdquo;Wenn ein Patient unruhig ist und so eine komplizierte Verletzung hat, würde ich das jederzeit wieder anordnen.“ Der Patient soll sich mehrfach den Gips abgewickelt, die Windel heruntergerissen und ins Bett gemacht haben. Überforderte Pflegekräfte Genau das habe die Pflegekräfte am Samstag, 10. Februar, überfordert. Die damals für die Station zuständige Krankenschwester sagt aus, sie habe den Mann mit dem Bauchgurt nur schützen wollen. Das Gitter am Bett sei schon oben gewesen, als sie in sein Zimmer getreten sei. Er habe ständig aufstehen und nach Hause gehen wollen. &bdquo;Es ging um seine Sicherheit. Wir können da ja keine Sitzwache engagieren.“ Zwei Pflegekräfte seien für 30 Patientinnen und Patienten zuständig gewesen. Am darauffolgenden Sonntag soll es dann mit dem Angehörigen zu einem &bdquo;Wortgefecht“ gekommen sein, sagt ein weiterer Pfleger aus. Deshalb sei der Bauchgurt wieder abgenommen worden, obwohl die zuständige Krankenschwester auf seine Notwenigkeit hingewiesen habe. Den Dokumenten nach soll die ärztliche Anordnung für die Fixierung allerdings eh auf Sonntagmittag 12 Uhr befristet gewesen sein. Einen Vergleichsvorschlag muss die Kammer erst gar nicht mehr unterbreiten. Das Verfahren wird sich noch lange hinziehen, wenn es ein Urteil geben soll. Die Tochter des Seniors ist sicher, dass es der einzig richtige Weg ist. &bdquo;Es kann nicht sein, dass man so mit Patienten umgeht und das nicht geahndet wird.“

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