Historischer Grenzpunkt: Oerlinghausen und das seltene Vierländereck

Oerlinghausen. Immer wenn die Lärmkanonen auf der Sparrenburg donnerten, wurden die Menschen von Asemissen über Lämershagen bis Dalbke hellhörig – damals vor gut zwei Jahrhunderten. Dann nämlich hatte sich wieder einmal ein preußischer Soldat aus dem Staube gemacht, um nach Hause ins Lippische oder nach Schloß Holte zu gelangen. Oder aber, um in der dünn besiedelten Senne Schutz vor dem harten Kriegsdienst zu suchen. Wer von den Anwohnern den Deserteur erwischte und zurückbeförderte, dem winkte eine satte Belohnung. Für geflohene Soldaten aus dem preußisch-ravensbergischen Bielefeld war die Grenzregion in Dalbke ein beliebter Zufluchtsort, denn hier standen gleich drei souveräne Länder als Fluchtort zur Wahl: die Grafschaft Lippe (später Fürstentum), das Fürstbistum Paderborn und die Grafschaft Rietberg. Preußen hatte einen großen Bedarf an Soldaten. So gelang es preußischen Soldatenwerbern oft mit List, Gewalt oder Alkohol, unwillige junge Männer, besonders auf Pollhans zum Kriegsdienst in die Reihen des preußischen Militärs zu locken. Wieder nüchtern und abgeschreckt vom harten Dienst, versuchten einige, möglichst schnell wieder in ihre Heimatdörfer zu gelangen. Waldstück bei Dalbke war früher ein sicherer Rückzugsort Vier frühere Herrschaftsgebiete stießen in einem Waldstück am Menkebach in Dalbke zusammen. Ein solches Vierländereck dürfte einmalig in Deutschland sein. Jetzt hat sich eine Initiative von Heimatvereinen der Region gebildet, um diese Rarität wieder sichtbar zu machen, der Heimatverein Oerlinghausen, die Heimatwerkstatt Lipperreihe, der Sennestadtverein und die Stadtführergruppe Schloß Holte-Stukenbrock. Auf einer Informationsveranstaltung im Oerlinghauser Bürgerhaus stellte Thomas Kiper vom Sennestadtverein das außergewöhnliche Vierländereck vor. Im Grenzgebiet blühte vor Jahrhunderten auch der Schmuggel mit wertvollen Gütern wie Zucker, Kaffee oder Tabak, sagte Thomas Kiper, denn die früheren souveränen Länder besaßen alle eigene Zollrechte. In Stukenbrock gab es sogar einen Schmugglerweg namens Zuckerweg, nachgewiesen auf einem Urkataster von 1829. Vor allem zwischen Lippe und Preußen aber waren die Schmuggler unterwegs, denn Lippe war Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht dem Deutschen Zollverein beigetreten und konnte so seine Waren in Preußen billiger absetzen. Der begehrte Importkaffee zum Beispiel kam auf der Schmugglerroute über den lippischen Weserhafen Erder ins Land und wurde bei Nacht und Nebel über den Grenzbach Schopke nach Preußen transportiert und dort mit Gewinn verkauft. Schmuggel und Zollprobleme prägten das Leben an den Grenzen Der Lipperreiher Bartholdskrug galt für lange Zeit als das bekannteste Schmugglerlokal, denn der &bdquo;Bartholdskrüger“, wie übrigens auch sein Nachbar, der &bdquo;Jacobskrüger“, spielte eine zwielichtige Rolle in den illegalen Transporten über die nahe gelegene Grenze. Aber viele der Grenzprobleme lösten sich letztlich auf, als im Jahre 1842 auch der Staat Lippe seinen Widerstand gegen ein gesamtdeutsches Zollgebiet aufgab und dem Deutschen Zollverein beitrat. Damit hörte das Schmuggelunwesen auf. &bdquo;Wie ein Flickenteppich sah eine Landkarte früher aus“, erklärte Thomas Kiper den Zuhörern im Bürgerhaus, &bdquo;denn aus gut 300 Kleinstaaten bestand Deutschland im 18. Jahrhundert.“ Die Landesherren drängten darauf, dass die Grenzen genau festgelegt wurden. Das geschah mit zahllosen Grenzsteinen entlang ihrer Territorien. Die Steine stehen heute alle unter Denkmalschutz. In diesem Vierländereck gibt es noch eine Besonderheit &bdquo;Während es relativ häufig vorkam, dass drei Länder an einem Punkt zusammenstießen“, sagte er, &bdquo;ist ein Vierländereck eine große Seltenheit.“ Beim Vierländereck in Dalbke erhöhe sich die Bedeutung noch dadurch, dass die historischen Grenzsteine aus jener Zeit gut erhalten sind und an ihren Originalstandorten stehen. Genau genommen bestehe dieser außergewöhnliche Grenzpunkt aus zwei Dreiländerecken, die aber nur 20 Meter auseinanderliegen. Der eine Dreieckstein zeigt die Wappen der Landesherren von Lippe, Paderborn und Rietberg, der andere Dreieckstein trägt die Embleme des Königreichs Preußen (Ravensberg), Lippe und Rietberg. Um das Vierländereck für Wanderer oder Radfahrer erlebbar zu machen, soll in nächster Zeit, ein Informationspunkt mit großen Schautafeln in der Nähe der Grenzsteine auf die Bedeutung dieser geschichtlichen Rarität hinweisen. Durch Unterstützung von Lippe Tourismus & Marketing sowie von Naturpark Teutoburger Wald/Eggegebirge ist es der Heimatvereins-Aktionsgruppe gelungen, das Projekt zu starten, erklärte Thomas Kiper.

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