Stadtgeschichte

Was aus dem „Jünglingsverein“ in Oerlinghausen wurde

Der frühe CVJM hatte mit den Nazis zu kämpfen. Nach dem Krieg begann die Erfolgsstory der jungen Oerlinghauser Christen. Jetzt feiert der Verein sein 100-jähriges Bestehen.

Christlicher Umzug in unruhigen Zeiten. 1933 marschieren die Mitglieder des CVJM nach dem Gottesdienst durch Oerlinghausen. Rechts ist die Buchhandlung Blume zu sehen. | © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Oberschelp

Horst Biere
18.09.2025 | 18.09.2025, 16:31

Oerlinghausen. Leicht haben es die jugendlichen Christen vor 100 Jahren nicht gehabt. Zwar herrschte noch bei der Gründung des CVJM im Jahre 1925 Aufbruchstimmung und Freude über das junge Vereinsleben. Und schon bald schlossen sich die Oerlinghauser mit den Asemissern auch zu einem gemeinsamen „Christlichen Verein junger Männer“ zusammen. Doch 1933 begannen die Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend (HJ), die als staatliche Jugendorganisation dem „Jünglingsverein“ schwer zusetzte, um sie in ihre Reihen zu zwingen.

August Westerheide, der später die Tochter des bekannten Landwirts Sültemeier heiratete, leitete die Jugendgruppe in jener Zeit. Er schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „Als Vereinslokal hatten wir uns in den Jahren vor 1933 die sogenannte Alte Küsterschule ausgebaut. Das verwohnte Haus an der Kirche stellte uns die Kirchengemeinde zur Verfügung. Umbau und Einrichtung mussten wir aus eigenen Mitteln vornehmen, dafür ging monatelang unser ganzes Taschengeld drauf.“

HJ rückte während der Bibelstunde aus und wollte diese ausheben

Nach der Machtergreifung Hitlers, an den Pfingsttagen 1933, eskalierte die Situation zwischen dem CVJM und der HJ. Auf dem Hof Wöstenfeld in Lämershagen hatte der CVJM ein Zeltlager für etwa 1.000 Jugendliche organisiert. „Eines Abends, ganz überraschend, während wir unsere (Bibel)Stunde hielten, rückte die HJ an. Sie wollten unsere Versammlung ausheben“, berichtet Westerheide. „Aber wir blieben härter als erwartet. An diesem Abend vermieden sie noch das Äußerste.“ Doch auf den Oerlinghauser Straßen vergrößerten sich die Spannungen. „Wenn sich die Mitglieder der beiden Jugendgruppen nur von weitem sahen, banden sie schon ihre Schulterriemen los, die sie dann auch als Waffe benutzten, wenn es zu Raufereien kam.“ Mutig trotzten die jungen Christen noch im Sommer des Jahres 1933 den Nazis. „Wir führten zwei Freizeiten durch, und es war selbstverständlich, dass wir in unserer CVJM-Kluft die Kirche besuchten.

Einen eigenen „Jünglingsverein“ gab es in Asemissen im Jahr 1926. Bald danach schloss man sich mit Oerlinghausen zu einem Verein zusammen. - © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Oberschelp
Einen eigenen „Jünglingsverein“ gab es in Asemissen im Jahr 1926. Bald danach schloss man sich mit Oerlinghausen zu einem Verein zusammen. | © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Oberschelp

Nach dem Gottesdienst marschierten wir – wie es dem Zeitgeist entsprach – in Marschkolonne mit Fahne und Wimpel voraus, durch die Straßen der Stadt, wobei wir kräftig unsere Bekenntnislieder sangen“, erläutert August Westerheide. Doch dann war es aus mit der Freiheit. Viele Jugendliche wechselten zwangsläufig in die Hitlerjugend. Einige wenige, darunter auch August Westerheide, gingen quasi in den Untergrund. Sie versammelten sich oftmals in einer Hütte im dichten Wald am Tönsberg oberhalb der Wistinghauser Schlucht. August Westerheide: „Mein Freund Harald Kronshage und ich hatten die Hütte ausgebaut. Nun benutzten wir sie zu Zusammenkünften mit denen, die der Sache treu geblieben waren.“

Nach dem Krieg setzte neues Leben im CVJM ein

Der Zweite Weltkrieg, der 1939 ausbrach, veränderte jedoch alles. Viele junge Männer wurden eingezogen, darunter auch August Westerheide – das CVJM-Vereinsleben erlosch. Nach dem Krieg allerdings setzte neues Leben ein. Immer mehr Jugendliche verbrachten nun ihre Freizeit im CVJM. Denn das Angebot passte in die damalige Zeit. So startete ein CVJM-Posaunenchor im November 1950. Ein Handballverein unter der Leitung von Alfred Neumann entstand einige Jahre später. Die Jugendlichen spielten Tischtennis im Gemeindehaus, man traf sich zu Jugendfreizeiten, Wanderungen und Veranstaltungen mit christlichen Jugendgruppen anderer Gemeinden. Engagiert förderten auch die evangelischen Pastöre der Nachkriegszeit wie Friedrich Möller, Helmut Albrecht oder der Lipperreiher Pfarrer Konrad Budweg die Jugendarbeit.

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Bernd Oberschelp ist seit Jahrzehnten das Gesicht des CVJM-Oerlinghausen. - © Horst Biere
Bernd Oberschelp ist seit Jahrzehnten das Gesicht des CVJM-Oerlinghausen. | © Horst Biere

Untrennbar mit dem CVJM der letzten Jahrzehnte ist aber wohl der Name Bernd Oberschelp verbunden, der 1980 den Vorsitz des „Christlichen Vereins Junger Menschen“, wie er nun hieß, übernahm. Bis zum Jahr 2008 führte er den CVJM und wurde anschließend Ehrenvorsitzender. „Wir haben es schon 1970 geschafft“, sagt Oberschelp schmunzelnd, „mit einer Jugendband den Gottesdienst zu gestalten, sogar mit Schlagzeug.“ Die karitativen Aktionen des Oerlinghauser CVJM sind legendär. Oberschelp: „Seit dem ersten Weihnachtsmarkt 1979 sind wir ununterbrochen mit einem Stand vertreten, der Erlös geht stets an Bedürftige.“ Ferner wurden bereits mehr als 350 Tonnen (!) Altkleider für Bethel gesammelt. Lange schon gilt der alljährliche Grünkohlverkauf als eine First-Class-Aktivität, durch die sich der CVJM einen guten Namen gemacht hat.

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Freizeiten führten zu internationalen Freundschaften

Und Projekte der Jugendarbeit sind längst im Oerlinghauser Alltagsleben verankert: „Treff am Turm (Kirchturm)“, Jungschar-Zeltlager oder diverse Ferienfreizeiten. Auch internationale Kontakte pflegen die Jugendlichen – mit dem YMCA in Zaragoza in Spanien durch Julia Oberschelp und Michael Bienek und sogar mit dem YMCA in Nashville in den USA. Viele Familienfreizeiten im In- und Ausland, die zumeist durch Marion und Bernd Oberschelp organisiert werden, führten zu internationalen Freundschaften mit Christen anderer Länder.

Sie „rockten“ in den 1970ern die Alexanderkirche als erste CVJM-Band: Michael Heitholt, Gottfried Hoffmann, Bernd Oberschelp, Gerald Burkart und Karl Ritterbusch. - © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Oberschelp
Sie „rockten“ in den 1970ern die Alexanderkirche als erste CVJM-Band: Michael Heitholt, Gottfried Hoffmann, Bernd Oberschelp, Gerald Burkart und Karl Ritterbusch. | © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Oberschelp

Zu einer Jubiläumsfeier „100 Jahre CVJM“ lädt der Verein am jetzigen Samstag und Sonntag ein. Am heutigen Samstagnachmittag ab 14 Uhr gibt es ein Sommerfest mit Kinderolympiade und vielen Attraktionen auf der Kirchwiese in Lipperreihe. Der Festsonntag beginnt mit einem Gottesdienst um 10 Uhr in der Lipperreiher Kirche. Die Predigt hält Pfarrer Ulrich Pohl, der Vorstandsvorsitzende der von Bodelschwinghschen Stiftungen, der früher selbst als Vikar in Lipperreihe tätig war. Die Begleitung übernimmt die Band „Young Community“, die von 1970 bis 2000 in unterschiedlichen Besetzungen spielte, und die diesmal sogar mit einigen Gründungsmitgliedern auftritt.