
Oerlinghausen. „Tausende von uns haben während des Krieges Männerarbeit geleistet“, sagte Marianne Weber, „mit geringeren leiblichen Kräften als der Mann. Und Tausende von uns Frauen haben ein Heimatheer gebildet, ohne welches das Frontheer keine Munition und keine Kleidung gehabt hätte“. Im badischen Landesparlament in Karlsruhe sprach die gebürtige Oerlinghauserin im Januar 1919 über das schwere Los der Frauen im gerade zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg. Das war das erste Mal, dass eine Frau in einem deutschen Parlament eine Rede hielt.
Erst kurz zuvor hatten Frauen in Deutschland überhaupt die Chance erhalten, die Politik mitzugestalten. Seit November 1918 durften Frauen das Wahlrecht ausüben und durften auch gewählt werden. Mit fester Stimme erklärte sie den Abgeordneten zur ersten Vollversammlung: „Wir Frauen sind besser (für eine Parlamentsarbeit) vorbereitet, als manche von Ihnen glauben.“ In einer Tonaufnahme des Hauses der Geschichte in Baden-Württemberg ist ihre Ansprache an die Parlamentarier zu hören.
Rechtsschutzstelle für Dienstmädchen und Kellnerinnen
Marianne Weber hatte lange auf diesen Moment gewartet, denn sie hatte sich schon seit Ende des 19. Jahrhunderts für die Rechte der Frauen eingesetzt. In Schriften und Büchern veröffentlichte sie immer wieder die Forderung nach Gleichberechtigung. 1901 trat sie dem Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF), der Dachorganisation der bürgerlichen Frauenbewegung, bei und gründete ebenfalls eine Rechtsschutzstelle für Frauen, vor allem für Dienstmädchen und Kellnerinnen.
Die Frage der Gleichberechtigung der Frau erschien Marianne Weber vor allem als ein Bildungsproblem. „Wir wollen unsere Töchter nicht ahnungslos in die Arme des Mannes werfen,“ formulierte sie, „wir wollen ihnen endlich Bildung und geistige Selbstständigkeit mitgeben.“ Unterstützt wurde sie stets von ihrem Mann Max Weber, dem berühmten deutschen Soziologen und Nationalökonomen.
Als Marianne Schnitger wurde sie am 2. August 1870 in Oerlinghausen geboren. Ihr Vater war der Arzt Eduard Schnitger, ihre Mutter Anna war die älteste Tochter des Leinenunternehmers Carl David Weber. Als Marianne zweieinhalb Jahre alt war, starb ihre Mutter nach der Geburt ihrer Schwester. Kurz darauf starb das Baby ebenfalls. Eduard Schnitger zog mit seiner kleinen Tochter nach Lemgo.
Seit 1873 lebte Marianne dort bei ihrer Großmutter und Tante. Sie besuchte die Städtische Töchterschule in Lemgo – das heutige Marianne-Weber-Gymnasium – und dann eine Höhere Töchterschule in Hannover. Etwa drei „echte“ Oerlinghauser Jahre erlebte Marianne später, als Teenager kam sie zurück zur Detmolder Straße.
Denn als ihre Großmutter 1889 starb, zog sie als „Haustochter“ zu ihrer Tante Alwine (geborene Weber) und Bruno Müller in die Villa der Fabrikantenfamilie.
Im Frühjahr 1892 begann Marianne eine zweite, eher künstlerische Ausbildung in Berlin. Dort in der Hauptstadt lernte sie ihren späteren Mann, den sechs Jahre älteren Max Weber kennen, der übrigens ein entfernter Verwandter von Marianne Schnitger war. Max Weber hatte gerade eine außerordentliche Professur für Handelsrecht an der Universität Berlin übernommen.
Trauung in der Alexanderkirche, Feier im Scherenkrug
Das Paar heiratete 1893 in Oerlinghausen – kirchlich in der Alexanderkirche, die Hochzeitsfeier fand im Scherenkrug statt. Doch dann ging’s sofort wieder zurück nach Berlin. Nicht lange danach verzog das Paar nach Freiburg und wenig später nach Heidelberg. Max Weber machte in jener Zeit eine beispielhafte Karriere als Wissenschaftler und übernahm 1894 einen Lehrstuhl an der Universität Freiburg und 1896 an der Universität Heidelberg. Dort, in Heidelberg, fanden die beiden für viele Jahre ihren Hauptwohnsitz.
Die Webers führten in ihrer schönen Villa am Neckarufer einen unkonventionellen Haushalt; sie luden häufig intellektuelle Gäste zu offenen Diskussionsnachmittagen ein. Diese Form akademischer Geselligkeit setzte Marianne Weber auch noch als spätere Witwe bis ins hohe Alter fort. Marianne Weber engagierte sich dort stets auch gesellschaftlich – vor allem während des Ersten Weltkriegs, indem sie sich für den Aufbau und die Organisation von Kriegslazaretten einsetzte.
Kandidatur für die Badische Nationalversammlung

Nach dem Krieg 1918 traten Marianne und Max Weber der neugegründeten Deutschen Demokratischen Partei bei. Und Marianne kandidierte in Heidelberg für die Badische Nationalversammlung. Das Wahlergebnis war eindeutig: Marianne Weber zog als erste Frau ihrer Partei ins Parlament ein und hielt sogleich ihre Rede an das durchweg männlich besetzte Parlament.
Das Ehepaar Weber habe eine gute Ehe unter intellektuellen Partnern geführt, heißt es. So ließ Max Weber seiner Marianne stets genügend Freiraum für eine eigene Karriere – was bei weitem nicht selbstverständlich war am Anfang des 20. Jahrhunderts.
Ihr Landtagsmandat gab Marianne Weber 1920 allerdings nach der Übersiedlung des Ehepaars nach München anlässlich Max Webers Berufung an die dortige Ludwig-Maximilians-Universität auf. Doch 1920 starb Max Weber ganz plötzlich. Der Tod ihres Mannes stürzte sie in eine schwere Krise, die sie nur durch das Schreiben seiner Biografie langsam überwand.
1921 verlieh ihr die Universität Heidelberg aber die Ehrendoktorwürde „Sie war eine sehr kluge, emanzipierte Frau“ sagten Zeitgenossen über Marianne Weber. Bis zu ihrem Tod 1954 war sie in Heidelberg als Wissenschaftlerin und Autorin tätig.