Kreis Lippe. Verliebt, verlobt, verheiratet – geschieden. Und das wieder häufiger, wie die Zahlen des Statistischen Landesamtes (IT.NRW) zeigen: Erstmals seit 2008 ist die Zahl der Scheidungen wieder gestiegen. Rund 30.000 waren es demnach im vergangenen Jahr in NRW und damit 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr. In Lippe sieht das noch mal anders aus: Hier stieg die Zahl der Scheidungen um satte 41,1 Prozent – so hoch wie nirgends sonst im Land.
Für lippische Paare fiel 2024 das Scheidungsurteil ganze 659 Mal, im Jahr zuvor knapp 200 Mal weniger (2023: 467 Scheidungen). Allerdings handelte es sich dabei auch um einen historisch niedrigen Stand: Unter der 500er-Marke lag die Scheidungsquote in den vergangenen 40 Jahren nie (zuletzt 1981: 447 Scheidungen). Und es lässt sich auch festhalten: Seit 2009 ist die Zahl kontinuierlich gesunken: von 866 auf 555 Ehetrennung in 2022. Also weshalb nun wieder ein Anstieg? Denn selbst im Vergleich mit 2022 sind es knapp 20 Prozent mehr Paare, die ihre Ehe im vergangenen Jahr beendeten.
Der Detmolder Fachanwalt für Familienrecht Jörg Kleinwegener kann aus seiner Praxis eine moderate Zunahme an Scheidungen beobachten, „ich bin aber auch bundesweit tätig“. Vielmehr weiß er, dass familiengerichtliche Verfahren in den vergangenen Jahren zurückgegangen sind – was auch die Statistik bestätigt. Häufig werde aus Kostengründen bei Scheidungsverfahren nur ein Anwalt beauftragt, Scheidungsfolgen wie Unterhalt würden selbst geregelt.
Partner leben sich auseinander
Das bestätigt auch Silke Streit, Lemgoer Fachanwältin für Familien- und Strafrecht. Sie sagt aber: „Im familienrechtlichen Bereich ist 2024 deutlich mehr zu tun gewesen“, das habe sie auch von anderen Kollegen erfahren. Woran es liegt? „Das kann man nicht genau sagen.“ Denn im Verfahren muss darüber nichts gesagt werden. „Ein klassischer Punkt ist aber, dass sich die Partner auseinandergelebt haben.“ Ein Kollege habe einmal gesagt: „Die Liebe ist erkaltet.“
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Und was ihr aufgefallen sei: Entweder trennten sich die Paare, wenn die Kinder noch klein sind, merkten, dass die Ehe bei Belastung nicht trage. Oder sie blieben zusammen und trennten sich, wenn die Kinder kurz davor sind, das Haus zu verlassen oder es verlassen haben. Manch einer hätte dann das subjektive Gefühl, das könne noch nicht alles gewesen sein, werden sich der Endlichkeit bewusst und wollen neu durchstarten, finden einen neuen Partner.
Ein Blick in die Statistik verrät: Knapp die Hälfte der 2024 geschiedenen Paare in Lippe (316) hatte keine minderjährigen Kinder, ein Drittel etwa (213) zwei oder mehr. Und auch die Dauer der Ehe könnte das bestätigen: Laut IT.NRW waren die meisten der Geschiedenen 21 Jahre oder länger verheiratet (178), gefolgt von denen, die zwischen sechs und zehn Jahren verheiratet waren (166). Den geringsten Anteil bietet die Gruppe der 16 bis 20 Jahre-Verheiraten (89).
Nach Corona stieg die Bereitschaft zur Trennung
Silke Streit sieht noch einen Grund für die speziell im Jahr 2024 gestiegene Scheidungsrate: Corona. Während der Pandemie sei es relativ ruhig gewesen in puncto Trennung, „da herrschte eine wahnsinnig tiefe Verunsicherung, man war auf das familiäre System beschränkt, hat versucht, Konflikte zu verdrängen“. Im April 2022 liefen die scharfen Covid-Maßnahmen aus, bevor sie im Oktober nochmals verschärft und dann bis April 2023 nach und nach endgültig aufgehoben wurden. Das Leben normalisierte sich – und damit könnte auch die Bereitschaft zur Trennung wieder gestiegen sein. Auch andere Kollegen teilten diese Ansicht, sagt sie.
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Dazu komme, dass Paare später heirateten, erklärt Jörg Kleinwegener. Viele absolvierten heute eine Lehre und zusätzlich ein Studium oder Ähnliches, sodass sich das Heiratsalter verschiebe - „und damit auch das Scheidungsalter“. Und manch ein Paar würde sich zwar trennen, aber aufgrund steuerlicher Vorteile verheiratet bleiben. Und was er noch beobachtet habe: „In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der nicht ehelichen Lebensgemeinschaften um 400 Prozent angestiegen. Die Ehe bietet keinen Reiz mehr.“

Und wie sieht es in ganz OWL aus? Hier ist Lippe mit 659 Scheidungen Spitzenreiter vor Minden-Lübbecke (602; 2023: 630), dem Kreis Gütersloh (556; 2023: 548), Bielefeld (538; 2023: 549), dem Kreis Paderborn (490; 2023: 450) sowie den Kreisen Herford (318; 2023: 255) und Höxter (208; 2023: 220). Während in Lippe also die Zahl der Scheidungen gestiegen ist – und ebenso in den Kreisen Gütersloh, Herford und Paderborn – gab es im übrigen OWL weniger Ehetrennungen. Auch in OWL insgesamt stiegt die Zahl der Scheidungen von 3119 auf 3371. Dabei waren es 25 gleichgeschlechtliche Ehen, die beendet wurden. Im Vorjahr waren es noch 29 – trotz insgesamt geringerer Anzahl der Scheidungen.
Das sagen die Gerichte
Das Amtsgericht Blomberg kann die extreme Steigerung an Scheidungen in Lippe für das Jahr 2024 nicht bestätigen: Mit 62 Fällen sei es eine mehr gewesen als 2023 (61), erklärt Viktor Friesen, Direktor des Blomberger Amtsgerichts, auf Nachfrage. Damit liege die Steigerung – wie im Landesdurchschnitt – lediglich bei etwa 1,6 Prozent.
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Beim Amtsgericht Lemgo wiederum werde zu den Scheidungsurteilen keine konkrete Statistik geführt, es werden laut Richter Ulrich Heistermann nur laufende Familienverfahren, zu denen auch Ehesachen gehören, erfasst. Daher könne zur Anzahl der Scheidungsurteile keine Aussage getroffen werden.
Für das Amtsgericht Detmold kann Direktor Michael Wölfinger die Zahlen des IT.NRW mit einer hohen Steigerung an Scheidungen in Lippe bestätigen. 2024 seien vor dem Detmolder Amtsgericht 374 Ehen geschieden worden.