Bedeutendes Relikt gefunden: Wo jüdische Oerlinghauser früher badeten

Oerlinghausen. Es war wohl ein echter Zufall, dass ein bedeutendes Relikt aus der jüdischen Geschichte Oerlinghausens gefunden wurde. Eine außergewöhnliche Vertiefung im Keller des Hauses Hauptstraße 53 entdeckten Bauarbeiter im Jahre 2011 bei der Renovierung des großen Gebäudes gegenüber der Alexanderkirche, das früher einmal &bdquo;Langer Gottfried“ genannt wurde. Es stellte sich heraus, dass eine Mikwe dort in den Kellerboden eingebaut worden war, ein jüdisches Tauchbad, das der rituellen Reinigung diente. Der Oerlinghauser Stadtführer Wilfried Kohlmeyer hat die damalige Entdeckung verfolgt und berichtet, dass die früheren Hausbesitzer, die Gebrüder Paradies, das Tauchbad um 1860 ausmauern ließen. Die Mikwe kann man nicht mit einem Wannenbad oder einem hauseigenen Schwimmbecken vergleichen, denn sie besitzt ausschließlich religiösen Charakter. In einer Erläuterung des Zentralrats der Juden heißt es dazu: &bdquo;Ursprünglich war das Tauchbad vor dem Besuch des Tempels in Jerusalem nötig. Heute gehen traditionelle Frauen nach der Menstruation in die Mikwe. Auch Männer nutzen die Mikwe vor dem Schabbat oder Feiertagen. Häufig wird sie vor dem höchsten Feiertag Jom Kippur benutzt, um sich symbolisch reinzuwaschen. Bei Übertritten zum Judentum oder nach der Geburt eines Kindes geht man ebenfalls in die Mikwe. Einer körperlichen Reinheit dient sie nicht, da sich die Besucher vorher gründlich reinigen müssen. Beim Besuch der Mikwe taucht man unbekleidet dreimal vollständig unter Wasser. Frauen sprechen vorher einen Segensspruch. Symbolisch stellt eine Mikwe also die rituelle Reinheit her.“ Einst wurde hier eine Zigarrenmanufaktur betrieben Im Haus Hauptstraße 53, in dem die Mikwe entdeckt worden war, besaßen Moses und Heinemann Paradies ihre Wohnungen und betrieben in den 1860er Jahren dort eine Zigarrenmanufaktur. Sie hatten das Gebäude kurz zuvor vom Bäcker und Krugbesitzer Lübbertsmeier ersteigert, der in Konkurs gegangen war. Tabakverarbeitung boomte in jener Zeit, auch in vielen anderen Häusern in Oerlinghausen entstanden kleine Werkstätten, in denen aus den Tabakblättern längliche Zigarren gerollt wurden. Der wirtschaftliche Erfolg der Zigarrenhersteller gründete wohl auch auf der Beschäftigung vieler Kinder in der Tabakverarbeitung – was leider seinerzeit durchaus üblich war. Überdies stellten die Gebrüder Paradies den jüdischen Gläubigen Oerlinghausens einen Versammlungsraum zur Verfügung. Das Haus lag nur einen Steinwurf entfernt von der Synagoge an der Tönsbergstraße. In dem Gebäude richtete die damalige Synagogengemeinde sogar eine Elementarschule für jüdische Kinder ein. Dabei erweiterten die Geschäftsleute Paradies ihr Haus um einen Anbau zum Schneiderbrink hin, dort wo die Treppe auf den Tönsberg führt. Jüdische Gemeinde war im 19. Jahrhundert am größten Und bei der Größe der Oerlinghauser Gemeinde lohnte es sich sogar, einen Lehrer fest einzustellen. &bdquo;Im 19. Jahrhundert war die jüdische Gemeinde in Oerlinghausen am größten und hatte auch ihre wirtschaftlich bedeutendste Zeit“, schreibt der Historiker Alex Moll in einer Chronik. In ihrer aktivsten Zeit um 1870 meldete der Ortsvorsteher des Bergdorfes insgesamt 74 Mitglieder an die fürstliche Verwaltung, fast 40 davon waren Kinder unter 14 Jahren. Alex Moll sagte: &bdquo;Das Fürstentum Lippe besaß seinerzeit einen gemeinsamen Rabbiner, der von allen lippischen Gemeinden bezahlt wurde. In Oerlinghausen dagegen ist noch ein Lehrer fest angestellt worden, der zugleich als Cultusbeamter fungierte. In der Schule der jüdischen Gemeinde wurde so Religions- wie Elementarunterricht erteilt.“ Die Schule als Elementarschule bestand bis zum Jahre 1892, danach wurde sie nur noch als Schule für den religiösen Unterricht fortgeführt. Denn schon Ende des 19. Jahrhunderts setzte der Schrumpfungsprozess der jüdischen Gemeinde ein. Innerhalb kurzer Zeit zogen vier Familien aus Oerlinghausen aus unbekannten Gründen weg. Warum es schon Ende der 1920er keine Gottesdienste mehr in der Synagoge gab &bdquo;Um diese Zeit war es dann auch nicht mehr möglich, einen eigenen Schullehrer zu besolden“, recherchierte Alex Moll. Die wenigen übrig gebliebenen Familien schickten ihre Kinder zum jüdischen Religionsunterricht nach Lage. Kurz vorher allerdings baute die jüdische Gemeinde noch einmal eine neue Synagoge. Im Jahr 1893 wurde das Synagogengebäude an der Tönsbergstraße errichtet, das heute noch – bis auf eine Dachkuppel – erhalten ist. Später, gegen Ende der 1920er Jahre, fanden aber schon keine Gottesdienste mehr in der Synagoge statt, denn nach jüdischem Recht brauchte es zehn Männer über 14 Jahre, um einen Gottesdienst abzuhalten. Moses und Heinemann Paradies mussten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Konkurs anmelden, und das Gebäude Hauptstraße 53 ging in den Besitz von Kaufmann Friedrich Wiskemann über, der die umliegenden Gastwirtschaften und Krüge mit alkoholischen Getränken belieferte. Seitdem wurde die Mikwe nicht mehr benutzt und der Raum als Lager gebraucht. Danach wechselte das Haus mit dem Spitznamen &bdquo;Langer Gottfried“ noch mehrmals den Besitzer. Die Mikwe geriet wohl irgendwann in Vergessenheit – bis sie nun wieder auftauchte.

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