Stadtgeschichte

Vor 80 Jahren endeten die Kämpfe in Oerlinghausen

Mit Jugendlichen sollte Oerlinghausen im April 1945 gegen die Alliierten verteidigt werden. Viele kamen dabei ums Leben, der wahnwitzige Kommandant macht sich aus dem Staub.

Elbrachts Gasthaus lag direkt an der Hauptstraße neben der Alexanderkirche. Es wurde 1945 bei den Kämpfen zerstört und nicht wieder aufgebaut. | © Repro: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke

Horst Biere
09.04.2025 | 09.04.2025, 11:59

Oerlinghausen. Es war das blanke Chaos, das an den Ostertagen Anfang April 1945 in Oerlinghausen herrschte. Die alliierten Truppen rückten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von der Senne her zum Teutoburger Wald vor, ein letztes Aufgebot von zumeist jugendlichen Soldaten wollte Oerlinghausen verteidigen. Sie standen unter dem Befehl eines wahnwitzigen Kommandanten. Vor 80 Jahren endeten die blutigen Kämpfe äußerst tragisch. Oerlinghauser Zeitzeugen berichteten über die Katastrophentage, viele ihrer Schilderungen hat Bernhard Wintzer in einem Buch zusammengefasst.

Heinz Stölting lebt heute als 93-Jähriger noch in seinem Elternhaus am Stukenbrocker Weg. Er erzählt: „Wir sahen am Karfreitag, 30. März 1945, Trecks von Menschen mit ihrem Hab und Gut über den Stukenbrocker Weg nach Oerlinghausen fliehen. Wohin sie wollten, haben wir nicht erfahren, aber wir wussten, dass sie vor den ankommenden Amerikanern und den damit verbundenen Kämpfen flüchteten . . . Ostersonntag war ein herrlicher Sonnentag. Aus Richtung Lipperreihe hörten wir näherkommenden Gefechtslärm und Panzergeräusche. Wir sahen, wie die deutschen Lkw, die an den Panzersperren an der Holter Straße Nähe Freibad standen, beschossen wurden.

Plötzlich stand ein amerikanischer Panzer ca. 30 Meter von unserem Haus entfernt. Die nebenherlaufenden Soldaten winkten uns heran. Ein Offizier fragte uns, ob deutsche Soldaten im Haus seien. Sie verneinten das und durften in Begleitung von fünf US-Soldaten wieder zum Haus zurückgehen. Auf einmal wurde von deutscher Seite auf uns und die Amerikaner geschossen. Gemeinsam sind wir dann zum Haus gerobbt.“ Familie Stölting zog voller Angst in den Keller, doch nachts fing neuer Beschuss an. Heinz Stölting: „Nachts um kurz nach zwölf wurden wir plötzlich von Panzern beschossen – unser Haus stand in hellen Flammen, wir konnten nur noch aus dem brennenden Gebäude flüchten . . . Wir standen vor dem Nichts.“ Als sie sich wieder zum Haus trauten, sahen sie, dass Fußspuren mit Kopfnägeln rund ums Gebäude und an den Kellerlöchern zu finden waren. Ihr Fazit: „Deutsche Soldaten hatten sich in den Kellerlöchern versteckt, waren von den Amerikanern entdeckt und mit Panzergranaten beschossen worden.“

Die letzten Oerlinghauser Kriegstage

Ingeborg Schwarz, Frau des Pastors Schwarz, ist längst verstorben. Doch sie berichtete schriftlich über die letzten Oerlinghauser Kriegstage: „48 Stunden lang wurden die von Paderborn her vorstoßenden amerikanischen Panzer aufgehalten. Jugendliche der Hitlerjugend hatte man in Uniformen gesteckt, jeder dritte trug einen Karabiner oder eine Panzerfaust mit sich . . . Der Einschlag von Granaten im Pfarrgarten erschreckte uns, die wir im Keller saßen. Plötzlich donnerten Gewehrkolben gegen unsere Kellertür, ein deutscher Feldwebel und ein Soldat schrien, dass ein amerikanischer Panzer anrollte. Wir sahen noch, dass sie mit einer Panzerfaust den Panzer an der engen Stelle der Hauptstraße zum Stehen brachten. Die nachfolgenden Panzer konnten deshalb lange Zeit nicht weiter. . . . Der Kirchturm war von kanadischen Scharfschützen besetzt, die aus den Turmfenstern schossen. In dem Geschosshagel rannten wir in den tiefer gelegenen Kindergarten und suchten im Keller Schutz.“

Verteidigung gegen die Alliierten 1945. Ein deutsches Militärfahrzeug soll das Geschütz vorm Stadthotel in Oerlinghausen in die Stellung bringen.? Foto: Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke - © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke
Verteidigung gegen die Alliierten 1945. Ein deutsches Militärfahrzeug soll das Geschütz vorm Stadthotel in Oerlinghausen in die Stellung bringen.? Foto: Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke | © Repros: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke

Werner Höltke, der bald 96 Jahre alt wird, hat als Jugendlicher noch die Kämpfe und den Einmarsch der Alliierten erlebt. In einem seiner Bücher beschreibt er die Erlebnisse seines Freundes Karl Blanke. „Der jugendliche Blanke war am ersten Ostertag 1945 mit etwa 25 weiteren Soldaten, alle 16 bis 17 Jahre alt, mit Fahrrädern von Detmold nach Oerlinghausen gekommen. An der ehemaligen Volksschule (heute Rathaus) wurden sie mit einem Stahlhelm und einem Spaten ausgerüstet. Gewehre und Munition hatte man ihnen schon in Detmold gegeben. Sie mussten am Schafberg oberhalb von Helpup Schützenlöcher ausheben, um die Amerikaner unten auf der B66 aufzuhalten. Doch mit schweren Geschützen beschossen ihrerseits die Alliierten das Waldgebiet, sodass sich die Jungen in die Wistinghauser Schlucht zurückzogen. Dass sie nicht mehr ihre ausgehobenen Schützenlöcher besetzen mussten, lag an den schnell vorrückenden amerikanischen Panzern auf der Bundesstraße, die schon bald vor Helpup standen. Ein älterer Offizier hatte die Sinnlosigkeit der Verteidigung eingesehen und die Einheit auf Waldwegen an Stapellage vorbei zurückgeführt. Zwischen Lage und Detmold wurde die Einheit aufgelöst und die jungen Soldaten schlugen sich einzeln zu ihren Wohnorten durch. Auch Karl Blanke marschierte allein zu seinem Elternhaus in Fissenknick zurück und versteckte sich für einige Tage.“

Wie ein Zehnjähriger das Kriegsende erlebte

Der Friseur Werner Wiedemeier, der bereits verstorben ist, wuchs im Friseurgeschäft seiner Eltern an der Hauptstraße 4 (damals Adolf-Hitler-Straße) auf. Als Zehnjähriger hat er das Kriegsende erlebt. Er berichtete: „Bei uns im Geschäft waren acht bis zehn junge Soldaten einquartiert, alles junge Leute ca. 16 bis 20 Jahre alt. Bewaffnet mit einem Gewehr und wenig Munition. Mutter hatte gerade gewischt, als ein Soldat sich auf den Aufnehmer legte. Mutter sagte: Junge, steh auf, du wirst ja ganz nass. Darauf erwiderte er: Das macht nichts, morgen sehe ich ja sowieso die Kartoffeln von unten . . .

Sültemeiers Hof auf einer Zeichnung. Die Stallungen des Hofes – er lag dort, wo heute der Rewe-Markt steht, wurden bei den Kämpfen in Brand geschossen. Nur das Wohnhaus blieb weitgehend unversehrt. - © Repro: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke
Sültemeiers Hof auf einer Zeichnung. Die Stallungen des Hofes – er lag dort, wo heute der Rewe-Markt steht, wurden bei den Kämpfen in Brand geschossen. Nur das Wohnhaus blieb weitgehend unversehrt. | © Repro: Horst Biere / Quelle: Sammlung Höltke

Der Kommandant für die Verteidigung von Oerlinghausen, Oberleutnant Rademacher, stand vor der Apotheke, Nachbarn standen herum, auch Bürgermeister Möller. Rademacher schrie und erteilte Befehle. Er holte zwei, drei junge Soldaten aus dem Laden. Sie sollten eine Nachricht zum Naturfreundehaus (damals HJ-Heim) bringen. Ich sah, wie sie losmarschierten. Diese Jungen erkannte ich später tot an der Mauer an der Tönsbergstraße, zusammen mit anderen Soldaten. . . . Am Dienstag nach Ostern, am 3. April 1945, hatten alle Soldaten unser Haus verlassen. Da kam Rademacher herein und zog sich Zivilkleidung an. Woher er die hatte, weiß ich nicht. Die Amerikaner aber waren da noch nicht zu sehen. Dann sah ich ihn in Richtung Detmolder Straße abmarschieren.“

Bergstadt in der Hand der Alliierten

In der Altstadt leisteten die deutschen Truppen noch bis zum Dienstagabend, 3. April 1945 Widerstand, dann war die Bergstadt in der Hand der Alliierten. Etwa 70 deutsche Soldaten sind gefallen, fünf zivile Opfer sind zu beklagen. Wie viele Amerikaner ihr Leben ließen, ist unbekannt. Unablässig rollten nun die Kolonnen von US-Panzern, Lastwagen und Jeeps durch die zerstörte Innenstadt Richtung Osten, denn noch bis zum 8. Mai wurde im Deutschen Reich gekämpft.