Stadtgeschichte

Von Möbeln und Menschen

Die „Möbelbuden“ bildeten einen wichtigen Wirtschaftszweig in Oerlinghausen. Solide Holzprodukte fürs Wohnen und Schlafen. Heißenberg und Bobe zählten zu den Großen im Geschäft.

Oerlinghauser Möbelherstellung vor fast 100 Jahren. Schlafzimmerschränke fertigen die Mitarbeiter der Firma Heißenberg an der Hermannstraße. | © Repro: Horst Biere / Quelle: Stadtarchiv

Horst Biere
16.11.2024 | 16.11.2024, 08:23

Oerlinghausen. Unbezahlbar sind handgefertigte Möbel in unseren Tagen geworden. Wo heute Billy-Regale in den Einkaufswagen wandern und wo Couchgarnituren als Schnäppchen verramscht werden, wurden Möbel früher in bester Handarbeit und nach präzisem Aufmaß zumeist in kleineren Werkstätten hergestellt. „Möbelbuden“ wurden sie genannt – jene kleinen Firmen, die auch in Oerlinghausen vielen Menschen eine Arbeitsstätte gaben.

Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die ersten Tischlereien und Zimmereibetriebe im Bergdorf mit ihrer Arbeit. Denn nachdem die Leinenindustrie und auch die Zigarrenherstellung an Bedeutung verloren, erlebte die Möbelindustrie seinerzeit einen deutlichen Aufschwung. Vor dem Ersten Weltkrieg verzeichnete Oerlinghausen bereits ein rundes Dutzend Möbelhersteller, die im Schnitt um die 15 bis 20 Mitarbeiter besaßen. Und das Dorf war dabei beileibe kein Einzelfall. In ganz Ostwestfalen setzte vor einem guten Jahrhundert der Möbelboom ein.

Namhafte Oerlinghauser Unternehmen sind noch heute vielen bekannt: Richard Koch, Heinz Koch, August Budde, Fritz Brüntrup, Firma Fillies, Koch & Duhme. Aber auch Lange & Frormann und Elkenkamp in Helpup. Zu dem wohl größten Möbelhersteller der Bergstadt entwickelte sich die Firma Heißenberg, deren Produktion noch nach dem Zweiten Weltkrieg in einem langgestreckten Firmengebäude an der Hermannstraße oberhalb des Amtsgartens ablief. Zwei Gebäudeteile wurden durch einen großen Torbogen über der Jägerstraße miteinander verbunden.

Gründer Friedrich Heißenberg war bei Dietrich Koch an der Niedernstraße in die Lehre gegangen. Er machte sich 1888 selbstständig und begann zunächst recht bescheiden in einem Nebengebäude des Kastanienkrugs. Kurz vor der Jahrhundertwende kaufte er von Hermann Bornheim das Haus Jägerstraße Nr. 6 und legte damit den Grundstock für seine Fabrikation, die sich entlang der Hermannstraße ausdehnte.

Heißbergs Aufstieg begann übrigens mit „Kontormöbeln“, die er für die Weberei anfertigte. Bald kamen Regale und Garderoben hinzu. Nach dem Ende des Unternehmens in den 1950er Jahren übernahm die Firma Loewe Druck die Betriebsgebäude – die dann später in neue Hallen nach Sennestadt auswanderte.

Vom kleinen Zimmereibetrieb zum Unternehmen für den kompletten Hausbau

Ein sehr kreatives Unternehmen war die Firma Bobe an der früheren Detmolder Straße. Es entwickelte sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom kleinen Betrieb für Zimmererarbeiten zum Unternehmen, das komplette Häuser baute. Um 1900 bot Inhaber Adolph Bobe in einer Halle an der Detmolder Chaussee auch diverse Baustoffe an: Bruch- und Ziegelsteine aller Art, Zement, Dachpappe, Wand- und Bodenfliesen, Dachfenster und Sanitärartikel – wie ein neuzeitlicher Baumarkt.

Immer mehr wuchsen auch die Söhne der Familie, der 1878 geborene Carl und der 1882 geborene Wilhelm Bobe ins Geschäft hinein. Allerdings stieg Carl Bobe frühzeitig wieder aus, um sich seinen teils versponnenen, teil genialen Zukunftsvisionen zuzuwenden. (Die NW berichtete schon früher darüber). Sohn Wilhelm jedoch führte das väterliche Unternehmen erfolgreich weiter. Schon vor dem Ersten Weltkrieg erkannte Bobe den Trend zur modernen Einrichtung von Häusern. Speziell den Küchenmöbeln widmete sich das Unternehmen. Dank der guten Qualität und der vernünftigen Preise entwickelten sich Bobe-Küchen immer mehr zum Verkaufsschlager.

Der Grund lag vor allem in der genormten Serienproduktion. Denn obwohl der Tüftler Carl Bobe mit der Unternehmensführung nichts mehr zu tun hatte, entwickelte er doch Sitzmöbel und Küchen, die sein Bruder Wilhelm in der Fabrik herstellte. So entwarf er ein Küchen-Normsystem, das eine preisgünstige und rationelle Möbelherstellung begründete. Nur einmal verhob sich Wilhelm Bobe kräftig.

„Durch eine Betriebserweiterung im Jahre 1928 mit neuem Kesselhaus und riesigem Schornstein geriet der Betrieb in eine finanzielle Schieflage, die nur durch private Zuschüsse von Ehefrau Frieda und einen Kredit der Lippischen Landesbank überwunden wurde“, beschrieb es Werner Höltke einmal. Nach dem Tod von Wilhelm Bobe sen. übernahm der 18-jährige Sohn Wilhelm 1933 die Firma. Er belieferte über ein ausgefeiltes Vertretersystem bald ganz Deutschland mit modernen Küchenmöbeln aus Oerlinghausen. Schon kurz nach dem Zusammenbruch 1945 begann Wilhelm Bobe wieder mit der Produktion erster Kleinmöbel.

In der Nachkriegszeit ging die Post ab in der Möbelherstellung in Deutschland. Nach den Kriegsschäden brauchte man dringend Wohnmöbel – und die lieferte Firma Bobe in bewährter Qualität. Die Sättigung des Möbelmarktes und die Konzentration auf der Herstellerseite setzte den kleineren Möbelherstellern jedoch ab der Mitte der 1960er Jahre kräftig zu. Werner Höltke sagt: „Die Firma Bobe schloss 1965 die Tore.“ Das Firmengebäude allerdings wurde erst Ende 2017 abgerissen.