Der Traum vom Fliegen – ein Eignungstest auf dem Oerlinghauser Segelflugplatz

Oerlinghausen. &bdquo;Du lenkst uns jetzt mal zur Startbahn“, sagt Markus Horowski und zeigt auf zwei Pedale im Fußraum des Cockpits. &bdquo;Mit links nach links, mit rechts nach rechts – ganz einfach.“ Ich tue, wie mir geheißen – aber ganz einfach ist anders. Im Zickzack-Kurs – teils haarscharf an der Graskante entlang – eiern wir in Richtung Piste. Ich frage mich, was etwaige Zuschauer wohl denken, wenn sie uns jetzt so sehen. Glücklicherweise kann ich niemanden entdecken. &bdquo;Völlig normal“, beruhigt mich der Fluglehrer. &bdquo;Das macht wirklich jeder so am Anfang – und in der zweiten Stunde klappt’s dann auf einmal problemlos.“ Mach ich’s oder mach ich’s nicht? Diese Frage stelle ich mir jetzt seit gut einem Jahr. Im Grunde schon seit Jahrzehnten. Jedenfalls immer wieder zwischendurch. Flugzeugfan bin ich schon seit meiner Kindheit. Mitgeflogen bin ich unzählige Male – mitunter in abenteuerlichen Fluggeräten. Aber selber Pilot werden? Das hat irgendwie nie so richtig gepasst. Mal war’s das fehlende Geld, mal die fehlende Zeit, mal der vorübergehende Wohnsitz am anderen Ende der Welt. Mal waren es irgendwelche Flausen im Kopf, mal irgendwelche Frauen, die mich ablenkten. Manchmal fehlte mir wohl auch ein bisschen der Mumm. Und zuweilen alles auf einmal. Jetzt bin ich 48, hab zwei kleine Töchter, kaum Zeit und – mal wieder – nicht besonders viel Geld übrig. Und meine Frau – wie sollte es anders sein – hasst die Fliegerei. Und trotzdem: Der Gedanke lässt mir immer noch keine Ruhe: Mach ich sie jetzt noch, meine Lizenz? Oder lass ich den Traum vom Fliegen endgültig sausen? Der Pilot fliegt dorthin, wohin er guckt &bdquo;Vielleicht hab ich ja gar kein Talent, dann hätte sich wenigstens diese Grübelei erledigt“, habe ich neulich in einem Gespräch mit einem Piloten gesagt. &bdquo;Mach doch mal ’ne Schnupper-Flugstunde“, hatte der daraufhin vorgeschlagen. &bdquo;Der Fluglehrer kann dir nach drei Minuten sagen, ob das mit dir hinhauen könnte oder nicht.“ Und so bin ich bei der UL-Flugschule Oerlinghausen gelandet. Gründer und Betreiber Markus Horowski steht in der Tür einer kleinen, weiß gestrichenen Holzhütte, ganz am Ende des Flugplatzes. Im Inneren: ein Tisch, ein paar Stühle und eine Tafel an der Wand. Für den Theorie-Unterricht. Und in der Ecke eine Kaffeemaschine. Draußen vor der Tür steht ein kleines weißes Ultralight-Flugzeug, eine FK9 Mark 4. &bdquo;Das ist alles. Größer sind wir nicht“, sagt der 39-Jährige und scheint sich selbst darüber zu amüsieren. &bdquo;Wollen wir auch gar nicht sein.“ Erklärend schiebt er hinterher, dass er im Hauptberuf Softwareentwickler ist und die kleine Flugschule eigentlich nur aus Spaß an der Freud betreibt, weil er halt seit vielen Jahren ein passionierter UL-Flieger sei und diese Leidenschaft weitervermitteln möchte. Wir machen einen kleinen Rundgang ums Flugzeug. Markus erzählt mir Dinge zum Propeller, zum &bdquo;Cowling“, zum &bdquo;Pitotrohr“, zu den &bdquo;Trimmblechen“, zu den &bdquo;Flaps“ und zum &bdquo;Static Port“. Alles muss vorher gecheckt werden. Eifrig mache ich mir meine Notizen. Als wir uns ins Cockpit begeben – ich darf mich zum ersten Mal in meinem Leben auf die linke Seite setzen – erläutert er mir die Funktionen und Funktionsweisen der verschiedenen &bdquo;Uhren“. Notizen mache ich mir keine mehr. Mir schwirrt der Kopf. Vielleicht hab ich’s noch nicht gesagt: Ich bin nicht sehr technikaffin, meine Begeisterung für die Fliegerei ist rein romantischer Natur. Ich ertappe mich dabei, dass ich nicht mehr richtig zuhöre – und schäme mich dafür. Was das Gesamtrettungssystem ist &bdquo;Das da ist der Panic Button“, sagt Markus dann lachend und zeigt auf einen roten Griff in der Mitte des Panels. &bdquo;Wenn ich da oben einen Herzinfarkt kriege und nicht wieder aufwache, nimmst du das Gas weg und ziehst einmal kräftig daran“, sagt Markus. Er spricht vom &bdquo;Gesamtrettungssystem“. Auf einmal bin ich geistig wieder voll da. &bdquo;Und dann?“, will ich wissen. &bdquo;Dann fliegt hinten eine Rakete raus und das Flugzeug gleitet an einem großen Fallschirm zu Boden – hoffentlich“, sagt Markus. &bdquo;So, und jetzt starten wir. Und nach dem Flug setzen wir uns noch mal kurz hin und ich erzähl dir, wie schlecht du warst.“ Einverstanden. Ein paar Minuten später sind wir schon in der Luft. Abgesehen von der beschwerlichen Fahrt zur Startbahn musste ich bislang noch nichts tun. Das soll sich nun ändern. &bdquo;Jetzt machst du mal eine schöne Rechtskurve“, sagt Markus und zeigt auf meinen Steuerknüppel. Wie? Jetzt schon? Wir sind doch noch im Steigflug!? Na, sei’s drum. Ich greife mir den Knüppel und lege die Maschine ziemlich entschlossen in eine Rechtskurve. &bdquo;Na, wir wollen’s mal nicht übertreiben“, sagt Markus, greift nach seinem Steuerknüppel und bringt das Flugzeug zurück in die Ausgangslage. &bdquo;Ganz leichte Bewegungen reichen“, erklärt er. Ich nicke. &bdquo;Siehst du da unten die A33?“, fragt er etwas später und zeigt auf die orange-silbern in der Nachmittagssonne glitzernde Autobahn. &bdquo;Da fliegen wir jetzt drüber, dann machst du eine Linkskurve und folgst der Straße. Am besten so, dass du sie immer links von dir im Auge behältst.“ Vorsichtig – viel vorsichtiger als beim ersten Mal – bewege ich den Steuerknüppel nach links. Und siehe da: Auch die Maschine legt sich ganz vorsichtig nach links. Nach einigen Sekunden hab ich die Kurve gekriegt und fliege wieder geradeaus, die A33 links unter mir immer fest im Blick. &bdquo;Das war schon viel besser“, sagt Markus. &bdquo;Aber: Wir befinden uns schon die ganze Zeit in einem leichten Sinkflug. Das liegt daran, dass man unbewusst immer dorthin fliegt, wo man hinschaut. Am besten guckst du nicht so viel nach unten, sondern suchst dir irgendeinen Punkt da hinten am Horizont.“ Ich gucke mir ein paar Windräder aus, davon gibt’s hier jede Menge. Etwas später drehen wir Kurven überm Bielefelder Kesselbrink, statten der Uni einen Besuch ab und schauen uns über Gütersloh Nobilia und Miele von oben an. Wenn ich in den Kurven das Gefühl habe, wieder ein wenig zu sinken, versuche ich das auszugleichen, indem ich die Maschine wieder ein wenig steigen lasse. Mit jeder Kurve klappt’s besser. Das anfängliche Schlenkern und Schlingern beim Geradeausfliegen ist meines Erachtens auch schon weniger geworden. Markus hat tatsächlich ein paarmal &bdquo;super gemacht“ gesagt und mich für meine &bdquo;Ruhe am Steuer“ gelobt. Und ich muss sagen, ich fühle mich ganz wohl, so als Pilot. Ich freue mich über die Landschaft unter uns und über die kleinen Wölkchen, die knapp über uns dahinziehen. Zweimal bin ich drauf und dran, die Melodie von Oliver Onions &bdquo;Flying through the air“ zu pfeifen, dann entsinne ich mich des Mikrofons vor meinem Mund und lasse es. Wann am Steuer mehr gemacht werden muss &bdquo;So, jetzt fliegen wir mal etwas langsamer“, sagt Markus und zieht den Gashebel zurück. Der Motor wird leiser, es fühlt sich an, als blieben wir stehen, ich spüre ein leichtes Unbehagen, aber nur ganz kurz. &bdquo;Jetzt flieg mal eine Kurve.“ Ich stelle fest, dass ich jetzt viel mehr tun muss, um bei der Maschine die gewünschte Reaktion zu erreichen. &bdquo;Das ist so“, bestätigt Markus. &bdquo;Je langsamer wir fliegen, desto mehr müssen wir am Steuer machen. Und wenn wir schnell fliegen, reichen minimale Bewegungen.“ Wir fliegen dahin, die Zeit auch. &bdquo;Da vorne überm Holter Wald kannst du eine 180-Grad-Wende machen, und dann können wir schon fast den Landeanflug auf Oerlinghausen einleiten“, sagt Markus. Kurz darauf übernimmt er wieder das Steuer. Das ist auch gut so – im Landeanflug kommen die Bäume des Teutoburger Waldes ganz schön nah an uns heran. Und Seitenwind haben wir auch. Für einen erfahrenen Fluglehrer natürlich alles kein Problem. Als wir aus dem Flieger klettern, bricht es aus mir heraus: &bdquo;Und? Bin ich völlig talentfrei? Nun sag schon! Aber ganz ehrlich!“ Markus lacht. &bdquo;Nö“, sagt er dann. &bdquo;Talentfrei bist du nicht.“ Bevor ich auch nur eine Sekunde lang euphorisch werden kann, schiebt er hinterher: &bdquo;Aber hochbegabt bist du auch nicht. Du bist in etwa so gut oder so schlecht wie 80 Prozent aller Schüler in ihrer ersten Stunde. 15 Prozent sind schlechter. 5 Prozent sind besser.“ Okay, das reicht mir, damit bin ich zufrieden. Noch vor gut einer Stunde hatte ich Schlimmeres befürchtet. &bdquo;Du kannst das Fliegen lernen – da hab ich keine Bedenken“, lautet Markus Antwort auf meine letzte Frage. &bdquo;Du kannst das Fliegen lernen“ – ein Satz wie Musik in meinen Ohren. Die andere Frage indes bleibt vorerst unbeantwortet: Mach ich’s oder mach ich’s nicht?

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