
Oerlinghausen. Es war im Jahre 1890. Das deutsche Kaiserreich stand in voller Blüte, die Menschen hatten mehr Freizeit neben ihrer Arbeit, Sport- und Freizeitaktivitäten begannen im Bürgertum allmählich Fuß zu fassen. Auch in Oerlinghausen machte man sich Gedanken darüber, wie man die landschaftlich schöne Lage mitten im Teutoburger Wald wirtschaftlich für sich nutzen konnte. „Kein Wunder, dass sich endlich ein Verein auftat, der sich die Verbesserung der Wege und eine Hebung des Fremdenverkehrs zum Ziel setzte“, berichtet der ehemalige Bürgermeister August Reuter in seiner Chronik. Am 22. September dieses Jahres war es so weit, ein Verschönerungsverein wurde aus der Taufe gehoben. „Zu seinen Gründervätern gehörten die Unternehmer Carl Weber junior und Bruno Müller, sowie eine Handvoll Geschäftsleute wie Georg Sprenger, Bäcker Nagel, Hermann Weeke, Alex und Carl Paradies und einige andere“, schreibt Reuter. Einer der ersten Beschlüsse des jungen Vereins lautete „den Philosophenweg etwas zu verbreitern und zu ebnen“.
Der berühmte Weg in Heidelberg stand Pate für den Philosophenweg
Der Philosophenweg? Was war das für ein Name für einen einfachen Waldpfad am Tönsberg. Doch er spiegelt wohl den Zeitgeist jener Epoche wider, als man sich stolz „Luftkurort“ nannte und farbenfrohe Postkarten aus der „Sommerfrische Oerlinghausen“ in alle Welt schickte. Der Philosophenweg war etwa 750 Meter lang, verlief an der Nordseite des Berges – vom jüdischen Friedhof im weiten Bogen oberhalb der Hermannstraße entlang bis wieder hinauf zum Kammweg. Der erste Oerlinghauser Reiseführer lobte den Philosophenweg in den höchsten Tönen: „Bei Südwestwinden völlig geschützter reizender Promenadenweg“. Und dann: „Wer Ruhe und Erholung sucht, wer dem Getriebe der Städte entfliehen möchte, wer ein offenes Auge hat für die hehren Schönheiten der großzügigen Bergwelt und die intimen Reize idyllischer Tal-gründe, der wird in Oerlinghausen gern verweilen.“

Es waren wohl die Fabrikantenfamilien Weber und Müller, die auf die Idee mit dem Philosophenweg kamen. Die Familien kannten den berühmten Weg gleichen Namens aus Heidelberg. Denn Helene Weber, die Mutter des Wissenschaftlers Max Weber und die Schwägerin vom Textilunternehmer Carl-David Weber, stammte aus Heidelberg. Und die Weber-Töchter Anna (geboren 1851) und Herta (geboren 1853) besuchten in Heidelberg ein Pensionat für höhere Töchter. Und schließlich lebte auch das bekannte Wissenschaftlerpaar Max und Marianne Weber lange in der Stadt am Neckar. Marianne Weber sogar bis zu ihrem Tod im Jahre 1954. Der Philosophenweg in der Universitätsstadt Heidelberg gilt als Spazierpfad der Akademiker und Romantiker um Eichendorff mit einem echten Postkartenblick auf die Altstadt und das Schloss, den Neckar und die Rheinische Tiefebene. In Oerlinghausen gingen auch Marianne und Max Weber bei ihren Aufenthalten regelmäßig den steilen Berghang empor zum Philosophenweg und sie genossen die weite Aussicht bis zum Weserbergland.

Der Verschönerungsverein von 1890 beschränkte seine Aktionen jedoch nicht allein auf den Philosophenweg. Man begann weitere Spazierwege anzulegen und den Tönsberg an vielen Stellen vom Buschwerk zu befreien. Damit die Gäste sich wohlfühlten, beschloss der Gemeinderat, auch zehn Ruhebänke anzuschaffen. Firma Bobe erhielt den Auftrag, die Holzbänke zu produzieren und sie dort aufzustellen – ohne Anstrich aber mit einem Brandzeichen versehen: „V.V.O.“ (Verkehrsverein Oerlinghausen). Nach einigen Jahren hatte man bereits ein größeres Netz von gepflegten Wegen eingerichtet. Es wurden Hinweisschilder für Wanderungen nach Detmold oder nach Bielefeld aufgestellt. Nun kam auch die erste Werbeschrift der Sommerfrische Oerlinghausen auf den Markt und wurde an Freunde und Bekannte der Mitglieder verschickt. Der Tourismus in Oerlinghausen nahm Fahrt auf, denn auch die Gastronomie und die Geschäftswelt profitierte von den Gästen. Stets wurde auch der Philosophenweg hervorgehoben. Doch im Laufe der Jahrzehnte verfiel er immer mehr. Er wucherte zu, man konnte ihn kaum noch erkennen. Bis in unseren Tagen eine Rückbesinnung auf den malerischen Wanderweg eintrat.
Im Jahre 2014 wird der Weg aufgehübscht und gestaltet
Im Jahre 2014 rückte der vernachlässigte Philosophenweg wieder ins Blickfeld der lokalen Politik. Denn durch das vom Land NRW und von Lippe Tourismus und Marketing geförderte Projekt „Wanderkompetenzzentrum“ profitierte auch dieser Weg. Der historische Pfad wurde mit Informationstafeln zu herausragenden Persönlichkeiten versehen, die auch aktuell dort zu sehen sind. An den großen Soziologen Niklas Luhmann, der in Oerlinghausen lebte, wird zum Beispiel erinnert, an den Philosophen Immanuel Kant, an die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir und natürlich auch an Marianne und Max Weber. Die hochwertig gestalteten Tafeln mit literarischen und philosophischen Sprüchen laden manchen Spaziergänger zum Verweilen ein. In diesem Jahr haben allerdings die extremen Stürme den Philosophenweg unpassierbar gemacht. Im vorderen Teil jedoch wurden die querliegenden Bäume bereits entfernt, und man kann wieder auf dem historischen Pfad mit seinem berühmten Blick bis zur Porta Westfalica spazieren gehen.