05.02.2019 | 05.02.2019, 21:11
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Sexualverbrechen in Lippe
Es waren die Opfer, die sich Details zu ihren Peinigern gemerkt haben. Sie sorgten dafür, dass nun alles ans Licht kam.
Detmold. Weil sie sich die Stimmen und Namen der Männer gemerkt haben, die im Live-Chat Anweisungen zum sexuellen Missbrauch gaben, haben jugendliche Opfer die Ermittler auf die Spur der Kinderschänder von Elbrinxen gebracht. Dank der Hinweise der jungen Opfer wurden die drei Täter, die mindestens 29 Kindern auf dem Campingplatz missbraucht haben sollen, verhaftet.
Die Tatverdächtige sitzen inzwischen wegen schweren Kindesmissbrauchs in Untersuchungshaft. Weitere Mittäter sind nicht ausgeschlossen. Das sagen die Verteidiger der drei mutmaßlichen Täter und die Detmolder Staatsanwaltschaft.
Johannes Salmen aus Lage vertritt den 56-jährigen Hauptbeschuldigten: „Ich habe mit ihm kurz die Vorwürfe besprochen", sagt Salmen. Inzwischen sei sein Mandant aus der JVA Detmold in ein anderes Gefängnis verlegt worden. Zu den Vorwürfen will er laut Salmen erst einmal nichts sagen. Sein Mandant muss sich derzeit wegen schweren sexuellen Missbrauchs an mindestens 29 Minderjährigen sowie Herstellung und Verbreitung von Kinderpornos verantworten.
Rechtsanwalt Jann Henrik Popkes aus Schlangen verteidigt einen 48-jährigen, ledigen Handwerker aus Stade, der via Internet im Herbst 2010 und Januar 2011 an zwei kostenlosen Sex-Livechats teilgenommen haben soll. „Mein Mandant hat den Hauptverdächtigen im Internet kennengelernt und ist auch zu einem Besuch nach Lippe eingeladen worden. Er lehnte ab", sagt Popkes. Die Polizei sei auf ihn gekommen, da ein Mädchen, das damals vor laufender Kamera missbraucht worden sei, sich an den Namen des Handwerkers erinnern konnte. Der Vorwurf gegen den Mann lautet Anstiftung zu schwerem sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in zwei Fällen.
Rechtsanwalt Jürgen Bogner verteidigt einen 33-jährigen, ledigen Arbeitslosen aus Steinheim. Er muss sich wegen Beihilfe zu schwerem sexuellen Missbrauch in mindestens drei Fällen verantworten. Der Mann hatte ebenfalls einen Dauerstellplatz auf dem Campingplatz und kannte und unterstützte nach Darstellung der Staatsanwaltschaft den Hauptverdächtigen.
Zwei Oberstaatsanwälte und eine Staatsanwältin kümmern sich um die Missbrauchsfälle und auch um die Vorwürfe gegen Polizei und Jugendämter, denen Strafvereitelung im Amt vorgeworfen wird.
Zur Kritik, dass die betroffenen Mitarbeiter von Jugendämtern und Polizei während der laufenden Ermittlungen nicht vom Dienst freigestellt werden, wollte sich Oberstaatsanwalt Ralf Vetter nicht äußern. Er betonte, dass die 13.000 kinderpornografischen Dateien, die bei der Festnahme des Beschuldigten sichergestellt worden seien, nicht alle auf dem Campingplatz aufgenommen worden seien. Der Hauptverdächtige habe sich viele Dateien aus dem Internet gezogen.
Nur ein „kleiner Teil" der Bilder und Filme enthalte Aufnahmen aus dem Elbrinxer Fall. Vor allem die Übergriffe an dem heute achtjährigen Pflegekind des Hauptbeschuldigten seien in Videos und Fotos festgehalten worden: „Wir haben keine Hinweise, dass er die Kinderpornos zum Verkauf anbot, um seine Hartz IV-Bezüge aufzubessern."
Derweil ist die Ermittlungskommission im Bielefelder Polizeipräsidium auf 20 Ermittler aufgestockt worden, so Polizei-Sprecherin Sonja Rehmert. Das Team unter Leitung von Kriminaldirektor Bernd Flake werde voraussichtlich noch um weitere Experten aufgestockt. Dabei sei es möglich, dass lippische Kollegen für eine gewisse Zeit nach Bielefeld kommen.
„Es ist ein Behördenversagen an allen Ecken und Kanten", kritisierte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die lippische Polizei. Die Beamten seien 2016 Hinweisen nicht nachgegangen. Deswegen sei auch gegen Polizisten Strafanzeige gestellt worden. „Wir prüfen jetzt ganz genau, woran das gelegen hat, um daraus Konsequenzen zu ziehen", sagte Reul.
Das kommentiert Landrat Dr. Axel Lehmann, Chef der Kreispolizeibehörde, so : „Die Bereitschaft, die Vorgänge selbstkritisch aufzuarbeiten und mit der Staatsanwaltschaft zu kooperieren, umfasse natürlich auch die Polizei Lippe." Die Beurteilung des Verhaltens einzelner Mitarbeiter in dieser Angelegenheit liege bei den Ermittlungsbehörden.
Die Frage, ob er die politische Verantwortung für das „Behördenversagen", wie Innenminister Reul es nannte, übernehmen wolle – beantwortete Dr. Axel Lehmann nicht.
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