Interview zu Demos im Kreis Höxter: „Hass und Hetze nicht stehen lassen“

Hätten Sie noch vor sechs, sieben Wochen gedacht, dass es eine solche Entwicklung geben wird, dass Hunderttausende auf die Straße gegen rechts, gegen die AfD? Nora Wieners: Ich wusste, dass es viele Menschen gibt, die es den demokratischen Parteien zutrauen, unser Land zu führen. Aber dass sie das in solchem Protest formulieren und zusammen auf die Straße gehen, damit habe ich tatsächlich nicht gerechnet. Eine positive Entwicklung, die Mut macht. Ricardo Blaszczyk: Das ist ein Bewusstsein von Werten, die die Menschen wieder oder ganz neu erleben. Es geht nicht nur um eine bunte Gesellschaft, sondern um Grundwerte, eine Grundordnung und ein Wertegerüst, die die Menschen in Gefahr sehen. Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes, das uns 75 Jahre Frieden in Europa gesichert hat. Und nein, auch ich hätte nicht gedacht, dass die Menschen für diese Grundordnung und diese Werte so stark auftreten würden. Was motiviert Sie ganz persönlich? Zum einen aufzustehen gegen rechts, zum anderen Demos zu organisieren? Nora Wieners: Ich bin Sozialdemokratin durch und durch. Ich kann nicht anders. Das allein ist schon Motivation für mich. Keine andere Partei ist so lange für Demokratie eingestanden. Das möchte ich gern weiterführen – und als demokratische Partei die bunte Gesellschaft im Kontext der Demokratie abbilden. Durch Corona sind viele Treffpunkte für Menschen weggefallen. Die Demos sind Orte des Kontaktes, die die Gesellschaft miteinander verknüpfen und ihre Werte verdeutlichen. Das ist super-wichtig. Jetzt ist der Zeitpunkt, dass wir so etwas wieder brauchen. Ricardo Blaszczyk: Wir dürfen die Vielfalt und die Breite in unserer Gesellschaft nicht verlieren, dürfen nicht durch politisch rechte Mächte Randgruppen nach außen drängen lassen. Sie alle müssen sichtbar bleiben oder sichtbar gemacht werden. Es geht um die Gesellschaft als Ganzes, zu der wir alle dazugehören. Wie definieren Sie selbst für sich diese bunte Gesellschaft? Was ist Demokratie? Ricardo Blaszczyk: Demokratie ist Willensbildung der Mehrheit. Problem: Demokratie kann niemals alle Menschen hinter sich vereinen, die alle zu einer Entscheidung stehen. Aber durch die Wahl hat die Mehrheit einen direkten Einfluss auf Entscheidungen. Demokratie ist dadurch aber angreifbar und verletzlich – gerade in unserer schnellen und komplizierten Welt. Und das macht sich der rechte Sumpf zunutze. Demokratie trägt letztlich alle mit. Nora Wieners: Demokratie heißt für mich auch verhandeln und aushalten. Ein Kernelement: Jeder hat ein Recht darauf, gehört zu werden. Es gibt kein allein herrschendes Wissen, keine alleinige Macht, sondern sie wird von einer breiten Gesellschaft getragen. Ist es Ihrer Ansicht nach bei uns im ländlichen Raum einfacher oder schwieriger, die Menschen mit den Themen Demokratie, Respekt, Toleranz und Vielfalt zu erreichen? Nora Wieners: Jein. Es ist einfacher, weil man im Vertrauten viele Menschen kennt – im Alltag, über Vereine. Und gut miteinander vernetzt ist. Irgendwer kennt immer irgendwen. Da läuft vieles über direkte Ansprache, persönliche Bindung, Wertschätzung. Ein geschlossenes System in den Dörfern. Und ein Urvertrauen in dieses System. Darauf, dass es die Demokratie doch irgendwie immer weiter geben wird. Das macht ein bisschen bequem. Ich kann super-gut verstehen, dass man da beim Regenschauer eher auf dem Sofa sitzenbleibt, statt zur Demo zu gehen. Und ich glaube an die persönliche Ansprache und daran, dass es mehr Potenziale als Hemmnisse in unserer Gesellschaft gibt, dann doch aufzustehen. Ricardo Blaszczyk: Gewachsene Strukturen auf dem Land muss man anders betrachten als die in Großstädten, wo Bevölkerung sowie Nachbarn ständig wechseln. Auf dem Land dauert es länger, bis sich feste Strukturen bewegen und verändern – in Großstädten ändern sich auch Wahlergebnisse viel schneller. Doch gar nichts zu tun, das wäre gefährlich. Und der Spruch: &bdquo;Das haben wir schon immer so gemacht.“ Deshalb sollte man auf jeden Fall zur Wahl gehen und seine Stimme abgeben. Denn die Rechten schaffen es, ihre Wähler zu mobilisieren. Das Vertrauen der ländlichen Bevölkerung: Die anderen werden schon wählen gehen, das ist gefährlich. Wie sollten Eltern und Schule reagieren? Gerade vor dem Hintergrund, dass AfD und Co. es bestens verstehen, die Social-Media-Kanäle zu bespielen. Ricardo Blaszczyk: Aufklärung sollte das Mittel Nummer eins in Elternhaus und Schule sein. Das heißt aber auch: nicht nur aktiv über die NS-Zeit aufzuklären, sondern dieses alles auch in einen aktuellen Kontext zu setzen. Die jungen Leute müssen wissen, die in den sozialen Netzwerken die Blasen zustande kommen, wann wie ein Algorithmus greift, wenn man schnell etwas angeklickt hat. Es gibt eine sinnvolle europäische Initiative, die die Social-Media-Betreiber in die Pflicht nehmen will. Nora Wieners: Ich bin froh, dass das Geld für politische Bildung nicht gestrichen wurde. Wir brauchen Gegenpole in Schule und Medien. Wir brauchen Mut. Aber wir brauchen auch einen viel stärkeren Austausch. Es gibt im Kreis Höxter so viele Schulen gegen Rassismus, die gute Arbeit machen. Aber jede macht ihr eigenes Ding. Man lernt aber viel mehr durch einen schulübergreifenden Austausch. Was geben Sie ganz konkret Menschen für einen Tipp an die Hand: Wie sollten sie auf rechte Parolen reagieren? Ricardo Blaszczyk: Abwägen, ob man mit einem Post auf Social Media eine Diskussion nicht noch mehr befeuert, wenn es darauf 2.000 Kommentare von AfDlern gibt. Da steckt dann meist ein Bot dahinter. Wichtig ist es, auf sein persönliches Umfeld zu achten. Und den Gegenüber ganz direkt darauf anzusprechen, wenn er oder sie &bdquo;Du Jude“, &bdquo;Du Türke“, &bdquo;Du Transe“ sagt. Weiß er überhaupt, was er sagt? Und ihm deutlich machen: Was Du da sagst, ist zutiefst rassistisch. Diskriminierendes ist schnell dahingesagt. Das muss der Gegenüber eine klare Ansage bekommen, um das zu verstehen. Wenn uns im Alltag so etwas auffällt, dann ist unser Einsatz gefordert. Nora Wieners: Ich persönlich kann so etwas immer ganz schlecht aushalten. Wenn ich mich sicher fühle in meiner Umgebung und in der Situation, dann kann und dann will ich dagegen halten. Doch: Immer erst sich selbst schützen und dann Hilfe leisten. Im Internet sollten wir rechte Kommentare hinterfragen und damit entwerten. Auch dafür hilft es, sich weitere Mitstreiter dafür zu suchen, die mit kommentieren. Denn das Schlimme ist: Was steht, ist Meinung. Hass und Hetze dürfen wir nicht stehen lassen. Wie wird, wie soll es weitergehen im Kreis Höxter? Schließlich stehen Wahlen an, unter anderem Anfang Juni die Europawahlen. Wie können die Menschen im Kreis sich beteiligen? Ricardo Blaszczyk: Ein Feuer brennt nur so lange, wie man Holz nachlegt. Aber wir als Bündnis wollen und können dieses Holz nicht allein sein, können das nicht alles selbst machen. Wir bilden einen Rahmen, wir geben eine Plattform für die Menschen, die sich engagieren wollen, bringen sie zusammen. So haben sich nach der Demonstration in Warburg vier Arbeitsgruppen gebildet, die weitere Veranstaltungen und Aktionen planen. Sie alle und wir wollen diese Bewegung am Leben halten. Dafür kann man uns gern ansprechen. Nora Wieners: Wir wollen die Menschen zusammenbringen – also gern schreiben. Eigeninitiative ist super, Einzelpersonen und Institutionen können zusammen vieles schaffen. Und wer sich dauerhaft engagieren möchte, der kann sich den demokratischen Parteien beitreten.

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