Würmseemord-Prozess: Ist Robert E. aus Warburg schuldfähig?

Warburg/Hannover. Ein psychiatrisches Gutachten soll einem Gericht auch in einer ganz elementaren Frage weiterhelfen: Kann der Angeklagte vollumfänglich oder zumindest teilweise für die ihm zur Last gelegte Tat verantwortlich gemacht werden? Am Ende entscheiden müssen das freilich die Juristen. Das betont auch der Hannoveraner Sachverständige Tobias Bellin, der sich in den vergangenen Wochen und Monaten intensiv mit Robert E. aus Warburg auseinandergesetzt hat. Aber der Gutachter gibt doch eine Einschätzung ab. Und die basiert unter anderem auf den E. zur Last gelegten Taten und einem versuchten Totschlag, für den der Warburger bereits im Gefängnis saß. Denn Robert E. schwieg bislang, wann immer es um den Tod von Kerstin Simone G. aus Burgwedel am Würmsee ging. Der versuchte Totschlag Im Jahr 2001 ist Robert E. im Wald bei Sababurg in Hessen auf eine Frau losgegangen und stach ihr mit einem Messer in den Brustkorb. Das Opfer überlebte. Und E. wurde wegen versuchten Totschlags zu fünf Jahren Haft verurteilt. E. wurde, wie Gutachter Bellin rekapituliert, kurz nach der Tat von der Polizei ausfindig gemacht, weil er mit dem Auto in einen Graben gefahren war. &bdquo;Das wurde als suizidale Handlung gewertet“, sagt Bellin. In der Vernehmung durch die Beamten habe E. &bdquo;alles sagen“ wollen. Und Bellin geht davon aus, dass der Warburger in dieser Situation &bdquo;am ehrlichsten“ war. E. sei damals im Raum Kassel und Paderborn herumgefahren, um Frauen zu beobachten. Im Gepäck: ein Seil, ein Messer, Handschuhe, ein Sexheft, Klebeband und ein Fernglas. Zu beobachten sei &bdquo;suchtartig“ gewesen, gibt Bellin wieder, aber das Verhalten sei nicht sexuell motiviert gewesen, sondern angetrieben durch &bdquo;Hass auf Frauen“. Am Tattag sei E. ebenfalls unterwegs gewesen und dann überraschend auf eine Frau getroffen. &bdquo;Plötzlich stand die im Wald vor mir“, zitiert Bellin aus dem Vernehmungsprotokoll. Robert E. habe aus einem &bdquo;Hassgefühl“ zugestochen und im Anschluss eine &bdquo;Erleichterung“ verspürt. Erst später wich E. laut Bellin von dieser Erklärung ab. Gab an, der Voyeurismus sei doch &bdquo;erregend“ gewesen und er habe nach dem Beobachten der ihm fremden Frauen masturbiert. Als er der Frau im Wald gegenüberstand, habe er seine Mutter vor sich gesehen und sei wie &bdquo;fremdgesteuert“ gewesen. Das Verhältnis zwischen E. und seiner Mutter war, wie berichtet, von Tablettenmissbrauch und Vernachlässigung geprägt. Gleichwohl hält Bellin wohl nicht allzu viel von dieser Erklärung: &bdquo;Er ist seiner Mutter mehrfach auf der Straße begegnet, ohne sie anzugreifen.“ Weiter sagte E. damals, er hasse keine Frauen, er sei von der Polizei in der Vernehmung &bdquo;in diese Richtung gedrängt“ worden. Der Mord In der Nacht vom 11. auf den 12. September starb nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Kerstin Simone G. aus Burgwedel. Überfallen, in ihrer eigenen Laube am Würmsee. &bdquo;Man mag sich denken, hier eine Analogie zur Tat von 2001 zu sehen“, sagt Bellin, und führt die Eckpunkte auf: &bdquo;Eine Frau mittleren Alters, ohne von außen ersichtlichen Grund mit einem Messer attackiert.“ Da liege die Vermutung nahe, dass auch die Motive des Täters, unterstellt, Robert E. ist schuldig, ähnlich seien. &bdquo;Ob das so war, weiß ich nicht.“ Denn der Warburger schweigt beharrlich. Doch es gebe auch Unterschiede bei den 21 Jahre auseinanderliegenden Taten, wie Bellin betont. 2001 sei die Frau im Wald auf einmal aufgetaucht. &bdquo;2022 kann es so nach meiner Einschätzung nicht gewesen sein“, sagt der Gutachter. Da sei zum Einen die Laube gewesen, deren Tür abgeschlossen war. Ein anderer Punkt sei die Strumpfmaske, die E. dabei hatte. Kurz: &bdquo;Sehr viel mehr Hindernisse.“ Ob oder inwiefern sexuelle Motive eine Rolle gespielt haben, kann der Gutachter nicht beurteilen. &bdquo;Ich habe nichts. Keine Leiche mit Sperma drauf. Keine Genitalverstümmelung.“ Der Körper von Kerstin Simone G. wurde nie gefunden. Er sei kein Kriminalautor, betont Bellin, es sei vieles möglich oder denkbar, aber das könne nicht Teil seines Gutachtens sein. Der Raub Anfang September, rund eine Woche vor dem Mord, wurde im Hardehauser Wald eine 79-Jährige mit Pfefferspray angegriffen. &bdquo;Was sollte das?“, fragt Bellin. Denn Robert E., so er es denn war, habe seine Täterschaft zuvor &bdquo;in keiner Weise verschleiert“. Die Frau habe ihn gesehen, mit ihm gesprochen. Noch dazu sei sie an einer Krücke gelaufen. Anschließend raubte E. die Tasche der 79-Jährigen. Das Fazit Tobias Bellin sieht keinen Hinweis darauf, dass Robert E. im Falle einer Verurteilung nicht oder nur eingeschränkt schuldfähig sein könnte. &bdquo;Eindeutig keine Persönlichkeitsstörung“, zählt der Sachverständige auf, &bdquo;keine Psychose“, &bdquo;keine Sucht“. Es liege gegebenenfalls eine &bdquo;Störung der Sexualpräferenz“ vor. Wie berichtet, war bei E. kinderpornografisches Material gefunden worden. Außerdem Pornos, in denen junge Frauen überfallen und zum Sex gezwungen wurden – in diesem Fall aber alles nur geschauspielert. &bdquo;Nur das reicht aber nicht“, sagt Bellin. Denn: &bdquo;Wir wissen nicht, wie drängend das war.“ Robert E. sei auch &bdquo;kein Mann, der sich nicht mehr unter Kontrolle“ habe. Bellin verwies auf die Aussage des Raub-Opfers. Die Frau hatte E. als &bdquo;ruhig, freundlich und gelassen“ beschrieben. Und wie steht’s um eine mögliche Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine etwaige Verurteilung? Bellin nennt die &bdquo;harten Fakten“. Binnen 21 Jahren habe E. dreimal ihm unbekannte Frauen im Alter von 53 bis 79 Jahren angegriffen, zweimal mit einem Messer, einmal mit Pfefferspray. &bdquo;Für die Frauen kam das aus dem Nichts.“ Die Taten spielten sich jeweils an abgeschiedenen Orten ab. &bdquo;In der freien Natur oder in einer Laube“. Daraus, sagt Bellin, könne ein Risikoprofil abgeleitet werden. &bdquo;Ein erhöhtes Risiko für spontane Angriffe auf weibliche Personen.“ Mit langen Latenzphasen zwar, aber auch mit &bdquo;unangenehmen bis desaströsen Folgen“ für die Opfer. Der Sachverständige Tobias Bellin spielt daraufhin ein &bdquo;Gedankenexperiment“ durch. Was wäre, wenn E. heute entlassen würde? &bdquo;Es ist durchaus zu befürchten, dass Robert E. noch mal eine Frau angreift. Wann? Durchaus möglich, dass sich 10, 20 Jahre nichts tut.“ Doch E. habe offenbar einen &bdquo;inneren Beweggrund“, das zu tun. Und lange Phasen ohne Angriff schlössen diesen nicht aus. &bdquo;Wir wissen, dass Sexualstraftäter lange Latenzphasen haben können.“

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