Steinheim geht in Sachen Innenstadt einen Sonderweg

Steinheim. Sie können es jeden Tag auf dem Weg in ihre Büros sehen: Leerstehende Läden säumen die Marktstraße in Steinheim. Mit ihren leere Schaufenstern wirken sie ebenso trist wie die teils marode Bausubstanz der Gebäude. Ein Zustand, der Bürgermeister Carsten Torke und Wirtschaftsförderer Ralf Kleine bedrückt. Wie viele andere Steinheimer auch. Immer wieder aufs Neue. Sie können und sie wollen sich nicht daran gewöhnen. Steinheim ist mit dem Wegfall des stationären Einzelhandels kein Einzelfall. Im Gegenteil. Leerstehende Ladenlokale sind inzwischen die Regel. Versuche sie nachhaltig wiederzubeleben? &bdquo;Ziemlich aussichtslos", sagt Carsten Torke. Gerade große Ketten hätten ganz bestimmte Vorstellungen, was Ladengrößen und Parkplätze in der unmittelbaren Umgebung betrifft. Vorgaben, die Steinheim aufgrund des Platzmangels so nicht erfüllen kann – und inzwischen auch gar nicht mehr will. Natürlich unterstützt Wirtschaftsförderer Kleine jeden Ansiedlungswunsch und jede Einzelhandelsidee in der Innenstadt weiterhin nach Kräften. Um das Areal rund um den Kump wieder attraktiv zu gestalten, haben Verwaltung und Politik in der Emmerstadt aber einen völlig anderen, wenngleich auch sehr steinigen Weg gewählt: Dienstleistungen und bezahlbare, attraktive Wohnungen sollen wieder Leben in die Stadt bringen. Jetzt, da dieses Projekt Fahrt aufnimmt, wird es sogar als Leuchtturmprojekt der Regionale 2022 geführt und soll Vorbildcharakter für andere haben. Rückblende: Als rund um das Jahr 2006 die letzten großen Möbelfirmen pleite gingen und hunderte Menschen entlassen wurden, legte sich eine Tristesse über die Stadt. Ein negatives Gefühl, das über Jahre anhielt, erinnert sich Ralf Kleine noch gut. Gleichzeitig gaben immer mehr Geschäfte in der Innenstadt auf, zogen in die nahe gelegenen Gewerbegebiete wie dem Center am Speicherturm und dem Lipper Tor. Ein Weg, den die Politik vor allem mit dem Center am Speicherturm selbst geebnet hat. Der Gedanke seinerzeit: Das neue Einkaufszentrum ist nur 300 Schritte von der Innenstadt entfernt. Sind die Käufer erst einmal dort, kommen sie auch auf die Marktstraße. Ein Trugschluss. Die Magnetwirkung blieb aus. Vieles versucht Steinheim versuchte vieles. Die Innenstadt wurde zum Teil neu gepflastert, ein teures Wasserspiel gebaut. Mal wurde die Marktstraße für den Verkehr gesperrt, um das Gefühl einer Flaniermeile zu entwickeln, dann wieder geöffnet, damit die Autofahrer direkt vor dem Geschäft halten können. Dazu aktive Wirtschaftsförderung. Die Bilanz: ernüchternd. Deshalb der völlige Perspektivwechsel im Rathaus, der von den Ratsparteien konstruktiv mitgetragen wird, wie Carsten Torke immer wieder unterstreicht. Ohne diese hundertprozentige Rückendeckung hätte die Stadt den neuen Weg auch nicht eingeschlagen, betont der Rathauschef. Einigkeit ist ihm wichtig. Hinter den Kulissen könne gern diskutiert und auch mal gestritten werden. &bdquo;Wird auch", verrät Torke. Solch große Projekte öffentlich zu zerreden? Für ihn ein No-Go. Begonnen habe der Prozess schon um 2008, sagt Ralf Kleine. Langsam, aber beständig. Seit etwa 2014 spürt der Wirtschaftsförderer so etwas wie Aufbruchstimmung in der Stadt. Eine neue Hoffnung. Steinheim half beim neuen Weg – das gehört zur Wahrheit dazu – auch der Zufall. Vor einiger Zeit sollte eines der völlig maroden Gebäude gegenüber des Rathauses verkauft werden. An einen unbekannten Investor im Ausland, bei dem die Stadt auch keinerlei Vorstellung hatte, welche Pläne er mit dem Haus verfolgt, berichtet Torke. Dass er es schick saniert hätte – kaum vorstellbar für den Bürgermeister. Große Herausforderung Doch die Stadt hatte ein Vorkaufsrecht. Dieses rechtssicher zu begründen, die Politik ins Boot zu holen und ein Konzept zu entwickeln – ein große Herausforderung, zumal die Verwaltung nur wenige Wochen Frist dafür hatte. Es gelang. Doch nun begann erst die eigentliche Arbeit: Denn das Haus gehört zu einem ganzen Gebäudekomplex, der sich sinnvoll nur als Einheit weiterentwickeln lässt. Also kaufte die Verwaltung nach und nach weitere Gebäude ihrer eigenen Innenstadt auf und begann gleichzeitig, das Projekt &bdquo;Quartier am Kump" mit Leben zu füllen. Ein Teil der Gebäude, vor allem die verschachtelten Anbauten an der Petersilienstraße werden abgerissen. Eine Grüne Oase für Kindergarten und Tagespflege soll dafür entstehen, die irgendwann im Erdgeschoss einziehen werden. Obendrüber Wohnungen. &bdquo;Dafür gibt es einen großen Bedarf", sagt Carsten Torke. Und er kann es auch beweisen: Die Wohnungen in den von Privatinvestor Elmar Meilenbrock an der Detmolder Straße errichteten neuen Häusern sind so sehr begehrt, dass der Vinsebecker gleich noch weitere Häuser baute. Und will die Stadt weder zum Immobilienmakler noch zum Investor werden. Darf sie auch gar nicht. Ist das Quartier entwickelt, sollen die Gebäude abgegeben werden. In welcher Form ist noch offen. Sind Kindergarten und Tagespflege erst da, und vielleicht noch zwei, drei andere Dienstleister vorzugsweise aus dem Gesundheitsbereich erhofft sich die Stadt eine funktionierende Magnetwirkung. Die Menschen kommen in die Innenstadt, verweilen vielleicht ein bisschen, nutzen die Gastronomie. Ein positiver Kreislauf. Passage saniert Der hat ein paar Schritte entfernt schon begonnen. Das Unternehmen FMS-Outsourcing hat die altehrwürdige ehemalige Steinheimer Citypassage aufwendig saniert. Das Gerüst wurde erst in dieser Woche abgebaut. Drinnen wird auf 1.500 Quadratmetern längst im Schichtbetrieb gearbeitet – Bauteile für die Elektroindustrie werden hier hergestellt. Mitten in der Innenstadt. Bis zu 150 Arbeitsplätze plant der Firmenchef insgesamt. Bewusst hat er sich gegen das Gewerbe- und Industriegebiet Bergheim entschieden. Weil es für ihn schlicht keinen Sinn ergibt. Seine Mitarbeiter sind zumeist Frauen im Niedriglohnsektor – sie kommen zu Fuß oder mit dem Bus aus der näheren Umgebung zur Arbeit. Meißner denkt inzwischen auch über einen kleinen Betriebskindergarten in unmittelbarer Umgebung nach. Die Belebung der Citypassage ist für Ralf Kleine ein sehr eindrückliches Beispiel für Steinheims Weg, zeigt aber auch die Schwierigkeiten: 15 Jahre lang stand das Gebäude leer und war für die Stadt eine echte Problemimmobilie ohne Perspektive. Sie verfiel. Jahrelang verhandelte Kleine mit der Erbengemeinschaft, die das Erbe auch wegen der Schulden ausschlagen mussten. Eine minderjährige Erbin im Ausland hatte das beispielsweise nicht formal getan. Erneute Verhandlungen. Und als das Haus dann an einen neuen Investor verkauft war, erkrankte dieser. Alles begann von vorn. Kompliziert ist es bei vielen Immobilien in der Steinheimer Innenstadt. Mit wenigen Besitzern seien gar keine Gespräche möglich. Man brauche einen langen Atem und viel Beharrlichkeit, sagt Ralf Kleine. Arbeit im Stillen, von der nichts nach außen dringt. Ebenso genießt er die Erfolge dann im Stillen.

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