Betrugsprozess: Zeugin berichtet über Vertrauensaufbau zum Angeklagten aus dem Kreis Höxter

Marienmünster/Paderborn. Es gibt Menschen, die haben ein Talent dafür, in kurzer Zeit ganz genau ergründen zu können, wie es ihrem Gegenüber geht, und dessen psychische und soziale Disposition ausfindig zu machen. Aber vor allem gelingt es ihnen, diese Erkenntnisse zu ihren Gunsten auszunutzen. Nicht selten müssen derart begabte Frauen und Männer auf der Anklagebank eines Gerichts Platz nehmen. Ihnen wird dann zumeist vorgeworfen, nach Strich und Faden betrogen zu haben. Möglicherweise gehört Mario T. (Namen geändert) zu diesen Menschen. Zusammen mit seiner Frau Michelle muss er sich seit Ende August vor dem Landgericht Paderborn verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft beiden vielfachen Betrug vor. Und so erscheinen vor der 8. Großen Strafkammer nach und nach Zeugen, die von ihren Erlebnissen mit den Angeklagten berichten. An diesem fünften Verhandlungstag wird eine 42 Jahre alte Frau befragt, die aus Franken angereist ist. Jule V. erzählt, wie sie im September 2019 über eine Facebook-Gruppe in Kontakt zu Mario T. gekommen war. Anscheinend entwickelte sich aus dem Austausch über ein rechtliches Problem recht schnell ein gewisses Vertrauensverhältnis, denn die 42-Jährige erzählte dem Marienmünsteraner offen von ihren beruflichen Problemen. Als ihr der Angeklagte eine Perspektive in dem Verein &bdquo;Familienhilfe“ aufzeigte, reiste Jule V. von ihrer damaligen Heimat Baden-Württemberg nach Ostwestfalen-Lippe. Mehr zum Prozess: Höxteraner wegen Betrugs vor Gericht: Ein Meister der Manipulation Angeklagter soll Vereinsexpansion nach Süddeutschland suggeriert haben Glaubt man der Zeugin, so machte ihr Mario T. schmackhaft, daheim am Bodensee gewissermaßen einen Ableger der &bdquo;Familienhilfe“ zu gründen - mit ihr als Geschäftsführerin. &bdquo;Ich war stolz wie Bolle“, erinnert sich Jule V. Und so sammelte sie anscheinend auf Geheiß des Angeklagten mit viel Elan nicht nur Spenden für den Verein, sondern sie schloss vor allem etliche Mobilfunkverträge ab. Mit deren Hilfe sollte das Startkapital für die künftige &bdquo;Familienhilfe - See alpin“ zusammenkommen, so ihre Erinnerung. Deshalb wechselten anscheinend sämtliche hochpreisige Smartphones samt der dazugehörigen Verträge rasch den Besitzer - stets spätabends in einem Dönerladen namens &bdquo;Sultan“. 10.000 Euro seien insgesamt gezahlt worden, erinnert sich die Zeugin. Diese Summe habe Mario T. auf das Vereinskonto einzahlen wollen. Lesen Sie auch: Mammutprozess gegen Mann aus dem Kreis Höxter: Hitzige Wortgefechte vor Gericht Vieles blieb anscheinend für Jule V. im Dunkeln. Warum sie im September 2019 bei einem Notar eine Unterschrift leisten musste, um unter ihrem Namen eine Immobilienfirma auf den Weg zu bringen, weiß sie bis heute nicht. Wenn sie Fragen gestellt habe, sei sie vertröstet worden, sagt sie. Aber vor allem habe sie Mario T. vertraut. &bdquo;Ich habe mich auf ihn verlassen und gedacht, wenn er das so macht, dann wird das schon richtig sein.“ Zeugin fühlte sich stark unter Druck gesetzt Trotzdem war nach wenigen Tagen augenscheinlich die Euphorie verschwunden. Die 42-Jährige fühlte sich durch Mario T. stark kontrolliert und unter Druck gesetzt. Sie zog sich - nach eigener Aussage aber psychisch vorbelastet - für einige Zeit in eine Klinik zurück. Die Regelung der Geschehnisse übergab sie einem Betreuer, den sie sich damals sofort an ihre Seite holte. &bdquo;Ich wusste, dass da ein riesiger Batzen auf mich zu kam.“ Ein Gehalt hat Jule V. niemals erhalten, Mario T. erstatte ihr allerdings 2019 die Kosten für ihr Hotel und andere Auslagen. Vor ein paar Wochen hat ihr der Angeklagte 10.000 Euro gezahlt - nach einem Vergleich, der vor dem Oberlandesgericht Hamm geschlossen wurde. Diese Instanz rief Mario T. an, nachdem eine Zivilkammer des Landgerichts Paderborn ihn dazu verurteilt hatte, Jule V. 10.790 Euro zu zahlen. Nach gut zweieinhalbstündiger Befragung darf die 42-Jährige, die in Franken längst wieder beruflich Fuß gefasst und eine sichere Anstellung gefunden hat, den Gerichtssaal verlassen. Schuldfähigkeit des Angeklagten aus Marienmünster ist für das Gericht kein Thema mehr Ihr schließt sich der psychiatrische Gutachter Michael Hintersdorf an. Seine Anwesenheit ist nach Ansicht der Richter nicht mehr notwendig. Denn es geht in diesem Fall nicht um die Schuldfähigkeit des Angeklagten, sondern um den Fortgang des Verfahrens. Das Gericht unter dem Vorsitz von Anne Zacharias hatte ihn von Tag 1 an geladen, um die Verhandlungsfähigkeit von Mario T. einschätzen zu lassen. Lesen Sie auch: Paderborner Mammutprozess um Anlegerbetrug: Heißer Kampf um Verhandlungsbeginn Schließlich hatte die Verteidigung, wie berichtet, vor Verlesung der Anklageschrift behauptet, ihr Mandant sei nicht verhandlungsfähig. Hintersdorf kam nach einer Untersuchung zu einem ganz anderen Schluss und befindet auch jetzt an Tag 5 des Prozesses, dass an der Verhandlungsfähigkeit des Mario T. kein Zweifel bestehe. &bdquo;Ich beobachte ihn seit Tagen“, sagt der Experte. &bdquo;Der Angeklagte ist aktiv dabei, mit Laptop und so weiter.“ Tatsächlich reist der 32-Jährige an jedem Verhandlungstag mit großem Gepäck an. Auf einem Rollwagen stapeln sich drei Kisten mit prall gefüllten Aktenordnern, in denen Mario T. immer wieder blättert. Während der Verhandlung tippt er Notizen sofort in sein Apple-Notebook und zieht sich immer wieder mit seinen Verteidigern zu Besprechungen zurück. Die Verhandlung wird am Donnerstag, 11. September, fortgesetzt.

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