Gastrobranche im Kreis Höxter rutscht in tiefe Krise

Kreis Höxter. Die Gastro-Branche in der Region erlebt derzeit einen beispiellosen Niedergang. Immer mehr Betriebe geben ganz auf oder schränken ihren Betrieb stark ein. Ein Zusammenbruch mit Ansage. Selbst Dehoga-Kreischef Joachim Avenarius lässt sich so gar kein optimistisches Wort für die Zukunft abringen. Die Probleme waren vorhersehbar: Vehement hatten die Gastronomen im Kreis Höxter im vergangenen Spätherbst vor einer Rückkehr zur 19-prozentigen Mehrwertsteuer gewarnt. Der &bdquo;wirtschaftliche Schaden könne riesig werden“ prognostizierte Avenarius, der den Hotel- und Gaststättenverband im Kreis Höxter (Dehoga) führt, seinerzeit. Gerade für kleinere Betriebe könne der Schritt existenzgefährdend sein. Die Gastrobranche kämpfte bis zuletzt gegen die Erhöhung. Erfolglos. Die Auswirkungen sind seit dem Jahreswechsel massiv zu spüren. So berichtete Gastwirtin Wilma Thorenmeier vom Alten Krug bei Steinheim jüngst in der &bdquo;NW“ davon, dass seit dem Jahreswechsel immer weniger Gäste kämen. Der Restaurantbetrieb rechnete sich überhaupt nicht mehr. Sie setzt nun ganz auf das Geschäft mit Familien- und Firmenfeiern sowie Motto-Abende – das Alltagsgeschäft hat sie aufgeben müssen. Warum droht vielen Betrieben im Kreis Höxter das Aus? Wie ihr geht es vielen, manchen sogar noch schlechter. Eine beispiellose Insolvenzwelle rolle gerade über die Gastro-Branche in NRW hinweg, berichtet Avenarius. &bdquo;Die Insolvenzzahlen sind gigantisch“, sagt der Bad Driburger und spricht von einer Steigerung von rund 20 Prozent. Schon wieder. &bdquo;Das ist extrem“, wiederholt er das Gesagte, vielleicht, weil er es selbst kaum glauben mag. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Der Prozess habe sich seit den Sommermonaten verstärkt. Vielen in der Gastro-Branche drohe das Aus, fürchtet Avenarius, dass am Ende nur die Großen überleben werden. Der Gastronom, der in Bad Driburg und Willebadessen Gaststätten und Hotels betreibt, sieht auch die Zukunft seines eigenen Geschäftes nicht gerade rosig und hofft &bdquo;irgendwie durchzukommen.“ Es sind die vermeintlich kleinen Dinge, an denen er spürt, dass die Menschen den Gürtel enger schnallen müssen. Zum Beispiel bei den Getränken. Früher hätten die Hotelgäste gern im Restaurant das ein oder andere Getränk mehr genossen. Das geschieht heute spürbar seltener. Da trinke der Gast lieber ein mitgebrachtes Getränk im Zimmer. Was sind die Gründe für die hohen Preise? Avenarius kann das sogar nachvollziehen. Er weiß, dass sich viele es nicht mehr leisten können, öfter essen zu gehen. Sein Credo: Die Kosten sind zu hoch. Und das nicht nur wegen der erhöhten Mehrwertsteuer. Auch wenn er ausdrücklich und eigentlich aus Überzeugung Sozialdemokrat sei, so greift er doch den aus seiner Sicht sehr hohen Mindestlohn an. Lohnsteigerungen von 25 Prozent, 12 Prozent mehr Mehrwertsteuer, Inflation im Lebensmittelbereich von 11 Prozent und mehr – das könne man nicht einfach die Gäste weitergeben &bdquo;Wenn das Schnitzel plötzlich 50 Prozent mehr kostet, wird das schwierig.“ Der Dehoga-Kreischef stört sich zudem an der aktuellen Ausgestaltung des Bürgergeldes. Dessen Auswirkungen beschreibt er anhand seines eigenen Hotelbetriebes. So finde er in Willebadessen keinerlei Personal mehr für die Reinigung der Zimmer. &bdquo;Es bewirbt sich einfach niemand. Ich finde niemanden, der arbeiten möchte“, resümiert er. Und bei denjenigen, die von der Arbeitsagentur zur Bewerbung verpflichtet würden, sei die Arbeitsmotivation dermaßen gering, dass es nicht funktioniere. Was müsste in den Augen des Gastronomen passieren? Lesen Sie auch: Wird das Schnitzel in den Restaurants im Kreis Höxter bald teurer? Weil er keine andere Chance hat, engagiert er jetzt das Reinigungspersonal über eine Dienstleistungsfirma, die ihm Mitarbeiterinnen vornehmlich aus Bulgarien vermittelt. Heißt: &bdquo;Das Geld, das hier im Niedriglohnsektor verdient werden könnte, geht eins zu eins ins Ausland. Und es wird auch nichts in die Sozialsysteme einbezahlt.“ Avenarius, der sogar etwas mehr für den Personaldienstleister bezahlt und sehr mit der Arbeit zufrieden ist, würde dennoch lieber Menschen aus der Region beschäftigen. Dafür müssten aber Anreize geschaffen werden. Er sieht in dieser Problematik auch ein gesamtgesellschaftliches Problem größer werden. Denn gerade die Gastro-Branche, aber auch der Einzelhandel, leisteten bisher viel bei der Integration von Ungelernten und Flüchtlingen. &bdquo;Die Gastronomie ist in der Lage, Arbeitsplätze in Sektoren zu schaffen, wo auch Ungelernte eine Chance haben.“ Das gehe gerade verloren mit der Folge, dass noch eine viel größere Arbeitslosenquote drohe. Sein Vorschlag: Um die Integrationsleistung zu unterstützen, sollten in diesen personalintensiven Bereichen die Mehrwertsteuer gesenkt werden. Auch direkte Mittel dafür seinen eine Möglichkeit. Ein weiteres Problem für die Gastronomen: die überbordende Bürokratie, die die Branche schier erdrückt. Ein immer wieder gehörtes Schlagwort, das Avenarius mit konkreten Beispielen füllt. Welche bürokratischen Hürden gibt es? Da ist beispielsweise Kennzeichnungspflicht für Allergene auf der Speisekarte. Die bereitzuhaltende Dokumentation dazu fülle inzwischen ganze Ordner, die ständige Aktualisierung koste enorm viel Arbeitszeit. Sie ist in Fast-Food-Restaurants mit vielen Hundert Filialen genauso aufwendig wie in einer Kleingastronomie. &bdquo;In den vielen Jahren, in denen wir das machen müssen, hat noch nicht ein einziger Gast danach gefragt. Die einzigen, die jemals bisher reingeschaut haben, sind die Mitarbeiter des Kreises.“ Er moniert, dass der zeitliche Aufwand in keiner Relation zum Ergebnis stehe. Ein anderes Beispiel sind die schriftlichen Gästeanmeldungskarten. Aufwendig und sinnlos, meint Avenarius. Es kostet Zeit und ist, in Zeiten des Selbst-Check-In wie in Willebadessen auch immer schwerer umzusetzen. Sinnlos, weil alle Daten eh im Computer vorhanden sind und darüber auch die Abrechnung einfacher wäre. Dass die Gästekarten nun abgeschafft werden sollen, begrüßt Avenarius. Pferdefuß: Das gilt nur für in Deutschland wohnhafte Gäste. Was passiert, wenn ein Betrieb schließen musste? All das und vieles mehr macht den Gastronomen das Leben schwer. Zu den Insolvenzen hinzu komme das Gastronomie-Sterben. Heißt, viele die in einigen Jahren in den Ruhestand gehen würden, überlegen nun, schon früher aufzuhören, wie eine Umfrage ergeben habe. Was einmal als Tradition wegbreche, lasse sich so schnell nicht wieder aufbauen, sagt Avenarius. Denn Kredite, um ein neues Restaurant aufzumachen, bekomme man so gut wie gar nicht. Der Dehoga-Kreischef deutet folgenschwere Auswirkungen an. Stirbt die Gastronomie, hätte auch der Tourismus in der Region massive Probleme. Aber nicht nur der. Auch die Lebensqualität für die Einheimischen sinke. Deutlich spürbar sei das bereits in den kleineren Ortschaften, in denen es kaum noch Restaurants gebe. Wie in Willebadessen. &bdquo;Da ist eine viel geringere Kultur, abends mal essen zu gehen als in Bad Driburg.“ Da gehe auch viel &bdquo;Kommunikatives“ verloren. Lesen Sie auch: Das sind die besten Restaurants im Kreis Höxter

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