
Höxter. Es sieht aus, als wäre in Corvey zwischen dem karolingischen Westwerk und der barocken Abteikirche ein gläserner Windfang eingezogen worden. Die 40 Quadratmeter große Glasfläche ist aber vor allem eine multifunktionale Projektionsfläche. In Sekundenschnelle lässt sich das Glas abdunkeln und fungiert dann als XXL-Leinwand. „Ausgestattet mit Kopfhörern können Besuchergruppen hier ab nächster Woche eine immersive Zeitreise durch das Jahrtausend der Mönche erleben“, erklärt Kurator Christoph Stiegemann, der die Neukonzeption der Corveyer Dauerausstellung entwickelt hat.
Die neue Medieninstallation soll das digitale Gesamtkonzept zur Präsentation des Corveyer Westwerks ergänzen und erweitern. Im Obergeschoss des Westwerks lässt eine bereits 2023 eingeführte Augmented-Reality-App, entwickelt vom wissenschaftlichen Team in Corvey und dem Fraunhofer IGD in Darmstadt, die Bildwelt der Karolinger wieder zum Leben erwecken. Diese App macht die frühmittelalterliche, künstlerische Ausgestaltung des sogenannten Johanneschors i für Besucher sichtbar.
Lesen Sie auch: Dauerausstellung in Corvey: Höxter ist zurück im musealen Premiumsegment
Die digitalen Angebote zur Entdeckung des karolingischen Westwerks machen das gottgeweihte Leben der Mönche auf faszinierende Weise erlebbar. Diese Eindrücke unterstreicht auch die neu konzipierte Dauerausstellung in den Räumen des Schlosses Corvey unter dem Titel „Das Jahrtausend der Mönche. Von der Gründung Corveys bis zum Goldenen Zeitalter“, die zu Saisonbeginn im März eröffnet wurde.
Digitales Angebot erweitert Wahrnehmung der historischen Dimension
Auf der neuen Präsentationsfläche wird ein etwa zehn Minuten langer Film über die Geschichte Corvey projiziert. „Das Erleben dieses Ortes wird mit diesem besonderen digitalen Angebot um eine sinnlich erfassbare historische Dimension erweitert“, erklärte Stiegemann bei der Präsentation. Rund 100.000 Euro wurden im Rahmen der Neukonzeption in dieses Element investiert.
Für die technische Umsetzung werden allerdings vier große Hochleistungsprojektoren benötigt. Sie wurden im Sockelbereich der die Orgelempore tragenden Säulenengel befestigt. Das gefällt sicher nicht allen. Darauf angesprochen, äußerten sich Museumsbesucher teilweise entsetzt.
„Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Denkmalämter hier so etwas zulassen“, sagte eine Besucherin. Doch, tun sie. „Natürlich ist das vom Denkmalschutz so abgenommen worden, allerdings war es ein schwieriger Prozess, das Denkmalamt von der Notwendigkeit zu überzeugen“, erklärte der projektbegleitende Architekt Albert Henne aus Höxter.
Multimediaschau unabhängig vom Gottesdienst
Auch wenn die Projektoren an der barocken Empore ziemlich unpassend wirken, machen sie doch nichts von der historischen Substanz kaputt. „Nach intensiver Planung und Prüfung war es möglich, ohne Eingriff in die hochsensible Originalsubstanz diese gläserne Wand im Erdgeschoss des Westwerks zu installieren“, betont Stiegemann.
Der Film kann sogar unabhängig von den Gottesdiensten abgespult werden. Das Glas ist mit einer besonderen Folie beschichtet, die die beiden Räume trennt. Im Westwerk können Besucher die Multimediaschau genießen, während drinnen in der Kirche Gottesdienstbesucher ungestört bleiben.
Wie Gottesdienstbesucher auf die Einbauten reagieren, wird sich zeigen. „Bislang haben mich noch keine Beschwerden erreicht, aber das ist ja alles auch noch ganz neu“, sagte Pfarrdechant Hans-Bernd Krismanek. In der Corveyer Abteikirche wird immer sonntags um 8.30 Uhr heilige Messe gefeiert.
Ernennung zum Welterbe vor zehn Jahren
Die Benediktinerabtei Corvey bei Höxter an der Weser war eine der bedeutendsten Klostergründungen des Mittelalters, ein wichtiges geistiges, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum. Hier wurden antike Texte abgeschrieben und bewahrt, hier zeigt sich bis heute, welche große Bedeutung das Erbe der Antike im Mittelalter hatte. Klosterbibliothek und Skriptorium waren Hort der Schriftkultur, des Wissens und der Überlieferung. Entstanden zwischen 873 und 885 ist das karolingische Westwerk steinernes Zeugnis dieser Blütezeit. Sowohl baulich als auch in seiner malerischen Ausgestaltung ist es einzigartig.

Das Unesco-Komitee schrieb 2014 in der Begründung zur Vergabe des Welterbe-Titels: „Das Westwerk von Corvey in Höxter an der Weser ist eines der wenigen in den wesentlichen Teilen erhaltenen karolingischen Bauwerke und darüber hinaus das einzige erhaltene Zeugnis des Bautyps Westwerk aus dieser Zeit“. Es vereine Innovation mit dem Rückgriff aufantike Vorbilder auf hohem Niveau und habe als Bautypus die abendländische Architektur bis zum Ende der Romanik ganz wesentlich mitgeprägt, so das internationale Gremium damals.
Heute arbeitete in wissenschaftliches Kompetenzteam mit neusten technischen Methoden am Erhalt und an der Restaurierung der fragilen Bausubstanz und der außergewöhnlichen Wandmalereien. Gleichzeitig geht es darum, die jahrhundertealten Mauern zeitgemäß, anschaulich und sinnlich erfahrbar zum Sprechen zu bringen. Im Corveyer Westwerk werden dank einer digitalen Erschließung die verborgenen und verlorenen Schätze dieses charismatischen und für das damalige Europa so prägenden Ortes sichtbar und seine bewegte Geschichte erfahrbar.
Lesen Sie auch: „Wahnsinnstag“ für den Herzog: Als Corvey Welterbe wurde
Die zehnjährige Welterbe-Anerkennung Corveys wird mit einem Gottesdienst und einem Festakt am Abend des 28. Juni ab 18 Uhr in Corvey gewürdigt. Eine Teilnahme ist nur mit Einladung möglich. Abt Dr. Cosmas Hoffmann von der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede leitet den Gottesdienst zum Auftakt des festlichen Abends mit Gästen aus Kirche, Verwaltung, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Vertreter aus Bundes-, Landes-und Kommunalpolitik sind ebenfalls eingeladen.

Kirchenmusikalisch gestaltet die Gregorianik-Schola Marienmünster-Corvey unter der Leitung von Hans Hermann Jansen den Gottesdienst mit. Den Festvortrag des Abends hält Dr. Birgitta Ringbeck. Sie gehörte zu den Motoren der erfolgreichen Welterbe-Bewerbung Corveys und hat den 700-Seiten-Antrag federführend miterarbeitet. Dr. Ringbeck war von 2012 bis 2022 Leiterin der Koordinierungsstelle Welterbe im Auswärtigen Amt.
Corvey und das Erbe der Antike
Anlässlich der Ernennung Corveys zum Weltkulturerbe vor zehn Jahren zeigt das Diözesanmuseum in Paderborn ab dem 21. September unter dem Titel „Corvey und das Erbe der Antike“ eine Sonderausstellung über die Bedeutung Corveys. Große Klöster wie Corvey bewahrten einen wichtigen Teil jenes antiken Wissens, das uns bis heute prägt.
Mit zahlreichen faszinierenden Exponaten macht die Ausstellung erlebbar, wie im Mittelalter antike Kulturtechniken – insbesondere das Lesen und Schreiben – und Vorstellungen von Politik, Recht, Kunst und Wissenschaften weitergegeben wurden. Mehr als 120 faszinierende Leihgaben aus europäischen Museen, Bibliotheken und Archiven werden in Paderborn zu sehen sein. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.