Kinder-Arznei ist knapp: Das rät ein Apotheker aus dem Kreis Höxter

Kreis Höxter. Einige Medikamente für Kinder sind in Deutschland gerade knapp. Zum Beispiel fiebersenkende Säfte und Zäpfchen. Eltern, deren Kinder erkranken, sind da schnell verzweifelt, wenn die benötigten Arzneimittel in den Apotheken nicht zu bekommen sind. Ob es ratsam ist, Medikamente von Fremden anzunehmen, abgelaufene Medizin zu geben oder stattdessen Hausmittel zu verabreichen, erklärt der Beverunger Apotheker Thomas Rochell, der zusätzlich auch Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe ist. Warum sind bestimmte Medikamente überhaupt knapp? "Wir haben ein massives Problem in der Lieferkette", weiß Rochell. Das ist der Auslöser des aktuellen Problems. Die Ursachen liegen aber tiefer. Das System sei "kaputt gespart" worden, sagt der Apotheker, Medikamente müssten immer "günstiger, günstiger, günstiger" sein. Der Preisdruck sorgt dafür, dass nur noch weniger Hersteller am Markt bleiben. Kommt es bei einem Produzenten zu Schwierigkeiten, hat das gravierende Auswirkungen. So sei es auch in der Vergangenheit immer wieder zu Lieferschwierigkeiten gekommen. "Vor einem Jahr haben wir das mit Ibuprofen gehabt, jetzt mit Paracetamol und Ibuprofen." Hinzu kommt eine Infektionswelle. Die Maske, die während der Pandemie Pflicht war, schützte nicht nur vor Corona, sondern beispielsweise auch vor Grippe- oder RS-Viren. "Durchs Maske Absetzen war klar, dass wir eine solche Infektionswelle kriegen können." Nun treffen beide Probleme aufeinander: Viele Menschen sind krank und die Medikamente knapp. Ist es ratsam, Medikamente zu tauschen? Für besorgte Eltern kranker Kinder mag es ein Silberstreif am Horizont sein, wenn ihnen in Tauschbörsen oder in den Sozialen Medien die dringend benötigten Fiebersenker angeboten werden. Rochell jedoch hält vom Medikamententausch "gar nichts". Besonders Säfte und Zäpfchen müssten zwingend kühl, dunkel und trocken gelagert werden. "Weiß man, ob das Medikament, was man von Fremden erhält, dort nicht zwei Wochen auf der Heizung gestanden hat?" "Wenn befreundete Eltern oder Nachbarn etwas weitergeben - das steht auf einem ganz anderen Blatt", schränkt Rochell ein. Wer auf Angebote von Bekannten zurückgreifen will oder muss, dem rät Rochell jedoch, sich in jedem Fall auch den Beipackzettel mitgeben zu lassen. Außerdem warnt er davor, Medikamente ohne ärztlichen Rat zu verabreichen oder selbst zu nehmen, die anderen Menschen bei ähnlichen Symptomen geholfen haben. "Nur weil es einem hilft, heißt das nicht, dass es auch anderen hilft." Können abgelaufene Medikamente gegeben werden? Bei Lebensmitteln wird immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass viele auch noch problemlos verzehrt werden können, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abgelaufen ist. Bei Medikamenten vertritt Thomas Rochell aber eine ganz klare Meinung: "Rechtlich gesehen gibt es da nur eine Antwort: nein." Das MHD beschreibt bei Medizin den Zeitpunkt, an dem garantiert noch 90 Prozent des Wirkstoffs in den Präparaten vorhanden sind. "Wenn ich Milch trinke, die schlecht geworden ist, merke ich das sofort, und lasse es sein, bei Medikamenten merke ich das beim Einnehmen aber nicht", warnt Rochell. Je nach "Darreichungsform" der Medikamente müsse dabei unterschieden werden. Tabletten, die einzeln verpackt in Blistern daherkommen, können ohne Probleme bis zum MHD eingenommen werden. Auch wenn Rochell auch hier rät, sie kühl und trocken zu lagern. Zum Beispiel in einem Kellerraum. Angebrochene Säfte sollten zügig verbraucht werden. Besonders empfindlich seien beispielsweise Augentropfen. Nachdem ein Fläschchen geöffnet worden sei, könnten sie noch vier bis sechs Wochen verwendet werden, danach sei "Feierabend" - trotz Konservierungsstoffe. Halbe Erwachsenendosis für die Kinder? Die speziell für Kinder gedachten Medikamente sind nicht zu bekommen - können Eltern dann im Notfall eine halbe Erwachsenentablette geben? "Kinder sind keine halben Erwachsenen", betont Rochell. Ob Arznei für Erwachsene auch bei Kindern angewendet werden könne, müsse im Einzelfall geklärt werden. Bei Kleinkindern bis vier, fünf Jahre rät der Apotheker aber dringend davon ab. "Je kleiner das Kind, je therapeutisch genauer muss ich den Wirkstoff dosieren." Und die Wirkstoffmenge richtet sich nicht nur nach dem Alter, sondern zum Beispiel auch nach dem Körpergewicht. "Es gibt Einjährige mit zehn Kilo Gewicht und welche, die 18 Kilo wiegen." Auf keinen Fall sollten Eltern Kindern unter zwölf Jahren Acetylsalicylsäure (Aspirin) als Fieber senkendes Mittel geben. Der Wirkstoff kann unter bestimmten Voraussetzungen das Reye-Syndrom bei Kindern auslösen, das Leber und Hirn schädigt und im schlimmsten Fall tödlich sein kann. Wenn keine Medikamente zu bekommen sind, helfen dann Hausmittel? "Es gibt natürlich Hausmittel wie Wadenwickel, Tees oder heiße Zitrone - das kann man immer machen", sagt Rochell. Bei starkem Schnupfen helfe etwa auch, mit Kochsalzlösung zu inhalieren. Doch die Behandlung mit Hausmitteln habe Grenzen. Grundsätzlich gelte aber bei Kindern wie Erwachsenen mit Infekt: "Ruhe, Ruhe, Ruhe und Trinken, Trinken, Trinken." Essen sei auch bei Kindern in dieser Zeit nicht so entscheidend, wenn sie nicht essen wollten. Ist es sicher, Medikamente online oder im Ausland zu kaufen? Als stationärer Apotheker sei er "natürlich kritisch", wenn es darum geht, Arznei im Internet zu bestellen. "Im Netz wird viel Schindluder getrieben." Auf jeden Fall sollte nach einem seriösen Angebot geschaut werden. Erkennbar zum Beispiel daran, dass es einen Ansprechpartner gebe. In einer Apotheke im Ausland Medizin zu kaufen, sei aber kein Problem. "Wenn eine Familie nahe an der niederländischen Grenze wohnt, ein Medikament in Deutschland schwer zu bekommen ist, aber in den Niederlanden vorrätig, sollen sie es dort kaufen." Auch wenn die Lieferschwierigkeiten in Deutschland gerade extrem seien, betreffe das grundsätzliche Problem auch unsere Nachbarstaaten. In Großbritannien beispielsweise seien zuletzt einige Kinder an Scharlach gestorben, weil Antibiotika knapp waren.

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