Kreis Höxter Hochstift-Forstamtsleiter: "Heute kann ich dem Wald beim Wachsen zuhören"

Herr Schockemöhle, vor eineinhalb Jahren sagten Sie angesichts der Borkenkäferplage und Trockenheit, man könne dem Wald beim Sterben zuhören. Und heute? Roland Schockemöhle: Heute kann ich dem Wald beim Wachsen zuhören. Die Situation ist aber weiterhin dynamisch. Rund 90 Prozent der Fichten, die älter sind als 40 Jahre, sind weg. Davon ist das allermeiste geerntet, abgefahren und verkauft. Wir haben einige sogenannte Dürrständer stehengelassen. Das sind abgestorbene, von Käfern wieder verlassene Fichten. Denn wir hatten zu wenig Tothölzer in unseren aufgeräumten Wäldern. Um alle Funktionen des öffentlichen Waldes zu bedienen, der der Erholung der Bevölkerung, der Allgemeinwohlleistung und der Naturschutz- und Ökosystemleistung dient. Insgesamt ein schwieriger Prozess, weil viele Akteure, vom Kämmerer einer Kommune bis zur Industrie und dem Naturschutz, daran zerren. Es geht hier auch um Vermögenswerte und die ökonomische Seite. Und damit einen Spagat und Kompromiss. Mit welchem Gefühl gehen Sie heute durch den Wald? Mit gemischten Gefühlen – auch, weil ich die große Verantwortung spüre. Der Wald ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Das freut mich. Er ist so sehr im Gespräch wie nie zuvor, nicht mal beim Waldsterben in den 80er-Jahren. Das Thema wurde von der Corona-Pandemie noch befeuert. Die Wälder waren voller Menschen, die die veränderte Landschaft sahen. Ich bin selbst immer wieder geschockt – auch jetzt noch – und erkenne Bereiche nicht wieder. Das ist nicht irgendeine große Fläche, das sind bei uns im Hochstift über 10.000 Hektar Wald, die fehlen. Damit sind auch gigantische Vermögenswerte weg. Ökonomisch eine Katastrophe und für einige Waldbesitzer existenzgefährdend. Aber ich bin auch immer wieder überrascht, wie schnell man sich an diese veränderten Landschaftsbilder gewöhnen kann. Und ich sehe daher die Chance des Augenblicks, den Wald klimastabiler zu gestalten. Ein kurzer Augenblick, der in fünf Jahren vorbei sein wird. Und wir sind mittendrin. Wie ist die Stimmung? Eine Mischung aus Verantwortung, Demut, Respekt – und total hoffnungsfroh. Wir haben ein gutes Rezept, aber es wird auch immer wieder Rückschlage geben. Ich bemerke eine Aufbruchsstimmung in der Mannschaft. 2019 nach Friederike, den Käfern und der Trockenheit herrschte Entsetzen. Wir haben uns gefragt, was machen wir hier? Was machen wir in der Krisenbewältigung falsch? Im Winter 2019 haben wir die Situation akzeptiert, dass wir flächendeckend nicht mehr hinterherkommen. Mittlerweile haben wir ganz unterschiedliche Strategien für die Zukunft entwickelt und wollen diesen kurzen Moment der Gestaltung nutzen. Alle Waldfunktionen sind wichtig: Der rentabelste Wald ist der stabilste Wald. Strukturierte Wälder sind Mischwälder und bringen uns auch ökonomisch in die Gewinnzonen. Dazu kommen die Bedeutung der Ökologie und der Erholungsfaktor. Arbeiten Sie jetzt nach der Devise: Die Fichte ist tot – es lebe die Buche? Es lebe die Vielfalt. Es kommt aus der Naturverjüngung der Buchen sicherlich kein böser Baum – doch die Buche eignet sich nicht so sehr für die großen Freiflächen. Für Fichtenpflanzungen habe ich forstfachlich gesehen derzeit kein Verständnis. Wir werden sicherlich intensiv mit der Eiche arbeiten, mit dem Ahorn oder der Lärche als heimischem Nadelbaum. Dazu Küsten- und Weißtanne, Douglasie, Baumhasel oder Esskastanie. Dabei werden wir truppweise aktiv auf tausenden Hektar wieder Wald anpflanzen, Stabilitätsträger in die Kulturen bringen, den Wald insgesamt klimaresistenter machen. Welche Erwartung haben Sie an das Jahr 2022? Es wird ein volles Wiederbewaldungsjahr werden und uns in Atem halten. Dazu gehören auch die großen Pflanzaktionen mit Bürgern. Die Menschen wollen Bäume pflanzen. Die Idee ist, dass sie sich dann mit ihrem Wald identifizieren. Schon 2021 war mit den günstigen Niederschlägen ein gutes Jahr für den Wald. 2022 begann gut, der März war aber viel zu trocken. Demnächst werden die Flächen wieder grün werden. Spüren Sie die Auswirkungen des Krieges in Europa? Der Angriffskrieg in der Ukraine hat erhebliche Auswirkungen auf Märkte, auch auf Rohstoffmärkte. Wir werden erleben, dass unser heimisches Holz zukünftig deutlich stärker nachgefragt wird. Wir müssen die Holznutzung der Zukunft intelligent und nachhaltig organisieren. Wir müssen Holz in einer Kaskade verwenden: erst stofflich, und dann, ein zweites Mal, energetisch. Was wünschen Sie sich von den Bürgern und von der Politik? Wir sind auf einem guten Weg, dass die Politik die Grundidee der Ökosystemleistung des Waldes mit der Monetarisierung verknüpft: Der wesentliche Beitrag des Waldes kommt aus seiner Leistung für das Ökosystem und den Klimaschutz. Und das wird weiter honoriert werden müssen. Das wird auch so kommen und ist gut und richtig. Die Gesellschaft wird die positive Wirkung des Waldes auf die Menschen anerkennen und honorieren, was der Wald uns Gutes tut. Das tut er zweifelsohne. Das haben wir gerade in der Corona-Phase gesehen. Das sehen wir auch heute noch. Wo viele Menschen sind, da gibt es auch Konflikte und Fragen. Auch unbequeme. Das halten wir aus, wollen rausgehen, auf die Bürger zugehen und erklären. Die Politik hat verstanden und Geld für die Wiederaufforstung in die Hand genommen. In den zwei Jahren wurden vier Millionen Euro Fördermittel an Waldbesitzer im Hochstift ausgegeben. Weniger für Einzel-, sondern vielmehr für Flächenförderungen. Oberstes Ziel ist der klimastabile Wald. Und dafür gilt es, Steuermittel unbürokratisch und zielfördernd einzusetzen. Dafür haben wir jetzt, da der Wald in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, gute Möglichkeiten.

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