"Wie mit Scheuklappen": So gefährlich ist für Kinder der Straßenverkehr

Kreis Höxter. Es ist Schützenfest im Ort. Thomas Kruse fährt mit dem Auto eine Straße in der Nähe des Festplatzes entlang. &bdquo;Links von mir geht plötzlich eine Haustür auf", erinnert sich der Polizeihauptkommissar. Ein Kind im Grundschulalter tritt unvermittelt aus dem Haus auf die Straße. Kruse bremst. Das Auto hält. Rechtzeitig. &bdquo;Es hatte nur die Hand auf der Motorhaube." Nur mit Schrittgeschwindigkeit sei er gefahren. Noch heute sei ihm der Vater des Kindes dafür dankbar. In dieser Geschichte steckt viel. Nicht nur der Appell, gerade jetzt zum Schulstart in NRW besonders vorsichtig und vorausschauend zu fahren. Sondern auch die Erkenntnis, dass sich Kinder im Straßenverkehr unerwartet verhalten können. Denn neben fehlender Übung haben die rund 1.300 i-Dötze im Kreis Höxter noch viele wichtige Entwicklungsschritte vor sich, weiß Kruse, der als Verkehrssicherheitsberater bei der Polizei im Kreis Höxter arbeitet. Das periphere Sehen zum Beispiel, das Blickfeld von Kindern, ist noch nicht voll entwickelt. Es ist auf einen Korridor begrenzt, der im Vergleich zu Erwachsenen viel enger ist. &bdquo;Wie bei einem Pferd mit Scheuklappen", zieht Kruse einen Vergleich. Die Konsequenz: Kinder nehmen näherkommende Autos viel später wahr als Erwachsene. Blickfeld eingeschränkt Laut Oliver Thöne, Geschäftsführer der Verkehrswacht im Kreis Höxter, ist das Blickfeld im Vergleich um rund ein Drittel eingeschränkt. Erst mit etwa acht Jahren sei es voll ausgeprägt. &bdquo;Als Autofahrer sollte man deswegen bremsbereit sein, wenn Kinder an der Straße stehen", so Thöne. &bdquo;Denn Schulanfänger sind meistens auch Verkehrsanfänger." Laut Kruse hören Kinder auch anders als Erwachsene. Der Beamte erinnert sich an eine Schulung in einem Wohngebiet. Hinter der Gruppe aus Kindern und Eltern knattert irgendwo ein Rasenmäher. Die Erwachsenen orten die Geräuschquelle sofort. &bdquo;Die Kinder dachten aber, es kommt ein Auto." Auch Entfernungen einzuschätzen, ist eine Herausforderung, wissen die beiden Experten. &bdquo;Da kommt ein Auto", habe ein Kind bei einer Schulung gesagt und die Straße nicht überqueren wollen, erinnert sich Kruse. Dabei war das Fahrzeug erst ein Punkt auf der Straße. Auch hätten Kinder zunächst ein egozentrisches Weltbild. Will heißen: Kinder gehen im Straßenverkehr davon aus, dass sie von Autofahrern gesehen werden. Ein fataler Trugschluss. Vor allem, wenn sie hinter parkenden Autos die Straße überqueren wollen. Dabei wird auch die Größe der Kleinen zum Problem. &bdquo;Denn Kinder schauen auf den Kofferraum oder auf die Motorhaube." Ihnen falle es schwer, so Kruse, sich in solchen Situationen in die Lage der Autofahrer zu versetzen. Die nämlich können es so versteckt nicht sehen. Spielwelten als Gefahr Auch eine der schönsten Kindeseigenschaften kann auf der Straße zum Problem werden. Nämlich die, sich in &bdquo;Traum- und Spielwelten" zu verlieren. Das zeigt der Polizeihauptkommissar den Eltern nach den Schulungen ihrer Kinder gerne mit einem Ball. Den legt er auf die Straße. &bdquo;Wer mir als erster den Ball holt, hat gewonnen", sage er den Kindern dann – und die flitzen los. An der Bordsteinkante stoppen und nach Autos schauen – Fehlanzeige. Es brauche nur den richtigen Reiz, sagt Kruse. Das könne auch die Oma oder ein Kumpel auf der anderen Straßenseite sein. Kindern fehle in solchen Situationen das Gefahrenbewusstsein, sagt Oliver Thöne von der Verkehrswacht. Deswegen appelliert er: &bdquo;Man muss als Autofahrer für die Kinder mitdenken." Gerade wenn sie in unerwartete Situationen gerieten, seien Kinder oft überfordert, beobachtet Kruse. Beherrschen sie den täglichen Schulweg vielleicht auch perfekt, kann ein Laster, der den Weg versperrt, oder eine neue Baustelle schnell zu einem Problem werden. Denn dann muss der Schulweg spontan verlegt werden. Das Gelernte auf neue Situationen anzuwenden, sei dann oft schwierig. Zu alldem kommen einige Entwicklungen unserer Zeit erschwerend hinzu. Kinder würden früher eingeschult, sagt Kruse. Oft mit fünf oder sechs Jahren, statt mit sechs oder sieben. Außerdem hapert es bei vielen an der Motorik. &bdquo;Die Kinder bewegen sich immer weniger", so der Beamte. Dabei braucht es die Motorik, um den Schulweg zu bewältigen. Und genau das müssen die Kinder auch tun, sagt Kruse. &bdquo;Es ist ein falsch verstandener Schutz, wenn Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule im selben Ort bringen", so der Polizeihauptkommissar. &bdquo;Es ist elementar wichtig, dass die Kinder mit den Füßen unterwegs sind." Schlicht, um den Schulweg und seine Gefahren kennenzulernen. Eine wichtige Botschaft Wichtig ist den Experten vor allem eine Botschaft: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Entsprechend sollte man sie auch nicht so behandeln. Oliver Thöne von der Verkehrswacht im Kreis Höxter gibt allen Eltern zum Schulstart folgende Tipps: Eltern sollten den Schulweg mit ihren Kindern üben, mehrfach und am besten schon vor dem Schulstart. Dabei sollten sie sich vorbildlich verhalten und erklären, was sie tun. Auch auf Gefahrenstellen abseits der Straße sollte hingewiesen werden. Etwa Grundstücks-, Tankstellen- und Supermarkteinfahrten. Um einen Eindruck vom Verkehr zu bekommen, sollten Eltern und Kinder den Schulweg zu der Zeit üben, zu der auch das Kind ihn später gehen wird. Der kürzestes Weg sei dabei nicht immer der Sicherste. Manchmal sei es sinnvoll, einen weniger gefährlichen Umweg zu wählen. Viele Schulen verfügen über Schulwegpläne. Generell wichtig Der Bordstein ist die Grenze. Die Kinder müssen verinnerlichen, dass sie hier grundsätzlich stehenbleiben müssen. Dicht befahrene Straßen sollten nur an Ampeln und Zebrastreifen überquert werden. Bei Grün dennoch nach links und rechts schauen und am Zebrastreifen per Handzeichen signalisieren, dass man auf die andere Seite möchte. Erst wenn die Autos gehalten haben, die Straße queren. Rollentausch Eltern sollten sich auch mal von ihrem Kind zur Schule führen lassen. So bekommen sie ein Gefühl dafür, wie sicher es bereits ist. Und genug Zeit einplanen: Hetze führt zu Unachtsamkeit. Gerade in der dunklen Jahreszeit sollten Kinder helle Kleidung und Reflektoren tragen, um besser gesehen zu werden.

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