Interview: Die neue Lust auf Regionalität im Kreis Höxter

Frau Prenzel, wie erklären Sie sich den Erfolg der Feierabendmärkte? Was macht das Konzept so attraktiv? Vera Prenzel: Ich denke, die Mischung macht’s. Zum einen sind die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit aktuell und werden für viele Menschen immer wichtiger. Zum anderen ist die Atmosphäre für den Feierabend – gerade in den Sommermonaten – einfach einladend, sowohl zum Einkaufen als auch zum Verweilen und sich mit Freunden oder der Familie einen schönen Nachmittag oder Feierabend auswärts machen. Wie hat sich das Konzept von Beginn an entwickelt oder verändert? Wenn ich so an den ersten Markt zurückdenke, muss ich auf jeden Fall schmunzeln. Es hat sich seitdem doch einiges getan. Beim allerersten Markt in Warburg hatten wir nicht einmal Sitzgelegenheiten organisiert. Und obwohl alles wunderbar geklappt hat und es ein toller Einstieg in die Feierabendmärkte war, waren der Ablauf und die Koordination der Stände sehr chaotisch. Mittlerweile konnten wir aus unserer Erfahrung lernen und sind wesentlich besser organisiert. Wie haben sich die Menschen, die Konsumenten entwickelt, was die Nachfrage nach lokalen und regionalen Produkten betrifft?Der Austausch mit landwirtschaftlichen Betrieben mit Direktvermarktung zeigt für unsere Region: Corona hat im letzten Jahr schon deutlich den Griff zu regionalen Produkten gestärkt. Ob dieses Phänomen weiter anhält, muss sich noch zeigen. Durch die Pandemie gab es aber sicher in vielen Haushalten Anpassungen beim Konsum von Lebensmitteln, die sich zum Teil verstetigen werden. Aber auch gesamtgesellschaftlich werden regionale Produkte attraktiver, was viele Umfragen zeigen. Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass viele Menschen sich vermehrt mit ihrem Umweltbewusstsein auseinandersetzen und ihr Konsum hinterfragen. Was uns allerdings auffällt: Es gibt immer noch eine Diskrepanz zwischen &bdquo;regional kaufen wollen" und &bdquo;was landet tatsächlich in meinem Einkaufskorb". Das Bewusstsein ist zum großen Teil schon da, muss aber noch mehr in die Tat umgesetzt werden. Es geht um die Wertschätzung von Lebensmitteln: Warum haben wir die verloren?Früher hatten viele von uns einen eigenen Garten, in dem Lebensmittel angebaut wurden, oder zumindest bei den Großeltern gab es einen großen Nutzgarten. Ich erinnere mich gerne an die große Obst- und Gemüseauswahl bei meinen Omas in den Gärten. Leider ist das heutzutage nicht mehr so häufig. Und damit geht auch das Verständnis verloren, wie viel Zeit und Arbeit hinter der Lebensmittelproduktion steckt. Gleichzeitig hat sich die Landwirtschaft verändert: Viele Auflagen für landwirtschaftliche Betriebe sorgen dafür, dass man als Bürgerin nicht mehr &bdquo;mal eben" in jeden Schweinestall reingucken kann, Weidehaltung von Milchvieh und Rindern rechnet sich für Betriebe nicht, deshalb sieht man auch nicht mehr so viele Kühe auf der Wiese. Obst- und Gemüseplantagen sind – zumindest hier vor Ort – weniger geworden. Was bedeutet das?Den Unterschied zwischen &bdquo;gut" und &bdquo;schlecht" produzierten Lebensmitteln kann ich also nicht sehen, ich sehe nur den Preis. Und letztendlich kommt auch eine &bdquo;Geiz ist geil"-Mentalität aus den Medien hinzu. Wenn ich ein Produkt günstiger kaufen kann, warum sollte ich dann mehr dafür bezahlen? Welche versteckten Kosten wir dabei vergessen, für die dann unsere Umwelt oder Länder im globalen Süden den Preis zahlen, ist uns einfach wegen fehlender Transparenz oft gar nicht mehr bewusst. Was gefällt Ihnen persönlich so gut an dem Konzept? Worauf freuen Sie sich bei einem solchen Markt?Mir persönlich gefällt gut, dass es ein leichter Einstieg in eine komplexe Thematik ist. Für Standbetreiberinnen ist es praktisch, weil sie sich einfach mal ausprobieren können und nicht direkt die Hürde eines dauerhaft zu beschickenden Wochenmarktes sehen. Für Besucherinnen steht vielleicht der Imbiss im Vordergrund, aber trotzdem können sie auch viel lernen. Ich freue mich immer, wenn ich unbekannte Gesichter sehe. Dann denke ich: Ok, wir können jemand neues für die gute Sache gewinnen. Warum ist der ländliche Raum für eine Ausrichtung prädestiniert?Prädestiniert würde ich nicht unbedingt sagen. Es gibt auch viele erfolgreiche Konzepte von Feierabendmärkten in Großstädten. Unsere Region hat insofern einen Vorteil, dass es hier wirklich viele landwirtschaftliche (Bio-)Betriebe gibt, das heißt, wir können die kurzen Transportwege, von denen wir bei den Märkten immer sprechen, auch tatsächlich leben. Teilweise schauen die lokalen Betriebe nach alternativen Vermarktungsformen, und dafür können wir eine Plattform bieten. Die Hürde im ländlichen Raum ist, dass wir immer zusehen müssen, dass für die Beschickerinnen auch der Absatz stimmt – also genug Menschen zu den Feierabendmärkten kommen, die auch den Charakter des Wochenmarkteinkaufs wahrnehmen und nutzen. Wie und wo sehen sie Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Angeboten oder Initiativen?Von Anfang an war unser Ziel, möglichst viele thematisch passende Vereine einzubinden. Gerne hätten wir häufiger Kooperationen umgesetzt, wie zum Beispiel die Programmgestaltung an Partner übergeben, wie jetzt mit der Erd-Charta-Ideenwerkstatt in Warburg. Es steckt aber auch sehr viel Abstimmung und zusätzlicher Arbeitsaufwand dahinter und vor allem ehrenamtliches Engagement. Da wünschen wir uns oft mehr helfende Hände. Für die Zukunft fände ich es toll, wenn wir den Naturschutzbereich mehr einbinden könnten und mehr Angebote für Kinder schaffen würden. Glauben Sie, dass die Region noch mehr und noch öfter Feierabendmärkte vertragen kann? Meine Vision ist, dass in noch mehr Städten im Kreis Höxter Feierabendmärkte initiiert werden und diese dann zeitlich abgestimmt stattfinden. Es wäre doch super, wenn wir bald vielleicht alle zwei Wochen bei einem Feierabendmarkt einkaufen könnten. Es gibt bisher nicht in jeder Stadt die Möglichkeit, auf dem Wochenmarkt einzukaufen – vor allem nachmittags oder nach Feierabend. Viele Dörfer haben sogar gar keine Einkaufsmöglichkeiten mehr. Klar, die Supermärkte sind nicht weit weg – und viele haben auch ein regionales Regal. Aber der Einkauf auf dem Wochen- oder Feierabendmarkt schafft einfach mehr Nähe zwischen Konsumenten und Erzeugern. Da sehe ich auf jeden Fall noch Luft nach oben, wie uns auch viele Besucher bereits bestätigt haben. Welche Effekte ziehen solche Märkte nach sich, was andere Anbieter als die typischen Wochenmarktbeschicker angeht?Wir versuchen, auch die ortsansässigen Händlerinnen einzubinden, seien es Cafés oder Restaurants an den Marktplätzen oder die Einzelhändlerinnen mit verlängerten Öffnungszeiten. Da haben sich schon interessante Effekte ergeben, zum Beispiel die Möglichkeit, im Restaurant Frühauf Geschirr zu spülen, dass beim Markt zum Einsatz kam, um die Müllproduktion so gering wie möglich zu halten. Sowas freut uns immer besonders, weil wir auch ein nachhaltiges Veranstaltungsmanagement vorleben möchten mit den Feierabendmärkten. Und wie kann man die vielen guten Insellösungen, die es schon gibt im Kreis, die aber viel zu wenig bekannt sind, weil der Norden so weit weg ist vom Süden, besser bündeln?Das ist tatsächlich eine sehr gute Frage, auf die ich auch noch keine abschließende Antwort weiß. Wir haben wirklich viel zu bieten im Kreis Höxter und tolle Besonderheiten. Aber der Kreis ist eben auch sehr groß. Eine Einkaufsmöglichkeit für regionale Produkte an einem zentralen Ort war schon öfter eine fixe Idee. Aber die Logistik dahinter ist nicht so leicht zu gestalten. Eine intensivere Vernetzung kann aber vielleicht für die Zukunft noch die zündende Idee bringen. Ziel ist eine Verstetigung: Übernimmt Warburg, wo die Märkte seit 2018 stattfinden und die Organisation mittlerweile beim Stadtmarketing liegt, da eine Vorreiterrolle, wie der Übergang stattfinden kann oder sollte?Warburg war die erste Stadt im Kreis Höxter, in der 2018 Feierabendmärkte eingerichtet wurden. Insofern könnte hier eine Vorbildfunktion entstehen, dass die finanzielle Sicherung der Feierabendmärkte seit Auslaufen der Projektförderung durch die Hansestadt geleistet wird. Allerdings hat die BI seit 2018 die Gesamtorganisation der Feierabendmärkte in Warburg in Absprache mit der WirtschaftsfördrungWirtschaftsfördrung und weiteren Beteiligten weiterhin inne. Aktuell ist meine Kollegin Jana Berger für Warburg zuständig. Wo die Organisation dauerhaft angesiedelt wird, kann je nach Stadt unterschiedlich sein. Ein aktives Stadtmarketing ist sicher für die Organisation prädestiniert, aber auch eine Werbegemeinschaft könnte die Verstetigung leisten. Gegebenenfalls könnte sogar eine kreisweite Koordinierung sinnvoll sein oder eine übergeordnete Ansiedlung weiterhin bei der BI. Wie ist die Nachfrage bei den Anbietern/Marktbeschickern? Rennen sie Ihnen die Türen ein? Zuerst war ich oft mit Zurückhaltung konfrontiert. Für manche kommt es auch einfach aus personellen oder zeitlichen Engpässen nicht in Frage, obwohl sie die Sache unterstützenswert finden. Aber es kommen mittlerweile immer mehr Interessierte auf uns zu, so dass wir schon manchmal schauen müssen, ob thematisch alles zusammenpasst. Unseren roten Faden – regional, saisonal, nachhaltig, fair – möchten wir natürlich behalten und sind weiterhin vor allem auf der Suche nach landwirtschaftlichen Betrieben. Nach Warburg, Brakel und Beverungen stehen noch weitere Städte in der Warteschleife – ich habe auch von Nieheim gehört, die auf dem Richterplatz loslegen wollen. Welche Städte ziehen nach? Genau, wir freuen uns total, dass weitere Städte ebenfalls interessiert sind am Konzept! Nieheim steckt auf jeden Fall in der Planung und auch Ottbergen möchte dieses Jahr noch einen Feierabendmarkt veranstalten. Von unserer Seite soll es einen kreisweiten Austausch Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres geben, mit dem vielleicht weitere Städte begeistert werden können. Welche Pläne haben Sie über 2022 hinaus, wenn das Leader-Projekt ausläuft? Mit dem Projekt, aber auch persönlich?Ich werde mich auf jeden Fall weiter im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit engagieren. Bisher ist eine Anschlussfinanzierung für das Leader-Projekt noch nicht in Aussicht, aber es ist ja noch etwas Zeit, um neue Ideen auf den Weg zu bringen.

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