Zum 100. Geburtstag: Frau aus dem Kreis Höxter wird größter Wunsch erfüllt

Borgentreich-Körbecke/Dortmund. Vorab zum Geburtstag zu gratulieren, soll Unglück bringen. Sicherlich gilt das auch häufig für Geschenke, die dem Geburtstagskind vor dem Ehrentag überreicht werden. Bei Anneliese Götte ist das anders. Ihr sehnlichster Geburtstagswunsch ist ein paar Wochen vor ihrem großen Tag in Erfüllung gegangen und hat die Jubilarin in Hochstimmung versetzt. &bdquo;Sie ist total rege und jetzt ganz aufgekratzt“ – im positivsten Sinn, wie Klaus Lange, ihr Betreuer, berichtet. Kein Wunder, denn zum 100. Geburtstag an diesem Sonntag, 28. September, hat Anneliese Götte die Chance bekommen, noch mal zu ihren Wurzeln zurückzukehren. &bdquo;Sie sagte, das war für sie das schönste Geburtstagsgeschenk, was sie je bekommen hat“, berichtet Hermann Götte, Annelieses Sohn, der sie auf die Reise in die Vergangenheit begleitet hat. Anneliese wurde am 28. September 1925 als erste Tochter von Heinrich und Antonie Wittkopp in Dortmund geboren. Vier Jahre später kam Schwester Gerda zur Welt. &bdquo;Ihre Kindheit und Jugend hat meine Mutter in Dortmund verbracht“, erzählt Hermann Götte, &bdquo;für sie ist Dortmund auch immer die Heimat geblieben, obwohl sie schon seit 80 Jahren in Körbecke lebt“. Annelieses Eltern hatten nach dem Ersten Weltkrieg Körbecke verlassen, weil es dort keine Arbeit gab. In einem Verbund von fünf jungen Männern zog Heinrich Wittkopp 1918 ins Ruhrgebiet, um dort zu arbeiten. Nach einer ersten schweren Zeit holte Heinrich, der dann bei der Bahn arbeitete, 1920 seine damalige Freundin Antonie Fischer zu sich und heiratete sie. Kindheit und Kriegserlebnisse lassen Borgentreicherin nicht los Vielleicht wäre die Familie für immer in Dortmund geblieben, wäre nicht der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Für Anneliese Götte nicht nur eine prägende, sondern eine traumatische Zeit, wie ihr Betreuer berichtet. Er hat sich in den vergangenen Jahren viel mit ihr unterhalten. &bdquo;Bei meinen Besuchen habe ich immer wieder versucht, mich mit ihr über aktuelle Themen zu sprechen“, berichtet Lange, &bdquo;doch ganz schnell ist sie wieder bei ihrer Geschichte“. Dabei habe Anneliese Götte so gut erzählt und so lebhafte Bilder geschildert, dass sich die Orte in Dortmund, die Lange später besuchte, &bdquo;sofort bekannt“ anfühlten. Zum Thema: Zweiter Weltkrieg: Höxters letzte Tage im April 1945 Heinrich Wittkopp war Mitglied des Spar- und Bauvereins und bekam so 1928 eine Wohnung in der Sonnenstraße, die zum sogenannten Althoffblock gehört. Eine Wohnanlage, die der Verein ab 1914 vor allem für Arbeiter baute. Üblicherweise wurden acht Parteien in den Häusern untergebracht. Anneliese lebte mit ihrer Familie in der Hausnummer 208, vierte Etage links. Traumatische Erlebnisse im Dortmunder Bunker Lange verlief Annelieses Leben unbeschwert. Sie ging zur Grund-, ab 1935 zur Mittelschule. Zu dieser Zeit begann die &bdquo;Landverschickung“ von Kindern. Auch Annelieses Schwester Gerda wurde damals zu den Großeltern nach Körbecke geschickt. Soweit es die Kriegswirren zuließen, ging Anneliese weiter zur Schule, die sie 1941 wegen des Krieges ohne Abschlussprüfung verließ. Auch interessant: Bunker im Kreis Höxter – Wo es im Notfall sicher ist Das junge Mädchen hat die Kriegsschrecken in Dortmund am eigenen Leib erfahren. &bdquo;Sie hat Bombenangriffe erlebt und wurde verschüttet“, schildert Lange. In einem Hochbunker hatte Antonie Wittkopp damals mehrfach mit Anneliese Schutz vor Fliegerbomben gesucht. &bdquo;Das war ein großer Haufen Beton mit mehreren Etagen“, beschreibt Lange. Hunderte Menschen hatten dort Platz. 1944 zerstörten Bomben die ganze Stadt, Trümmer verschütteten den Eingang des Bunkers mehrfach, sodass Anneliese, ihre Mutter und zahlreiche andere Frauen und Kinder dort teilweise mehrere Tage ausharren mussten. Bei einem Angriff, der wohl den Bahnschienen in unmittelbarer Nähe zur Sonnenstraße galt, wurde auch das Wohnhaus von Annelieses Familie zerstört. &bdquo;Es war unbewohnbar“, weiß Hermann Götte. Borgentreicherin gründet nach dem Krieg eine Familie Also flüchteten Anneliese und ihre Mutter ebenfalls nach Körbecke. Josef Götte, den alle nur &bdquo;Jupp“ nannten, hatte Anneliese schon vorher in Körbecke kennengelernt. Jupp war knapp 15 Jahre älter als Anneliese, doch das habe das Paar nie gestört, sagt der Sohn. 1946 heirateten Anneliese und Jupp und bekamen gemeinsam drei Kinder. 1947 wurde Hiltrud geboren, Hermann folgte 1952, 1963 kam Nesthäkchen Joachim zur Welt. Heute hat Anneliese sieben Enkelkinder und sechs Urenkel. Jupps Familie betrieb die Metzgerei im Ort, die er und Anneliese dann übernahmen. &bdquo;Nach dem Krieg haben sie eigentlich rund um die Uhr gearbeitet und nie Urlaub gehabt“, erzählt Hermann Götte, der seit 1975 den Betrieb in der Lamerdener Straße leitet. Nur fünf Jahre später starb sein Vater Jupp. Anneliese half noch bis ins hohe Alter in der Metzgerei mit. &bdquo;Sie war immer Geschäftsfrau und tough im Leben“, beschreibt ihr Sohn. Lesen Sie auch: Klaus und Esel &bdquo;Fritz“ sind auf Kloster-Pilgertour durch den Kreis Höxter Traum von Dortmund: Borgentreicherin kehrt zum Jubiläum zurück Anneliese Götte liebte Busreisen in die Berge, nach Österreich, in die Schweiz oder nach Südtirol, wo sie wanderte. Jahrzehntelang war sie Teil einer Turngruppe im Ort und traf sich wöchentlich in einer Damengruppe zum Kaffee. Außerdem strickte sie viel und liest weiterhin gern. Mit dem Fernsehprogramm kann sie hingegen häufig nicht viel anfangen. &bdquo;Entweder interessiert es sie nicht oder die Nachrichten holen die alten Geschichten hervor“, sagt Klaus Lange. Jetzt, mit 100 Jahren, ist sie geistig noch fit, nur in Folge eines Sturzes nicht mehr ganz so mobil. Lesen Sie auch: Geschichte in Beverungen – Warum musste Theodor Roeingh sterben? Deswegen war es auch ein Wagnis, Dortmund noch einmal zu besuchen. Und gleichzeitig die größte Sehnsucht. Gemeinsam mit einem Reporter des &bdquo;WDR“, zu dem Klaus Lange den Kontakt hergestellt hatte, hat Anneliese Götte &bdquo;ihr“ Haus in Dortmund besucht. &bdquo;Im Eingang sah es noch genau so aus“, beschreibt Hermann Götte. Womöglich sei das Haus nach dem Krieg mit denselben Materialien wieder aufgebaut worden. Fliesen und Treppengeländer habe Anneliese Götte jedenfalls sofort wiedererkannt. Eine heutige Mieterin hatte sich bereiterklärt, dass in der Wohnung gefilmt wurde. Zu finden ist der Beitrag für die Aktuelle Stunde in der Mediathek. Nun freut sich Anneliese Götte auf ihre Geburtstagsfeier am Sonntag, 28. September, ab 11 Uhr in den ehemaligen Räumen der Metzgerei.

Meistgelesen