Jüdische Nachfahren aus den USA sind gerührt von Stolpersteinen im Kreis Höxter

Borgentreich. &bdquo;Gäste aus den USA“, sagt Klaus Jürgens. Für eine Woche abgestiegen in einer Warburger Ferienwohnung. Der Grund der Reise: die Verlegung der ersten Stolpersteine in Borgentreich. Aktionskünstler Gunter Demnig hatte sie zum Gedenken an die jüdischen Opfer der Nazi-Diktatur ins Straßenpflaster gelegt. Darunter auch der Name von Günter Goldsmith. &bdquo;Mein Vater“, sagt Steve Goldsmith. Die Großmutter des 68-Jährigen ist 1922 Schützenkönigin im Ort. Irma Bierhoff, 1901 in Borgentreich geboren und Jüdin, heiratet mit 23 Jahren Julius Goldschmidt aus Bad Hersfeld. &bdquo;Die beiden ziehen nach Hannover“, sagt Jürgens. Dort wird Sohn Günter geboren. 1932 kehrt die kleine Familie nach dem Tod von Irmas Vater zurück in die Bördestadt. Am 10. November 1938 hatte eine Horde von SA-Männern, angeführt von Bürgermeister Franz Woker, die Inneneinrichtung des kleinen jüdischen Bethauses an der Borgentreicher Gossenstraße kurz und klein geschlagen und das Mobiliar auf der Straße verbrannt. &bdquo;Wie alle erwachsenen Männer im Ort wird Julius nach der Reichspogromnacht verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt“, weiß Jürgens. &bdquo;Nur wenige Wochen in sogenannter Schutzhaft verstirbt er am 2. Dezember.“ Als Todesursache des 45-Jährigen geben die Nazi-Schergen &bdquo;doppelseitige Lungenentzündung“ an. Nur Günter entkommt dem Nazi-Grauen Gattin Irma zieht mit Sohn Günter und ihrer Mutter Regina im Jahr darauf zu Verwandten nach Salzkotten, später zu ihrem Bruder Herbert nach Kassel. &bdquo;Sie schafft es, für ihren Sohn in Stuttgart ein Visum zu besorgen, mit dem Günter mit 15 Jahren 1941 von Berlin aus in die USA emigrieren kann“, sagt Jürgens. Günter Goldsmith stirbt hochbetagt 2018 in St. Louis, Missouri. Irma, Bruder Herbert Bierhoff und seine Familie gehören zu den Kasseler Bürgern jüdischen Glaubens, die am 9. Dezember 1941 ins Rigaer Ghetto deportiert werden. Vier Monate später taucht ihr Name beim Transport ins KZ Stutthof bei Danzig auf. &bdquo;Dort verliert sich ihre Spur“, sagt Jürgens. &bdquo;Irma wurde 43 Jahre alt, ihre Mutter stirbt im Vernichtungslager Treblinka.“ Ermordet: In Salzkotten und Kassel erinnern Stolpersteine an die damals 68-Jährige und ihren Sohn. Alfred Bierhoff wandert bereits 1926 in die USA aus. Der ehemalige Schüler des Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums in Höxter, 1906 als jüngster Sohn von Regina und Viktor Bierhoff in Borgentreich geboren, hatte lange versucht, die Familie zu überreden, Deutschland zu verlassen. &bdquo;Ohne Erfolg“, sagt Jürgens. Doch sei Günter mit der Unterstützung seines Onkels Alfred nach St. Louis gekommen. E-Mail-Kontakt über Neuseeland in die USA Die Vorfahren der Familien Bierhoff und Sostheim lassen sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts in der Bördestadt nachweisen. Das hat Jürgens recherchiert. Als Stadtarchivar habe er Einblicke in viele Akten, sagt der 71-Jährige. Zusammen mit Uwe Kohlbrock hatte Jürgens die Stolperstein-Aktion in der Orgelstadt initiiert. Kollegen aus Höxter hatten ihm bei seiner Spurensuche eine E-Mail aus Neuseeland weitergeleitet. &bdquo;Von einem Rich Leschen, einem Enkel von Alfred und Cousin von Steve“, erzählt Jürgens. Der Borgentreicher schrieb Leschen, der dann den Kontakt in die USA vermittelte, daraufhin sofort an. Begeistert vom Engagement und der Stolperstein-Initiative bucht Steve Goldsmith gleich die Flugtickets für sich, Gattin Lexie, Sohn Matt und Neffe Cody Bierman, der Sohn von Goldsmiths Schwester. Und sie sind dabei, als Künstler Gunter Demnig die Gedenksteine, die jetzt an die Schicksale der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnern, für die Angehörigen der Familien Goldschmidt und Bierhoff an der Gossenstraße 7 verlegt. Das große Interesse an den deutsch-jüdischen Vorfahren Das Interesse an den Vorfahren: Die eigene Familiengeschichte sei den meisten Amerikanern wichtig, sagt Jürgens. Das habe ihm Goldsmith beim Besuch auf dem jüdischen Friedhof an den Gräbern der Urgroßeltern gesagt. Stolpersteine und Mahnmale, solch eine Erinnerungskultur sei in den Staaten unbekannt. &bdquo;Lasst doch den alten Quatsch ruhen, damals war ich noch nicht geboren, damit habe ich nichts zu tun: In den USA kommen die gleichen Sprüche wie hier“, sagt Jürgens. Die Menschen daran zu erinnern, dass auch die Geschichte ein Teil ihres Lebens ist, das findet Jürgens wichtig. Goldsmiths Vater Günter habe sehr lange gar nichts erzählt. &bdquo;Dann hielt er auch vor Schülern in Amerika Vorträge über Judentum und den Holocaust“, sagt Jürgens. Im Internet gibt es ein Youtube-Video, in dem Goldschmidt von seinem und dem Schicksal der europäischen Jüdinnen und Juden spricht. &bdquo;Glücklich war jeder, dem es gelungen war, Europa vor 1942 zu verlassen. Ich war einer“, sagt Günter im Video. Er wolle seine Geschichte teilen, sagt der damals 82-Jährige. 2007 war das, als er im Holocaust Museum and Learning Center in St. Louis interviewt wurde. Lange den Spuren der jüdischen Mitbürger gesucht Drei Jahre hatte Jürgens nach den Spuren der jüdischen Mitbürger gesucht, die Opfer der Nazis wurden. &bdquo;Die Recherchen und Familienschicksale gingen schon an die Substanz“, bekennt der 71-Jährige. &bdquo;Man schläft nicht mehr gut“, sagt er. &bdquo;Dass die Nachkommen die Reisestrapazen auf sich nehmen und zu Besuch kommen, mehr kann man als Lohn nicht erwarten“, zeigt sich der Stadtarchivar dankbar. Drei Tage blieb die amerikanische Familie in der Warburger Börde. Im Intercity ging es dann wieder nach Frankfurt, bevor für eine Woche der Flieger nach Spanien abhob.

Meistgelesen