Gedenken statt Wegsehen: Bad Wünnenberger Ortsteil steht nach Attacke auf jüdisches Haus zusammen

Bad Wünnenberg-Haaren. Es war ein lautes Schweigen von 200 Menschen in Haaren. Sie waren Dienstagabend zur Mahnwache am Haus der jüdischen Familie Rosenberg gekommen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Hier hatten Unbekannte Sonntagfrüh eine Fensterscheibe zur Paderborner Straße eingeworfen. Der Staatsschutz ermittelt wegen einer politisch motivierten Tat. Mutmaßlich wurde sie mit einem der lose dort befindlichen Gedenksteine für verstorbene Haarener Juden ausgeführt. Während der Mahnwache hat Bewohnerin Viktoria Rosenberg nun offenbart, dass es sich dabei um den Stein handelte, der den Namen ihres Vater trug. Neues vom Tatort Die umtriebige Haarenerin hofft auf schnelle Aufklärung: &bdquo;Ich schließe nicht aus, dass sich dieser Mensch melden wird“, sagt sie über den oder die Täter. Vor 15 Jahren sei die Scheibe schon einmal eingeschlagen worden. &bdquo;Damals war aber Schützenfest, das waren andere Umstände“, erinnert sie sich während der Mahnwache vor ihrer Haustür. Danach habe sie das Fenster jedoch mit einer zweiten Ebene aus Panzerglas verstärkt. &bdquo;Das hat den Täter diesmal bestimmt erschreckt, denn der Stein prallt dann sofort zurück.“ Wieso Steine auf dem Gehweg liegen Beschädigt wurde nur die oberste Glasschicht, Scherben fielen auf den Bürgersteig. Dort lässt Rosenberg sie auch liegen, verstreut neben den von ihr selbst beschriebenen Steinen zur Erinnerung an die jüdischen Haarener Opfer des Nazi-Terrors. Unweit davon sind für drei Rosenbergs, Jacob, Julius und Helene, im Mai 2022 auch die so genannten Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig verlegt worden. Weiterer Gedenkort in Haaren Auch mit der Aufstellung eines Gedenksteins am jüdischen Friedhof in Haaren wurde 2006 schon ein sichtbares Zeichen zur Erinnerung an ehemalige jüdische Dorfbewohner, die Opfer der Nazis wurden, gesetzt. Auf dem Stein sind 28 Opfer des NS-Terrors namentlich genannt. Ihre Namen finden sich auch auf einer Liste, die - versehen mit einem Davidstern - Viktoria Rosenberg an ihrem Haus angebracht hat. Lesen Sie auch: Attacke auf Haus von jüdischer Familie: Dorf im Kreis Paderborn zeigt Flagge gegen Antisemitismus Das sind die Rosenbergs Zu den NS-Opfern gehören auch Jacob, Julius und Helene Rosenberg. Die Familie wohnte nicht nur mitten im Dorf, sie war auch vollständig in die dörfliche Gemeinschaft integriert, wie Recherchen belegten. Das änderte sich, als die Nazis 1933 die Macht übernahmen. Während Julius Rosenberg 1937 die Flucht nach Palästina gelang, wurde sein Vater Jacob 1944 in Theresienstadt umgebracht und seine Schwester Helene 1941 nach Minsk deportiert, wo sie ebenfalls ermordet wurde. Die beiden Häuser der Familie an der Haarener Dorfstraße wurden in der Nacht zum 11. November 1938, der so genannten Reichspogromnacht, beschädigt. Historisch bedeutsamer Betraum Besonders der historisch bedeutsame Betraum im Obergeschoss im heutigen Haus von Viktoria Rosenberg wurde demoliert. Das Dach konnte seinerzeit geöffnet werden, um direkt zum Himmel zu beten. Bis heute ist der Raum erhalten, nur das Dach kann nicht mehr geöffnet werden. Beide Häuser blieben über den Krieg erhalten und stehen noch heute an ihren Plätzen an der Paderborner Straße. Das fast 300 Jahre alte Fachwerkhaus von Viktoria Rosenberg, auf das die Attacke verübt wurde, steht unter Denkmalschutz. Kommentar: Angriff auf jüdisches Wohnhaus im Kreis Paderborn: Wann kommt der Aufschrei der Mitte? Gedenken gegen das Vergessen Zur Stolpersteinverlegung 2022 trug seinerzeit auch die Nichte von Julius Rosenberg, Helene Rosenberg, bei. Sie nahm Kontakt zur Stadt Bad Wünnenberg sowie dem Heimat- und Verkehrsverein Haaren auf, um an die drei Nazi-Opfer der Familie zu erinnern. Zur Verlegung kamen rund 150 Gäste. Unter ihnen auch die Töchter von Julius Rosenberg, Rina und Ruth aus Israel. Auf eigene Initiative häufte Viktoria Rosenberg dann die weiteren Steine mit Haarener Opfernamen an ihrer Hauswand auf. Sie hatte gemeinsam mit dem Paderborner Pädagogen Jost Wedekin für ein Buch über die Geschichte der Haarener Juden recherchiert und dabei festgestellt: &bdquo;Alle Gräueltaten der Nazis und ihrer Sympathisanten, die man aus anderen Städten kennt, hat es auch hier bei uns gegeben.“ Auch in der Bad Wünnenberger Kernstadt erinnern Stolpersteine an jüdische Nazi-Opfer. Sie wurden im März im Gedenken an die verfolgte und deportierte Familie Aronstein vor deren früherem Wohnhaus an der Mittelstraße eingesetzt. Lesen Sie auch: Gedenkstein als Tatwerkzeug? Fenster von jüdischem Haus im Kreis Paderborn eingeschlagen Zeichen der Dorfgemeinschaft Der in Deutschland verstärkt aufkommende Antisemitismus, auch befördert durch pro-palästinensische Bewegungen, hat Familie Rosenberg durch die Attacke nun wieder erreicht. Die Mahnwache hat aber gezeigt, dass sie nicht alleine ist. Als die Menschen gegangen waren, leuchteten mehr Kerzen als sonst rund um die Gedenksteine vor dem Haus.

Meistgelesen