Beverungen

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Bürgermeister zu Würgassen-Plänen: „Wir fordern Gespräche auf Augenhöhe“

Beverungens Rathausschef Hubertus Grimm über Überraschungen, Überrumplungen und die nächsten Schritte im Kampf gegen die Atommülllager-Pläne

Das Thema Transportwege ist laut Bürgermeister Hubertus Grimm einer der Knackpunkte bei der Planung. | © Mareike Gröneweg

Simone Flörke
31.07.2020 | 31.07.2020, 19:31

Herr Grimm, welchen Satz möchten Sie Ende 2027 über Beverungen, speziell über Würgassen, in der Zeitung lesen?

Hubertus Grimm: Gar nichts mehr über dieses Thema. Das Leben soll in ruhigen Bahnen verlaufen und wie bisher weitergehen. Ich sehe auch noch nicht, dass Züge mit Atommüll Richtung Würgassen rollen werden. Mit vereinter Kraft müssen wir an die Vernunft appellieren.

Wie wollen, wie können Sie als Stadt und als Rat bis zum Jahresende agieren, um den Protest gegen die vorgelegten Pläne in Würgassen noch deutlicher zu machen?

Grimm: Unsere Nachbarkommunen haben die Resolution gegen die Würgassen-Pläne unterstützt, manche in etwas abgewandelter Version. Aber das passt. Wir planen jetzt Anfang August, alle Resolutionen zusammenzufassen und an das Bundesumweltministerium zu geben.

Nicht nur als Stadt Beverungen, sondern als Region für die Kreis Höxter, Holzminden, Kassel zeigen gewählte Vertreter ihr Nein zum geplanten Bereitstellungslager. Parallel laufen dann Gespräche mit der BGZ und dem Ministerium. Es war gut, dass Staatssekretär Jochen Flasbarth Ende Juni zum Gespräch hier war und sich erstmals die Argumente vor Ort angehört hat. Wir werden weitere Gespräche einfordern, auch im Bundesumweltausschuss.

"Brauchen wir überhaupt ein solches Bereitstellungslager?"

Was erwarten Sie sich davon?

Grimm: Unser Ziel über allem ist es, dass sich ein unabhängiges Gremium erneut mit den Kriterien für die Standortauswahl befasst. Und mit der Frage, brauchen wir in digitalen Zeiten überhaupt ein solches Bereitstellungslager? Bei einem Ja und eine Suche nach dem besten Standort dürfen Kriterien dafür dann nicht auf zwei reduziert werden, sondern müssen weiter gefasst und neu gewichtet werden. Dass man zwei Kilometer Gleise reaktivieren kann, ist unbestritten.

Doch wir hängen an der Bahnstrecke Altenbeken – Göttingen. Und im ÖPNV des ländlichen Raumes dann mit Tranportzügen zusätzliche Einschränkungen beim Güterverkehr hinnehmen zu müssen, das ist das Allerletzte. Dazu kommen die fehlende Zweigleisigkeit, die notwendigen Brückeninstandsetzungen, die Elektrifizierung von Tunneln.

Wir sind gewappnet – das ist bei Jochen Flasbarth angekommen. Überrascht war er auch von der Straßenanbindung – und wie weit entfernt im Dreiländereck die nächste Autobahnanbindung ist. Die Transportstrecke auf der Straße – immerhin würde das 20 Prozent ausmachen – mitten durchs Stadtgebiet mit den Nadelöhr Dalhausen ist dafür überhaupt nicht geeignet.

"Wir leben nicht mehr in den 1960ern"

In allen drei Bundesländern regt sich massiver Widerstand. Binnen kürzester Zeit gab es eine BI, dann den Verein, Proteste, Videoschalten, Logo, Internet-Petition. Wie bewerten Sie das Engagement der Menschen? Überrascht?

Grimm: Nein, nicht überrascht. Wir leben nicht mehr in den 1960ern, als man den Bau des Kraftwerks an der Bevölkerung vorbei durchgezogen hat. Diese Zeiten sind vorbei. Es ist schon phänomenal, wie sich die Menschen über Ländergrenzen hinweg zusammengefunden haben – mit Verstand, Herzblut und persönlichem Einsatz. Um Beverungen eine Stimme zu geben.

Die mehr als 5.000 Unterschriften der Online-Petition und die Diskussionen zeigen, dass die überwältigende Mehrheit gegen das Bereitstellungslager ist. Wir stehen in regelmäßigem Kontakt mit dem Verein um Dirk Wilhelm, tauschen uns aus. Ich sehe mich in der Rolle des Moderators – wegen des Neutralitätsgebotes als Bürgermeister. Aber es gibt klare Ratsbeschlüsse – und deshalb werden wir alle Hebel in Bewegung setzen, um dieses Bereitstellungslager zu verhindern.

Und waren Sie überrascht von den Plänen der BGZ?

Grimm: Überrascht und überrumpelt. Uns Verantwortungsträger hat die Entscheidung Anfang März auch in die Bredouille gebracht. Die Bevölkerung nimmt mir und anderen doch nicht ab, dass wir gar nichts gewusst haben. Wir werden als Mittäter angesehen – und die sind wir in keinster Weise.

Doch wie können wir glaubhaft versichern, dass wir wirklich nichts von den Plänen gewusst haben? Und das ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl. Ich habe am 5. März um Viertel vor Fünf davon das erste Mal gehört – am 6. März gab es die Pressekonferenz der BGZ, zu der ich nicht eingeladen war. Morgens haben wir uns mit der BGZ bei mir im Büro getroffen, mit Landrat Friedhelm Spieker und dem Landtagsabgeordneten Matthias Goeken. Nachmittags um 15 Uhr war die Pressekonferenz. Und eine Woche später kam Corona.

"Wir wollen die Hoheit über das Stadtgebiet behalten"

Welche Möglichkeiten haben Sie als Rat und Stadt außer einer Resolution?

Grimm: Planungsrechtlich haben wir als Kommune die Hoheit über das Stadtgebiet – und die wollen wir behalten. Da müssen und werden wir eng mit übergeordneten Behörden zusammenarbeiten. Für uns ist das Gebiet des rückgebauten KKW, das als ein Sonderstandort für Energie ausgewiesen ist, als Gewerbegebiet interessant und vorgesehen. Und da müssen wir schauen, wie wir unser Planungsrecht auch ausüben können.

Was halten Sie von dem CDU-Vorschlag mit der Ausweisung des Areals als Gewerbegebiet? Möglich? Ausprobieren? Mit welcher Argumentation?

Grimm: Dass wir die Planungshoheit ausüben, heißt nicht, dass die Eigentümer die Flächen an uns abtreten werden. Das Planungsrecht und das, was dort möglich ist, ist sehr diffizil. Doch Planungsrecht wird ausgehöhlt, wenn dort etwas gebaut wird, was die Kommune nicht will. Wir müssen daher jetzt genau prüfen, was möglich ist – und da sind alle Ideen hilfreich.

Überlegt die Stadt, rechtliche Mittel gegen die Planungen einzusetzen?

Grimm: Das wird akut werden, wenn ins Genehmigungsverfahren eingestiegen worden ist. Laut BGZ im zweiten Halbjahr 2021. Denn erst im Baugenehmigungsverfahren kommt heraus, ob wir etwas baurechtlich verhindern oder Hürden aufbauen können.

"Man hat wohl nicht mit dem Widerstand von gleich drei Ländern gerechnet"

Die Argumente sind alle mehr als einmal ausgetauscht worden. Welches ist für Sie das Stärkste, das der BGZ die meisten Schwierigkeiten oder den größten zeitlichen Verzug bringen wird – und warum?

Grimm: Die Streckenführung für die Transporte ist das A und O. Beim Thema Logistik müssen wir über Transportwege reden. Und da gäbe es beim Standort Würgassen die größten Probleme.

Welches ist das stärkste Argument der BGZ pro Würgassen?

Grimm: Vorweg: Die Standortauswahl ist eine politische Entscheidung: möglichst nahe an Salzgitter, möglichst nicht in Niedersachsen. Doch Würgassen liegt wenige 100 Meter hinter der Grenze – und alle Transporte würden auch durch Niedersachsen gehen. In Berlin hat man wohl nicht mit dem Widerstand von gleich drei Ländern gerechnet.

Doch es funktioniert nicht mehr, wie in den 1960ern in Beverungen ein Kraftwerk ohne Widerstand zu errichten. Das hat auch die Suedlink-Trasse gezeiget: Mit guten Argumenten, einer breiten Diskussion wurde sie verhindert – das erhoffen wir uns auch hier.

"Angst ist ein schlechter Berater"

Wovor haben Sie am meisten Angst?

Grimm: Angst ist ein schlechter Berater. Wir dürfen auch nicht in Hysterie verfallen. Ich sehe aber die Gefahr, dass Würgassen zu einem Endlager werden könnte, dass Salzgitter nicht alles aufnehmen kann. Die Dimensionierung des Bereitstellungslagers deutet das an. Ich gucke nun mal lieber auf Windkraft als auf ein Kraftwerk. Sicher, wir haben vom Kraftwerk profitiert, als es am Netz war. Doch Fluch und Segen liegen dicht beieinander.

Was motiviert die Stadt, was Sie persönlich, hier weiterzukämpfen? Als David gegen Goliath?

Grimm: Wir produzieren den Atommüll in Deutschland – wir sind auch für die sichere und vernünftige Entsorgung verantwortlich. Doch den Weg dorthin müssen wir in dieser Verantwortung gemeinsam gehen.

Und da scheiden sich die Geister. Ja, es fühlt sich an wie David gegen Goliath. Denn wir sind überrollt worden. Doch Gespräche auf Augenhöhe trauen wir uns zu und fordern wir auch ein. Denn wir als Kommune haben das verbriefte Recht dazu, sind ein wichtiger Bestandteil in diesem Verfahren und dürfen nicht ohne Mitspracherecht etwas übergestülpt bekommen. Es geht auch um touristische Aspekte, den Weserradweg, die Wohnqualität, die Bevölkerung in der Region. Aspekte, die alle komplett ausgeblendet wurden.

"Jedem dankbar, der sich Gedanken macht"

Und was gibt Ihnen die Hoffnung oder gar Gewissheit, dass es sich lohnt und Sie Erfolg haben werden?

Grimm: Das Beispiel Suedlink hat es gezeigt: Wenn viele Menschen sich Gedanken machen über Alternativen, dann kommt ein gutes Ergebnis für die Menschen dabei heraus. An Erdkabel hatte ja zunächst auch niemand gedacht.

Deshalb bin ich jedem dankbar, der sich Gedanken macht und seine Überlegungen einbringt. Es muss so schnell wie möglich eine Bürgerinfoveranstaltung geben. Wir hoffen auf eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema, wollen Antworten auf unsere Fragen und fordern den Umweltausschuss auf, sich damit zu beschäftigen.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten auf Anfang März – was hätten Sie sich von der BGZ gewünscht, was anders hätte laufen sollen oder müssen?

Grimm: Nicht erst März, sondern viel weiter zurück. Zu dem Zeitpunkt, als die Kriterien für die Auswahl des Standorts festgelegt wurden. Dann hätten sich die Verantwortlichen die jeweiligen Gegebenheiten möglicher Standorte vor Ort ansehen und ihre Untersuchungen im Umkreis von 200 Kilometern um Salzgitter machen, die örtlichen Entscheidungsträger schnell mit einbeziehen und informieren sollen.

Dann hätte ein unabhängiger Externer über diese Matrix drüberschauen sollen. Und dann hätten wir ein akzeptableres Ergebnis als heute. Dass das alles nicht passiert ist, ist einer der Hauptvorwürfe an die BGZ.