Beverungen-Würgassen. Auch in Corona-Zeiten ist die Bürgerinitiative gegen atomaren Müll im Dreiländereck weiter aktiv. Und das nicht nur mit Bannern und gelben „Ws" als Zeichen des Protestes. Mittlerweile finden in Lauenförde, Beverungen und Bad Karlshafen auch Autoaufkleber reißenden Absatz, die gegen eine Spende abgegeben werden. Sprecher Dirk Wilhelm aus Drenke nutzt die Zeit, um sich hintergründig zu informieren.

Herr Wilhelm, Wie ist man nach Ihren Recherchen auf den Standort Würgassen für das Atommüll-Bereitstellungslager gekommen?
Dirk Wilhelm: Das war ein Prozess von vier Jahren – und erst vor kurzem haben wir hier in der Region erfahren, dass die Wahl auf Würgassen fiel. Die Idee entstand bereits Ende 2016. Damals beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Ziel war es, das Endlager Konrad in Salzgitter möglichst effizient und unterbrechungsfrei füllen zu können. Der Bund gab der Entsorgungskommission den Auftrag, Eckdaten für einen optimalen Standort für das Bereitstellungslager zu erarbeiten. Das geschah 2018. Dann übernahm die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung die Suche. Was dann folgte, nenne ich eine Findungs-Farce.
Wie meinen Sie das?
Wilhelm:Die Entsorgungskommission hielt 2018 noch einen Standort direkt am Endlager Konrad für sinnvoll. Aufgrund von Hindernissen – ich denke, man befürchtete den Verlust der Genehmigung – erweiterte man die Suche auf einen Radius von 150 Kilometern um Konrad herum. Stand zunächst noch eine hohe zweistellige Zahl an Möglichkeiten auf dem Papier, verringerte sich das schnell auf zehn Standorte. Unter diesen wurde eine Bewertung auf Basis eines Punktesystems durchgeführt, welches zum Teil nur schwer nachvollziehbar ist und Fragen aufwirft. Am Ende blieb dann nur Würgassen übrig.
Aber das Öko-Institut Darmstadt hat doch die Standortfindung gutachterlich geprüft. Warum zweifeln Sie am Ergebnis der Gutachter?
Wilhelm: Das Öko-Institut hat selbst geschrieben, dass die Begutachtung nur auf Basis der BGZ-Unterlage erfolgte, eigene Daten wurden seitens der Gutachter also nicht erhoben. Da beauftragt und bezahlt ein Bundesministerium ein Gutachten, welches die Entscheidung der bundeseigenen BGZ prüfen soll. Und dieses Gutachten wird ausschließlich auf Basis der Angaben der BGZ erstellt. Noch Fragen? Außerdem muss man feststellen, dass Würgassen viele Vorgaben der Bewertungskommission nicht erfüllt: Wohnbebauung nicht näher als 300 Meter, zweigleisige Bahnanbindung, Fernverkehrsanbindung, Hochwasserschutz. Außerdem liegt das ehemalige Kraftwerksgelände in einer militärischen Tiefflugzone. Was passiert, wenn dort mal ein Flugzeug abstürzen würde?

Welchen Standort für das Zentrale Bereitstellungslager halten Sie denn für sinnvoll?
Wilhelm: Ich stelle mir die Frage, ob es überhaupt nötig ist. Auf der Homepage weist die Betreibergesellschaft von Schacht Konrad selbst darauf hin, dass ein zentrales Logistik-Lager keine notwendige Bedingung für den Betrieb des Endlagers sei. Allerdings ermögliche ein Bereitstellungslager einen effizienten Zwei-Schicht-Betrieb. Vor diesem Hintergrund muss man doch überlegen, womit eine unnötige Verlängerung der Atommüll-Transportwege, ein höheres Risiko für die Bürger, eine horrende Investition und die Belastung einer ganzen Region über Jahrzehnte hinweg begründet werden.
Welche Risiken sehen Sie für die Bevölkerung?
Wilhelm: Die Region würde 30 Jahren lang jeden Werktag mit bis zu zehn Güterzügen und mehreren Lkw-Transporten belastet. Das ist jedes Mal ein Gefahrenguttransport. Einen Unfall halte ich in einem so langen Zeitraum schon für wahrscheinlich. Es müssen 300.000 Kubikmeter Atommüll angefahren, für den Weitertransport vorbereitet und wieder abgefahren werden. Die Mitarbeiter in Würgassen werden die Lagerbehälter prüfen müssen. Den Behälterinnendruck und die Restfeuchte im Inneren messen. Hier ist zu vermuten, dass auch mal Fässer geöffnet werden müssen. Und dabei kann eben Radioaktivität freigesetzt werden. Was mich stutzig macht, ist die Lagerkapazität von 60.000 Kubikmetern, die in Würgassen vorgehalten werden soll. Das ist weit mehr als von der Entsorgungskommission vorgeschlagen. Das müssen wir hinterfragen.
Es geht hier ja um eine riesige Investition. 450 Millionen Euro will man in Würgassen verbauen. Eine Menge Geld. . .
Wilhelm: Ja, und ob es bei dieser Summe bleibt, muss man sich schon fragen. Schließlich sollte das Endlager Konrad ursprünglich 490 Millionen kosten. Inzwischen ist man bei 4,2 Milliarden, die buchstäblich in der Erde vergraben wurden. Die Planungen der BGZ sehen vor, dass Konrad und Würgassen parallel 2027 in Betrieb gehen. Zwei Großprojekte, die zeitgleich fertig werden sollen. Das Unterfangen mutet ähnlich an, als wolle man den Berliner Flughafen gemeinsam mit dem Bahnhof Stuttgart 21 fertigstellen.
Braunschweiger SPD-Politiker haben jüngst gefordert, das Bereitstellungslager in Würgassen zügig umzusetzen. Was halten Sie von diesen Äußerungen?
Wilhelm: Alle betroffenen Bürgerinitiativen, auch die in Salzgitter und Braunschweig, haben sich darüber in einer Telefonkonferenz ausgetauscht. Alle sind zutiefst entsetzt darüber. Wir wollen uns doch nicht gegenseitig den Standort in die Schuhe schieben. Die Aussagen der SPD-Abgeordneten sind eher emotionsgebunden und entbehren jeder sachlichen Grundlage. Das ist unsolidarisch. Nur weil der Dreck vor der eigenen Haustür weggekehrt ist, ist dem Nachbarn ja noch nicht geholfen. Das geht gar nicht. Ich hoffe, dass die beiden Herren von ihren Parteikollegen nach dieser Entgleisung zur Ordnung gerufen werden.