Beverungen

Im Zwischenlager Würgassen lagern noch 5.000 Tonnen radioaktiver Müll

Das ehemalige Atomkraftwerk ist seit Jahresbeginn in Bundeshänden.

Das Umspannwerk in Würgassen mit der 380 Kilovolt-Überland-Hochspannungstrasse ist weiter in Betrieb. Dahinter ist das leer stehende, ehemalige Reaktorgebäude zu sehen. | © Torsten Wegener

Mathias Brüggemann
10.01.2020 | 10.01.2020, 20:36

Würgassen. Vor etwas mehr als 25 Jahren kam das Aus für das Atomkraftwerk Würgassen. 17 Jahre lang wurde das Kraftwerk zurückgebaut. Übriggebleiben ist neben einigen Gebäudeteilen auch ein Zwischenlager für radioaktiven Abfall. Dieses Zwischenlager ist seit dem 1. Januar von der Preußen Elektra an die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) übertragen worden. Das teilte die Preussen Elektra, Betreiberin des ehemaligen Kernkraftwerks, jetzt mit.

Der Übergang der Verantwortung für die Entsorgung und Zwischenlagerung von radioaktiven Abfällen beruht auf dem „Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung". Damit wurden die Verantwortlichkeiten für die Stilllegung und den Rückbau der Kernkraftwerke neu geregelt: Die Betreiber der Atomkraftwerke sind nach diesem Gesetz für deren Stilllegung und Rückbau sowie die fachgerechte Verpackung der radioaktiven Abfälle zuständig. Die Zwischen- und Endlagerung und deren Finanzierung liegt in der Verantwortung des Bundes.

23 Jahre in Betrieb gewesen

23 Jahre lang war das Kernkraftwerk Würgassen in Betrieb und erzeugte in 130.000 Betriebsstunden fast 73 Milliarden Kilowattstunden Strom. Die ersten Pläne für die Anlage gab es bereits 1962. Mit dem Bau wurde am 24. Januar 1968 begonnen. 1971 wurde der Betrieb aufgenommen. Immer wieder gab es Pannen und Störungen, die zur Abschaltung des Kraftwerks führten. 1972 kam es zu Problemen mit den Entlastungsventilen und zu einem Leck in der Kondensationskammer, 1973 wurden Risse an den Schweißnähten zwischen Frischdampf- und Entlastungsleitungen entdeckt, 1974 gab es einen Riss am Niederdruckläufer.

Das Atomkraftwerk mit den beiden Kühltürmen, als es noch Strom produzierte. - © Andreas Zobe
Das Atomkraftwerk mit den beiden Kühltürmen, als es noch Strom produzierte. | © Andreas Zobe

Am 20. August 1982 trat beim Auswechseln eines Sandfilters radioaktiver Staub aus. Nach Angaben der nordrhein-westfälischen Landesregierung lag die Strahlendosis aber unter dem zulässigen Grenzwert. Im Jahr 1992 kam es zu einer Reaktorabschaltung durch einen Marder, der eine Leitung zwischen dem Maschinenhaus und dem Transformator angeknabbert hatte. Insgesamt wurden 63 Betriebsstörungen gezählt.

Im Jahr 1978 stürzte acht Kilometer vom Atomkraftwerk entfernt bei Drenke ein britischer Kampfjet ab. Die beiden Piloten kamen dabei ums Leben, neun Drenker Bürger wurden verletzt. Das Flugzeugunglück heizte die Diskussionen um die Sicherheit von Atomkraftwerken bei Flugzeugabstürzen an. Die Preussen Elektra musste nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel einräumen, dass das Kraftwerk in Würgassen nur gegen eine Aufprallgeschwindigkeit von 350 bis 450 km/h gesichert sei.

Ziel von Protesten von Atomkraftgegnern

Immer wieder war Würgassen auch Ziel von Protesten von Atomkraftgegnern. Die größte Demonstration gab es nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. 2.000 Menschen protestierten in Würgassen, Beverungen und Lauenförde und forderten die sofortige Abschaltung des Reaktors in Würgassen und den Ausstieg aus der Kernkraft. Im Frühjahr 1996 hatte die Umweltorganisation Greenpeace gegen den Abtransport von Brennelementen aus dem inzwischen stillgelegten Kraftwerk in die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague protestiert und eine Stahlkiste an den Werksgleisen der Eisenbahn befestigt. Der Abtransport der Castor-Behälter wurde damit um elf Tage verzögert.

1994 kam dann das überraschende Aus für das Würgasser Kernkraftwerk. Eigentlich wollte der Betreiber das Atomkraftwerk für die nächsten 20 Jahre fit machen, aber bei einer Überprüfung wurden Haarrisse im Reaktormantel entdeckt. Ein Austausch des Reaktormantels hätte Unsummen verschlungen. Schätzungen gingen von Kosten von bis zu 80 Millionen D-Mark aus. Die Anlage hätte zudem für mindestens 18 Monate stillgelegt werden müssen. Schließlich nahm der Betreiber im Jahr 1995 das Kernkraftwerk für immer vom Netz.

1997 wurde mit dem Rückbau des Atomkraftwerks begonnen

Zwei Jahre später wurde mit dem Rückbau des Atomkraftwerks begonnen. Pionierarbeit: Denn Würgassen war das erste kommerziell genutzte Kernkraftwerk, das zurückgebaut wurde. Fast 50 Unternehmen mit insgesamt 450 Mitarbeitern investierten rund 14 Millionen Arbeitsstunden in den Rückbau. Kosten: rund eine Milliarde Euro. Im Oktober 2014 schließlich konnte Kraftwerksleiter Manfred Winnefeld verkünden: „Alles dekontaminiert. Wir haben den atomrechtlichen Rückbau abgeschlossen."

Heute lagern auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks im Zwischenlager noch rund 5.000 Tonnen radioaktiver Abfall, zusammengepresst in insgesamt 10.500 Fässern. Wie lange, ist ungewiss. Denn noch ist kein geeigneter Standort für ein Atommüll-Endlager gefunden worden.