Würgassen. Es ist geschafft. Die letzte Maschine ist in ihre Einzelteile zerlegt, das letzte Stück Estrich abgetragen und das letzte Kabel geschreddert. Die letzten kontaminierten Teile sind zusammengepresst und in die entsprechenden Fässer verstaut worden. Der Rückbau des Kernkraftwerkes Würgassen ist nach 17 Jahren beendet. 20 Jahre nachdem das Kraftwerk stillgelegt wurde, kann Manfred Winnefeld, seit 2004 Leiter der Anlage, sagen: "Alles ist dekontaminiert. Wir haben den atomrechtlichen Rückbau abgeschlossen."
In rund 14 Millionen Arbeitsstunden haben die Arbeitskräfte wahre Pionierarbeit geleistet. Denn der Rückbau des Würgassener Kraftwerkes war absolutes Neuland für das Unternehmen. Es lagen zwar bereits Erfahrungen mit dem direkten Rückbau von Demonstrationskraftwerken und Forschungsanlagen vor, doch Würgassen war das erste kommerziell genutzte Kernkraftwerk, welches zurückgebaut wurde. "Insofern ist Würgassen ein Vorreiter. Der Rückbau stellt eine ingenieurstechnische Meisterleistung dar, auf die wir stolz sind", sagt Ralf Güldner, Geschäftsführer von Eon Kernkraft. Die Erfahrungen, die in Würgassen gesammelt und dokumentiert wurden, werden nun beim Rückbau in Stade erfolgreich mit eingebracht, ebenso bei den nächsten Eon-Rückbauprojekten. Auch andere Kraftwerksbetreiber aus Europa und Asien haben ganz genau zugeschaut, wie ein Rückbau zu realisieren ist. Güldner geht davon aus, dass zukünftig Kernkraftwerke in zehn bis elf Jahren zurückgebaut werden. Dass es in Würgassen 17 Jahre geworden sind, hing damit zusammen, dass es wie angesprochen ein Vorreiterprojekt war und es sich beim Kraftwerk um einen Siedewasserreaktor handelte. "Dadurch war das Maschinenhaus auch kontaminiert, was einen größeren Aufwand beim Rückbau bedeutete. Bei Druckwasserreaktoren dagegen ist das Maschinenhaus nicht kontaminiert und die einzelnen Geräte könnten sogar weiter verwendet werden", erläutert der Geschäftsführer.
Die beiden Komponenten, Siedewasserreaktor und Vorreiterprojekt, führen auch dazu, dass die Rückbaukosten höher sein werden, als bei künftigen Projekten. "Zukünftig können wir sagen, dass ein Rückbau gut eine Milliarde Euro kosten wird. Hier in Würgassen war es aus besagten Gründen etwas mehr", sagt Pressesprecherin Petra Uhlmann.
Dreieinhalb Jahre Bauzeit, 23 Jahre war das Kraftwerk in Betrieb, fast drei Jahre stand es still und 17 Jahre wurde die Anlage für über eine Milliarde Euro zurückgebaut. Stellt sich die Frage, ob es für Eon-Energie, entstanden aus der Fusion vom Vorgängerbetreiber Preussen-Elektra und der Bayernwerk AG, überhaupt ein Gewinngeschäft war? Zahlen konnte oder wollte Ralf Güldner nicht nennen, "ich bin mir aber recht sicher, dass es bei 23-jähriger Laufzeit ein Gewinngeschäft für das Unternehmen war".
Doch so ganz ist das Projekt in Würgassen noch nicht abgeschlossen. Was aktuell bleibt, sind riesige Gebäudehüllen, die ein mystisches Betonlabyrinth verbergen und zwei Zwischenlager, in denen radioaktiver Abfall in Fässern und Containern gelagert wird. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Leider gibt es aber für die schwach- und mittelaktiven Abfälle, die beim Rückbau anfallen, immer noch keine Möglichkeit der Endlagerung. Deswegen gibt es in Würgassen zwei Zwischenlager, bis es ein Bundesendlager, vorgesehen in Konrad, gibt", erläutert Güldner. Dafür sind das flugzeugabsturzsichere UNS-Gebäude (Unabhängiges Nachkühlsystem) und die Transportbereitstellungshalle (TBL) als Zwischenlager umgebaut werden. Von insgesamt 455.000 Tonnen Rückbaumasse fallen in Würgassen 5.000 Tonnen radioaktiver Abfall an. Dieser ist zusammengepresst und in insgesamt 10.500 Fässern mit einem Fassungsvermögen von 200 Litern verpackt. 8.000 Fässer sind davon bereits in Containern verpackt, für die Fahrt nach Konrad. Wann die Fahrt allerdings losgeht, ist völlig unklar. Güldner hofft auf das Jahr 2025.
Bis dahin werden mindestens Fässer und Container in Würgassen bleiben. "Und auch erst dann können wir die Gebäudehüllen, die sich aus radiologischer Sicht nicht von anderen leeren Fabrikgebäuden unterscheiden, abreißen. Denn das UNS und das Kraftwerk sind teilweise baulich miteinander verbunden", erläutert Manfred Winnefeld, bei dem wenig Wehmut aufkommt. "Im Gegenteil. Als Maschinenbauingenieur war dieser Rückbau eine unglaubliche Herausforderung."
Einen Vorteil hatte der Rückbau in den 1990er Jahren aber auch. Die Gesetzeslage ließ es damals noch zu, dass die Brennelemente schnell zur Wiederaufbereitungsanlage ins französischer La Hague gebracht werden konnte, während die in den letzten Jahren erst stillgelegten Anlagen die Brennelemente noch vor Ort lagern müssen. Als richtig hat es sich für das Unternehmen auch erwiesen, sich nach dem Stilllegungsbeschluss für den direkten Rückbau zu entscheiden. Alternative wäre ein langfristiger sicherer Einschluss gewesen. "Wir werden diese Variante auch bei künftigen Abrissarbeiten anwenden, wie bereits in Stade und ab 2015 in Grafenrheinfeld", sagt Güldner. Das hätte auch den Vorteil, das mit den eigenen Beschäftigten der Rückbau realisiert werden kann.
Wie es auf dem 160.000 Quadratmeter großen Gelände weitergeht, wenn wirklich einmal die Zwischenlager ausgeräumt sind, ist noch nicht klar.