Spenge. Wenn man eine Komposition höher oder tiefer spielen möchte, als sie eigentlich gesetzt ist, kann man das heutzutage relativ einfach bewerkstelligen. Man schreibt ein Vorzeichen davor, dreht etwas am Quintenzirkel und aus C-Dur wird F-Dur. Vor den Zeiten des barocken Johann Sebastian Bach (1685-1750) war das allerdings nicht so einfach. Die Intervalle zwischen den Tönen hatten nicht den absolut gleichen Abstand, was die physikalische Frequenz betrifft, waren nicht „wohltemperiert“.
Daraus ergab sich, dass C-Dur nicht nur eine andere Tonhöhe, sondern auch einen völlig anderen Charakter als F-Dur hatte. Die Notensetzer haben sich schon aufgrund dieser Eigenschaften für eine Tonart entschieden, was natürlich entscheidend zur Attitüde des gesamten Werkes beitrug. Wirkte die eine an sich schon eher melancholisch, stellte sich eine andere mit sehr viel mehr Kraft oder Würde dar.
Mit der Zeit wurden viele barocke und vorbarocke Orgeln zerstört, sei es durch Materialverschleiß oder durch Menschenhand. Ausgerechnet zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges wurde 1624 eine Orgel gebaut und eingeweiht, die seit 400 Jahren in Spenge steht und die Zeiten überdauert hat. Dabei hat man ihr bei einer Restaurierung ab 1976, die eher ein Umbau war, ordentlich zugesetzt.
Schäden durch den Umbau
Damals herrschte noch ein etwas fehlerhaftes Bild von barocken und aus der Renaissance stammenden Orgeln, was dazu führte, dass in dieser Zeit viele Orgeln „kaputtrestauriert“ und dem Ideal der späteren romantischen Orgel angepasst wurden. Die Orgel sollte klingen können wie ein ganzes Sinfonie-Orchester. Auch täuschte sich eine falsche Expertise darüber, ob das Instrument in der Marienkirche nun ein oder zwei Manuale besessen hatte. Die Tretbalganlage ging bis auf wenige Reste verloren, über 200 barocke Pfeifen wurden verkauft und fehlen in der heutigen Substanz.
Im Falle der kleinen Königin aus Spenge kam noch hinzu, dass sich die alten Bleipfeifen nicht mit dem neuen Material vertrugen. Es kam zu Bleifraß, mit dem die beauftragte Firma Steinmann aus Vlotho nicht gerechnet hatte. Dieser Fehler wurde ab 2014 zurückgebaut, für das neue Werk ein neues Gehäuse hergestellt, und seitdem beherbergt die kleine Kirche zu Wallenbrück zwei Orgeln, die unterschiedliche musikalische Möglichkeiten bieten.
Mittlerweile hat die Firma Ahrend aus Leer die Restaurationsarbeiten der historischen Orgel übernommen. Circa 80 Prozent der Kosten sind bis zur geplanten Fertigstellung im nächsten Jahr gesichert. Der Rest wird zunächst vom Förderverein getragen, dessen Vorsitzender der Organist Hinrich Paul ist. „Es ist schon einzigartig, diese Orgel zu spielen. Alles nach Bach geht aufgrund der Stimmung natürlich nur noch bedingt. Aber Werke von Meistern wie Jan Pieterszoon Sweelinck, den ich sehr liebe, präsentieren sich einfach toll und natürlich.“
„Es zieht dir die Socken aus“
Selbstverständlich klingt durch die vielen Eingriffe an ihrem Körper das Instrument nicht mehr genauso wie vor 400 Jahren. Aber man kann einen Eindruck davon gewinnen, wie eine Orgel im frühen 17. Jahrhundert geklungen haben muss. Und davon gibt es nicht mehr viele. Nicht zuletzt deshalb ist die „kleine“ Wallenbrücker Orgel bei den Interpreten auch so beliebt. „Es ist die drittälteste Orgel in ganz Westfalen“, sagt Paul. „Die älteste steht in Soest, die ist aber kleiner. Und die zweitälteste in Lemgo hat nicht so viele historische Pfeifen wie wir.“

Erst kürzlich hat Kreiskantor Leon Immanuel Sowa auf der Orgel ein Konzert gegeben. Als er 2021 auf dem Instrument Probe spielte, war das Pedal noch gar nicht eingebaut. „Es hat viel Spaß gemacht, diese Orgel zu spielen. Ich hatte extra Musik aus dieser Zeit und für den jetzigen Zustand der Orgel ausgesucht. Es war sehr inspirierend. Das Stimmungssystem und der ganze Klang sind anders.“ Mehrfach wies er auf die Tonart Fis-Dur hin, die ihn an diesem Instrument besonders fasziniert. „Es zieht Dir die Socken aus. Es klingt leidvoll und schauerlich.“
Bald ist die Königin wieder komplett
Als nächster Schritt wird wieder ein zweites Manual eingebaut werden. Und auch in einer Kirche steckt der Teufel bekanntlich im Detail der Aufgabe, an der sich viele Menschen beteiligen. Aber 400 Jahre nach ihrer Erbauung, vermutlich 1624 durch Ernst Bader, restauriert oder in Teilen neu gebaut nach einem Brand wahrscheinlich 1959 durch Hans Henrich Reinking aus Bielefeld, wird die kleine Königin von Wallenbrück nun bald wieder komplett instandgesetzt sein.
„Ich gehe gerne zu dieser Orgel. Ihre reinen und strahlenden Klänge tun mir gut“, sagt Paul. Wer sich selbst ein Bild vom Klang der Orgel machen möchte, kann das bei einem der kommenden Konzerte, bei denen die kleine Orgel immer fertiger, jünger und eigenartiger klingen wird. Nähere Informationen auf https://kgm-spenge.de/veranstaltungen/wallenbruecker-konzerte.