Löhner Autorin schreibt über den assistierten Suizid ihrer Schwester

Löhne. Als es ihrer Schwester immer schlechter geht, so sehr, dass selbst die Kommunikation auf das Notwendigste beschränkt ist, beginnt Birte Viermann zu schreiben. Alles, was sie ihrer Schwester sagen möchte, aber nicht mehr kann, fasst die gebürtige Löhnerin in Briefe. &bdquo;Liebe Silja, ...“ - damit fängt sie an. Und so heißt nun auch ihr Buch, das diese Briefe enthält. &bdquo;Silja hatte echt Lust, das Leben zu genießen“, sagt Birte Viermann über ihre kleine Schwester. &bdquo;Und sie hat ihr Leben mit sehr großer Offenheit geführt.“ Beide sind in Löhne aufgewachsen. Silja geht in den 90er Jahren nach Berlin, wird schließlich Körpertherapeutin. &bdquo;Sie war dort total happy und auch sehr erfolgreich“, sagt ihre Schwester, die heute Psychologin ist und in Essen lebt. Doch dann kommt die Krankheit. Schritt für Schritt schränkt sie Silja Viermanns Leben ein. Sie hat Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS). Die Betroffenen leiden nicht einfach nur an Erschöpfung, sondern an diversen Symptomen bis hin zu starken Schmerzen Immer weniger Energie &bdquo;Und es kann sich alles verschlechtern, wenn man über seine Grenzen geht“, erklärt Birte Viermann. Die kleinste Anstrengung fordert einen hohen Preis. Silja Viermann hatte unter anderem einen starken Tinnitus, Bauchschmerzen und Migräne. Birte hat miterlebt, wie ihre Schwester immer weniger tun konnte. Bis sie den Großteil ihrer Zeit in einem abgedunkelten Raum im Bett verbracht hat. &bdquo;Das ist unvorstellbar, wie viele Dinge reizüberflutend sein können.“ Die Krankheit sei viel zu unbekannt und oft missverstanden, erklärt Birte Viermann. Darauf aufmerksam zu machen, das sei einer der Gründe, warum sie die Briefe als Buch veröffentlicht hat. Denn selten ist die Krankheit nicht. Allein in Deutschland leiden rund 500.000 Menschen daran, schätzt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Diese bemüht sich darum, dass die Krankheit besser erforscht wird. Und die Zeit drängt: &bdquo;Rund zehn Prozent der Menschen mit Long Covid entwickeln ME/CFS“, sagt Birte Viermann. Seit langem wird ein Zusammenhang mit einer überstandenen Viruserkrankung vermutet. &bdquo;Aber es gibt kein größeres Erklärungsmodell.“ Und auch keine Heilmethode. Oft werden die Symptome behandelt. &bdquo;Die Dinge, die den Betroffenen helfen, sind unterschiedlich. Aber es gibt nicht das eine Medikament, die eine Behandlung.“ Ein langsames Verschwinden Aktuell seien Erkrankte in einer prekären Lage, führt Birte Viermann aus. Es gebe nur wenige Spezialisten, die meisten davon Privatpraxen. Oft laufen Betroffene von einer Fehldiagnose zur nächsten. &bdquo;Auch die Pflegedienste kennen die Krankheit oft nicht.“ Nicht selten gebe es auch wenig Verständnis im Umfeld, da die Betroffenen in den Phasen ohne Symptome genauso wirken wie immer. Ohne Hilfe seien sie auf sich selbst gestellt. &bdquo;Die Leute verschwinden dann einfach aus dem Leben.“ In diesem Sinne habe Silja sogar Glück gehabt. Die Diagnose kommt früh, etwa zehn Jahre vor ihrem Tod. Ihr Partner, Familie und Freunde stehen hinter ihr. &bdquo;Und sie war Privatpatientin.“ Silja habe vieles versucht, um der Krankheit die Stirn zu bieten. Vergeblich. Es geht ihr immer schlechter. Birte Viermann zieht schließlich für eine Woche jeden Monat zu ihr, schläft im Wohnzimmer, kümmert sich um Bürokratie und steigt in die Pflege mit ein. Die Gespräche mit Silja beschränken sich zunehmend auf das, was geklärt werden muss - für mehr reicht die Energie nicht. Die bewusste Entscheidung zu sterben &bdquo;Irgendwann gab es nichts mehr außer Schmerz. Das war dann auch der Punkt, wo sie über Suizid nachgedacht hat.“ Silja spricht mit ihrer Schwester darüber, die den Auftrag bekommt, zum assistierten Suizid zu recherchieren. Das war im Oktober 2021. &bdquo;Und dann ging eigentlich alles sehr schnell. Im Juni 2022 ist sie gestorben.“ Da war Silja Viermann 43 Jahre alt. Als klar war, dass sie das Leben selbstbestimmt beenden kann, und die Menschen um sie herum ihre Entscheidung verstehen, sei Silja enorm erleichtert gewesen. &bdquo;Sie hat immer alles sehr bewusst und intensiv erlebt und ist dem Tod mit sehr viel Mut begegnet.“ Und mit Humor. &bdquo;Meine Schwester hatte einen geilen Humor“, erzählt Birte Viermann. &bdquo;Auch ganz zum Schluss. Als wir kurz vor ihrem Tod zu ihr gekommen sind und an ihrem Bett standen, waren ihre allerletzten Worte: ,Oh, mein ganzer Fanclub ist da.’“ Trauerbewältigung und liebevolle Erinnerung Die Briefe an Silja sind für Birte Viermann zunächst einmal die Bewältigung ihrer eigenen Trauer. Und eine Erinnerung an ihre einzige Schwester. Außerdem hofft sie, damit auf die Krankheit ME/CFS aufmerksam zu machen, und dazu anzuregen, sich mit Tod und Sterben offen auseinanderzusetzen. In jedem Fall schafft sie es, mit bewegenden Zeilen einen Tod zu begleiten, der nicht nur traurig stimmt, sondern auch das Leben ehrt, wie es auch im Untertitel des Buches heißt. &bdquo;Es ist schön, dass sie diese Freiheit hatte, so zu gehen, wie sie wollte“, sagt Birte Viermann. Am Donnerstag, 11. April, kommt sie auf Einladung der Stadtbücherei in den Alten Wartesaal im Löhner Bahnhof. Die Veranstaltung ist ausverkauft. &bdquo;Das war schon was besonderes, einen Vertrag mit der Bücherei zu schließen, in der ich sozusagen Lesen gelernt habe“, meint Birte Viermann. Und auch auf den Ort freut sie sich. &bdquo;Das ist eine tolle Atmosphäre.“ Eine kaum erforschte Krankheit Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Weltweit sind etwa 17 Millionen Menschen betroffen. Charakteristisch für ME/CFS ist eine ausgeprägte und anhaltende Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung. Für Schwerstbetroffene kann das bereits durch das Umdrehen im Bett oder die Anwesenheit einer weiteren Person im Raum ausgelöst werden. Die Krankheit ist kaum erforscht. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS kritisiert den massiven Forschungsrückstand immer wieder, auch da durch Long Covid mit deutlich mehr Fällen zu rechnen sei. Mehr Infos gibt es unter: www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/

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