Die Post-Covid-Ambulanz in Bielefeld kann nur die härtesten Fälle betreuen

Bielefeld. Es sind solche Mails von Eltern, die Jeremy Schmidt verzweifeln lassen: &bdquo;Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir nicht mehr weiterwissen. Unsere Tochter erkrankte vor zweieinhalb Jahren an Corona, seitdem war sie nicht mehr gesund. Ärzte haben Herz und Lunge untersucht, mit dem Ergebnis, dass unsere Tochter kerngesund ist. Eine Einweisung in eine Psychosomatische Klinik wäre der nächste Schritt unseres Kinderarztes.“ Schmidt: &bdquo;Das macht mich echt ärgerlich.“ Für ihn, der seit 30 Monaten die Post-Covid-Ambulanz der Uni-Kinderklinik Bethel betreut, ist das, was hinter der Mail steckt, &bdquo;fast sonnenklar“. Und schon der nächste Satz verrät ihm quasi alles: &bdquo;Teilweise treibt sie Sport, aber wenn sie sich zu sehr verausgabt, liegt sie anschließend tagelang nur noch im Bett.“ Lesen Sie auch: Corona in OWL auf dem Vormarsch – wer den Impfschutz auffrischen lassen sollte Das Mädchen will also, schafft es aber nicht. Die Eltern: &bdquo;Vorher war sie eine Einser-Schülerin, jetzt kann sie sich keine zehn Vokabeln mehr merken.“ Nach einer Belastung sei sie viel länger als üblich stark geschwächt. In diesem Zusammenspiel ist das typisch für Post-Covid, typisch für das über Post-Covid hinausgehende PAIS (Postakute Infektionssyndrom); quasi der Oberbegriff für alle vergleichbaren Erkrankungen, die durch Covid jetzt stärker in den Fokus gelangen. Experte bemängelt unnötig lange Leidenswege Zurück zum Mädchen: Es hat aller Wahrscheinlichkeit nach keine Depressionen, denn dann würde ihr vor allem auch der Antrieb fehlen: für Sport, Treffen, Schule, Lernen. Sie dürfte Post-Covid haben. &bdquo;Warum wird zweieinhalb Jahre lang nicht in diese Richtung diagnostiziert“, fragt sich Schmidt verärgert, er, 29 Jahre alt, aber im Thema längst ein anerkannter Mediziner. In der Ambulanz hat er viele solcher Fälle – da der Andrang groß ist und es pro Monat acht Beratungen gibt, kann er nur den schwersten Fällen helfen. Wer nun denkt: &bdquo;Was, nur acht neue Fälle im Monat?“, der sollte bedenken, dass weitere gut 100 parallel weiter betreut werden, telefonisch, per Mail, per Videotelefonat. Insgesamt hatte die Ambulanz mittlerweile Kontakt zu 200 bis 300 Kindern und Jugendlichen. Und jede neue Beratung ist aufwendig, sechs Stunden dauert sie. Vier Post-Covid-Ambulanzen in NRW Doch es reicht tatsächlich vorne und hinten nicht, ganze vier Ambulanzen gibt es in NRW, nicht alle mit derselben Tiefe im Angebot wie Bethel. Wie groß der Bedarf wirklich ist, ist schwer zu schätzen, hinter einige Anfragen liegt auch ein anderes Krankheitsbild. Insgesamt dominieren die echten Infektionsfolgen – und weniger das, was aus Maßnahmen entstand, also Einsamkeit, Angst, seelische Isolation. Obwohl Kinder in der Nachbetrachtung viel seltener schwer von der Infektion betroffen waren, sind es dennoch viel zu viele mit Spätfolgen, die jetzt dringend Hilfe benötigen. Immunsysteme funktionieren nicht mehr, Viren bleiben in den Zellen, lösen von dort immer wieder Infektionen aus. Häufige Symptome: Wortfindungsstörungen, Herzrasen, Erschöpfung Kinder leiden, ihr Umfeld auch. Erschöpfung, Gedächtnisprobleme (Brain Fog / Nebel im Gehirn), Schwindel, Herzrasen, Verdauungs- und Schlafstörungen, diverse Schmerzen, psychische Probleme, Wortfindungsstörungen – es ist ein fieser Mix. Recht typisch: Geht das Kind über eine Grenze, liegt es danach völlig erschöpft tagelang flach und kann fast nichts mehr. Ein sogenannter &bdquo;Crash“. Zu Post Covid und PAIS kommt auch noch ME/CFS, das steht für &bdquo;Myalgische Enzephalomyelitis“ / &bdquo;Chronisches Fatiguesyndrom“. Schmidt schätzt, dass Bethel drei- bis fünfmal mehr Fälle haben könnte, wenn die Kapazitäten größer wären. Anfragen kämen längst nicht mehr nur aus der Region. Die Dunkelziffer sei groß. Für NRW würden die Zahlen in etwa bedeuten: Statt vier müssten es mindestens 15, eher 20 Ambulanzen sein – oder jede Ambulanz müsste mit weitaus mehr Stellen, sprich Geld, ausgestattet werden. Millionenschwere Förderung ab Januar Ab Januar, und da ist Klinikdirektor Eckard Hamelmann erleichtert, gibt es überhaupt endlich &bdquo;eine millionenschwere Förderung“. Bethel könne personell spürbar aufstocken – und mehr Menschen helfen. Und Schmidt sich endlich auch noch ein bisschen mehr der Forschung widmen, die eigentlich zu seiner Stelle dazugehört. Der Erfolg der Ambulanz ist dabei schwierig zu messen, es geht in der Breite um weitaus mehr als &bdquo;nur“ Post Covid, es sind Folgen etlicher Infektionskrankheiten, Corona ist nur eine davon. Die Pandemie war der Treiber, der das Themenfeld in den Fokus schob. Aber noch immer leiden, so Hamelmann, viele darunter, &bdquo;dass die Labordiagnostik schwierig ist und es oft eine Nicht-Anerkennung der Krankheit gibt“. Das Forschungsfeld ist ein &bdquo;superdynamisches“ Dabei seien die Probleme der Kinder und Jugendlichen eindeutig, so die verbreitete Belastungsintoleranz oder auch sogenannte &bdquo;Pots“, also erhebliche Kreislaufprobleme beim Aufstehen. Immerhin gebe es jetzt Register, Verläufe würden erfasst und könnten miteinander verglichen werden. Schmidt: &bdquo;Es ist ein superdynamisches Forschungsfeld.“ Für die Erkrankten ist das gut, doch fast immer ist ihr Weg ein weiter: &bdquo;Ja, es gibt Heilungschancen“, sagt Schmidt, &bdquo;aber wir reden oft über viele, viele Jahre.“ Und kleine Steigerungen, kleine Schritte nach vorne. Besonders bitter: Die, die am massivsten erkrankt sind, die nicht mehr gehen können und nur noch zu Hause liegen, &bdquo;die sind am schlechtesten versorgt“, weiß Schmidt. &bdquo;Sie kommen ja einfach nirgendwo mehr hin.“ Kontakt zur Ambulanz

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