Gewerkschaft gibt sich angriffslustig: "Unsere Forderungen sind angemessen"

Löhne. In der Werrestadt setzt die Arbeiterbewegung auf Traditionen. Nach digitalen Versuchen zu Hochzeiten der Coronapandemie zogen Arbeitnehmer, Gewerkschafter und Politiker am Montag wieder ganz real hinaus zum 1. Mai, um ihren ureigenen Feiertag zu begehen. Mit der Löhner Werretalhalle fanden sie sich dabei in vertrauter Umgebung wieder. Und auch inhaltlich ging es am Kampftag der Arbeiterklasse wieder einmal klassisch zu - wenngleich die etablierten Forderungen durchaus an aktuelle Entwicklungen angepasst wurden. "Der 1. Mai gehört uns", verdeutlichte Friedel Böhse schon zu Beginn die Bedeutung der Maikundgebung für die eigene Klientel. Diese, so erklärte der Löhner Funktionär des deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), gingen an diesem prestigeträchtigen Datum seit Jahrzehnten auf die Straße, um für ihre Rechte einzustehen. "Und natürlich ist es auch ein Tag, an dem die Gewerkschaften mit Fug und Recht auf ihre Erfolge verweisen." Rund 60 Menschen hatten sich versammelt, um sich unter dem Motto "Ungebrochen solidarisch" von eben diesen Errungenschaften überzeugen zu lassen - und sich Kraft für weitere zu holen. In Zeiten nämlich, in denen die Menschen "die Herausforderungen des Arbeitskampfes so stark spüren, wie noch nie", sei Solidarität noch immer das beste Werkzeug, so Böhse. Er verwies etwa auf Inflation und Energiekrisen, auf Wohnungsmangel und Armut, aber auch auf eine in seinen Augen "ungerechte Freihandelspolitik" und ein weltweites Aufrüsten - auch, aber nicht nur im Zuge des Ukraine-Krieges. "Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt, gerechte Löhne, ein menschenwürdiges Altern und ein gesundes Klima", rief Böhse seinen Zuhörern zu. "Da können wir es nicht zulassen, dass das dafür benötigte Geld in Waffen und Rüstung fließt." Dafür aber müsse man gemeinsam einstehen: "Dieser Kampf bedarf der Solidarität aller." Bürgermeister lobt Tarifabschluss im öffentlichen Dienst Ähnlich äußerte sich Bürgermeister Bernd Poggemöller in seinem Grußwort. Das Motto der Maikundgebung sei wichtiger denn je, befand das Stadtoberhaupt. "Denn die vielen Krisen und Herausforderungen verunsichern und sorgen für existenzielle Nöte. Da ist Solidarität ein gutes Mittel." Insbesondere, wenn es mit Blick auf einige Entwicklungen am Arbeitsmarkt ums Gegensteuern gehe. Poggemöller erinnerte in diesem Zusammenhang an den Fachkräftemangel und die zu niedrige Zahl an Arbeitskräften, aber auch an weniger freie Stellen und den saison-untypischen Anstieg der Arbeitslosigkeit im Kreis Herford. Mit einem solchen Status Quo dürfe man sich nicht abfinden. "Das können wir nur geschlossen meistern, nur gemeinsam haben wir eine Chance", lobte er das Engagement der Gewerkschaften - und fand auch deutlich positive Worte für den jüngsten Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: "Das ist kein Luxus, sondern ein Muss. Ohne gute Arbeitsbedingungen gibt es auch keine Fachkräfte und ohne Fachkräfte keine Zukunft." Für ihn ein weiterer Grund, sich "ungebrochen solidarisch" zu zeigen. Dass eine solche Haltung - gerade mit Blick auf gewerkschaftliches Engagement - nicht überall üblich ist, verdeutlichte schließlich Thorsten Kleile. Der OWL-Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) verwies dabei auf die immer wiederkehrenden Forderungen von Arbeitgeberseite, das Streikrecht einzuschränken. Solchen Forderungen müsse man eine klare Absage erteilen, so Kleile: "Das ist nicht nur unser Grundrecht, sondern ein unerlässliches Werkzeug für die Tarifautonomie. Wer das angreift, angreift auch den sozialen Frieden an." Arbeitgeberpräsident kriegt sein Fett weg Auch den Vorwurf, die zuletzt geäußerten Gehaltsforderungen seien überzogen, wollte Kleile nicht gelten lassen. "Im Gegenteil brauchen wir gerade jetzt starke Tarifergebnisse, um nicht auch noch die letzten Arbeitskräfte zu verlieren", sagte er. Personal gewinne man schließlich am ehesten über gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen. "Insofern sind unsere Forderungen durchaus angemessen." Dass Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter zuletzt sogar "mehr Bock auf Arbeit" von den Beschäftigten einforderte, hält Kleile derweil für eine "pure Frechheit". Eine durchschnittliche Arbeitszeit von 43 Stunden pro Woche sowie 702 Millionen unbezahlte Überstunden im vergangenen Jahr seien dafür Beweis genug. "Auf solche Arbeit haben wir tatsächlich keinen Bock. Auf gute Arbeit aber schon." Dafür aber brauche es vernünftige Rahmenbedingungen und auskömmliche Löhne und Renten. "Wir wollen alle ein gutes Leben führen. Dafür brauchen wir uns gegenseitig und gemeinsam", verdeutlichte er nochmals das Motto der Maikundgebung. Mit Musik vom Duo "Tradewind", das schon in den vergangenen Jahren die Veranstaltung begleitet hatte, sowie dem gemeinsamen Arbeiterlied "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" ging der Vormittag zu Ende.

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