Hausärzte im Corona-Frust

Löhne. Die wahrgenommenen Fähigkeiten vieler verantwortlicher Politiker, die Corona-Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, halten sich in engen Grenzen. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht mit seinem Verhalten immer wieder in der Kritik. Doch nicht nur er sorgt bei den Hausärzten immer wieder für Ärger und Enttäuschung. Im Gespräch mit der NW redet Hausärztin Andrea Tacke von der Gemeinschaftspraxis Penz-Tacke Klartext und kritisiert die Gesundheitspolitik. Auch zur Impfpflicht bezieht sie eine klare Position. Andrea Tacke und ihre Kolleginnen waren am vergangenen Freitag schon fast auf dem Weg ins Wochenende, als eine Nachricht aus dem Bundesgesundheitsministerium zum Frust vor dem Feierabend führte. "Am Freitagabend wurde uns die Information vor die Füße geworfen, dass Biontech nicht mehr geliefert wird", sagt Tacke. Wie die meisten Ihrer Kolleginnen und Kollegen will sie dafür sorgen, dass in den nächsten Wochen so viele Menschen wie möglich ihre Booster-Impfung bekommen. "Besonders wichtig ist natürlich, dass wir Menschen, die noch nicht geimpft sind, überzeugen können, sich impfen zu lassen", betont sie. Jens Spahn sorgt für Verwirrung Gesundheitsminister Spahn hat am Freitag mitgeteilt, dass statt Biontech zunächst der Moderna-Impfstoff eingesetzt werden soll. "Der Moderna-Impfstoff läuft ab, so wurde das begründet", sagt Andrea Tacke. Spahn korrigierte seine Aussagen am Sonntag in der ZDF-Sendung "Berlin-Direkt". Das Biontech-Lager sei zurzeit leer, deshalb könne man vorübergehend kein Biontech liefern und müsse auf Moderna zurückgreifen. Er räumte ein, dass er mit seiner Aussage am Freitag für Verwirrung gesorgt habe. Die kurzfristige Entscheidung des Gesundheitsministers erschwert die Arbeit der Ärzte und sorgt für Verunsicherung bei den Bürgern. Dass jetzt statt Biontech nun Moderna verimpft werden soll, sei kein Problem. "Biontech und Moderna lassen sich problemlos kombinieren. Moderna ist ein sehr guter Impfstoff", sagt Tacke. Es gebe Studien, die auf eine höheren Wirkungsgrad von Moderna hindeuten. Auch dem sogenannten Kreuzboostern von Biontech und Moderna werde in Studien ein besserer Effekt zugeschrieben. Große organisatorische Probleme Die Hausärzte müssen jetzt mit ihren Patienten darüber sprechen, dass sie zumindest vorübergehend nur noch Moderna für die Impfung einsetzen können. "Für diese Woche haben wir noch Biontech, ab der kommenden Woche dann Moderna", sagt die Medizinerin. Sie geht davon aus, dass es mit Patienten immer wieder zu längeren Aufklärungsgesprächen kommen wird. "Wie wir vor ein paar Jahren alle Papst waren, sind wir jetzt alle Biontech", sagt sie. Sie hofft darauf, dass die meisten Patienten den Wechsel von Biontech zu Moderna akzeptieren. Dieser Wechsel stellt die Hausärzte vor große Probleme in der Umsetzung. Aus einer Ampulle Biontech können etwa sechs Impfdosen gewonnen werden. Aus einer Moderna-Ampulle sind es 20. "Das bedeutet für uns, dass wir unsere Impftermine neu organisieren müssen." Es bestehe immer die Gefahr, dass wegen der deutlich größeren Menge von Impflingen, die für Moderna gebraucht werden, bestimmte Zeiträume nicht mehr zum Impfen genutzt werden können. Das könnte zum Beispiel in den Mittagspausen knapp werden. "Da haben wir bisher wie verrückt geimpft." "Wir sind nicht die die Deppen des Gesundheitsministers" Andrea Tacke hat in den letzen Tagen mit mehreren Ihrer Hausärzte-Kollegen gesprochen. Alle sind sich einig, dass es so nicht weiter gehen kann. "Es ist unglaublich, was alles auf den Hausärzten abgeladen wird. Wir sind nicht die Deppen des Gesundheitsministers", sagt die Medizinerin. Ärzte und medizinische Fachangestellte stünden seit Monaten unter extremem Druck. "Wir laufen alle auf der letzten Rille und dann kommt Landesgesundheitsminister Laumann und sagt, wir sollten weniger Golf spielen. Das ist eine Unverschämtheit". Tacke hofft, dass trotz des oft wenig hilfreichen Agierens der Politik die Impfkampagne richtig in Schwung kommt. Wenn die Bedingungen stimmten, seien die Hausärzte dazu in der Lage, diese Aufgaben zu bewältigen. Apotheker in die Impfungen mit einzubeziehen ist aus ihrer Sicht nicht sinnvoll. "Das halte ich für keine gute Idee. Es kommt gelegentlich vor, dass Geimpfte in den 15 Minuten, die sie nach der Impfung bei uns bleiben müssen, Kreislaufprobleme bekommen. In solchen Fällen ist es gut, wenn wir sofort handeln können." Tacke unterstützt die zunehmende Zahl von mobilen Impfangeboten. Am Samstag haben sich zum Bespiel in einem leer stehenden Laden im Werrepark 744 Menschen von Ärzten impfen lassen. "Damit kann man viel erreichen. Es ist für uns sehr wichtig, wenn die Menschen ihre Impftermine bei den Hausärzten absagen, wenn sie sich woanders haben impfen lassen. 30 Prozent unserer Patienten haben nicht abgesagt. Das macht die Arbeit für uns noch schwerer." "Mir ist Angst und Bange" Andrea Tacke fürchtet, dass die nächsten Monate hart werden. "Mir ist Angst und Bange wenn ich daran denke, was da auf uns zukommt. Die Kollegen auf den Intensivstationen tun mir leid." Die Folgen der extremen Arbeitsbelastung und der daraus resultierenden Kündigungen würden das ganze Land noch lange spüren. "Wir werden nach der Pandemie ein geschwächtes Gesundheitssystem haben." Eine klare Position hat sie zur Diskussion um die Impfpflicht. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert den umgehenden Beschluss einer Impfpflicht für Erwachsene, um die Grundrechte von Kindern auf uneingeschränkte und freie Bildung zu wahren. "Diese Forderung unterstütze ich", sagt sie. Kinder dürften nicht unter den Folgen der Pandemie leiden, weil sich Erwachsene entgegen aller wissenschaftlicher Erkenntnis nicht impfen lassen wollen.

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