Sexuelle Übergriffe am Gymnasium Löhne? Mädchen und Frauen erheben Vorwürfe

Löhne. Aktuelle und ehemalige Schülerinnen des Städtischen Gymnasiums Löhne nutzen die Plattform Instagram, um mutmaßliche sexuelle Übergriffe eines Lehrers öffentlich zu machen. Mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund sprechen die Schülerinnen auch gezielt die Schulleiterin Anja Backheuer und das Kollegium an. Die Vorwürfe wiegen schwer und die Vorfälle sollen sich seit Jahrzehnten an der Schule zugetragen haben – Hilfsangebote sollen ausgeblieben sein, die Initiatoren sprechen von Ignoranz. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht – im Fokus ist ein Sportlehrer. Es ist ein Mittwoch, als der offene Brief auf dem sozialen Netzwerk Instagram gepostet wird. Unterschrieben ist die Nachricht von ehemaligen Schülerinnen unterschiedlicher Abschlussklassen, aber auch von Schülerinnen, die das Gymnasium derzeit besuchen. Namen nennen sie nicht, sie wollen vorerst anonym bleiben. Grund sei die &bdquo;große Enttäuschung", die sie bei dem Thema seitens der Schulleitung und der Lehrer erfahren haben. Der Post, der mit &bdquo;Triggerwarnung: Sexuelle Belästigung", überschrieben ist, geht viral. Er wird auf Instagram geteilt, ebenso auf Facebook. Die dargestellten mutmaßlichen Taten sollen sich über etliche Jahre erstrecken Dem Sportlehrer wird vorgeworfen, Schülerinnen der Mittelstufe belästigt zu haben. Von sexuellen Übergriffen ist die Rede. Die dargestellten mutmaßlichen Taten sollen sich über etliche Jahre erstrecken, liegen gar Jahrzehnte zurück. Auch Abschlussschüler, die in den 90er-Jahren ihr Abitur am Gymnasium gemacht haben, kennen die Vorwürfe gegenüber dem Lehrer. Sie halten sich hartnäckig, bis heute. Schülerinnen berichten, dass der Lehrer Mädchen fast ausnahmslos mit &bdquo;Baby" oder &bdquo;Süße" angesprochen hat, anmaßende Sätze sind gefallen wie &bdquo;Du bist so locker in den Hüften, hast du einen Freund?". Es wird berichtet, dass Mädchen bei Sportübungen an den Hintern gefasst worden sei, auf Klassenfahrten soll er den Partnertanz gesucht haben und den Mädchen viel zu nah gekommen sein, generell soll er in verschiedenen Situationen den Körperkontakt zu Mädchen gesucht haben. Es sind Grenzverletzungen. Der Verdacht von sexuellen Übergriffen, sexueller Belästigung steht im Raum. &bdquo;Es ist kein Gerücht, wenn man es selbst erlebt hat" Anna* hat solch eine Situation selbst erlebt. Sie hat 2012 Abitur gemacht und arbeitet heute als Ärztin. Anna ist keine der Initiatorinnen des offenen Briefs, hat den Post aber geteilt und mit dem Hashtag #metoo versehen. &bdquo;Es ist kein Gerücht, wenn man es selbst erlebt hat", sagt sie in einem langen Telefongespräch mit der Neuen Westfälischen. In ihrer Erinnerung seien die unteren Jahrgänge von den älteren stets gewarnt worden. Sie sollten sich in Acht vor dem besagten Lehrer nehmen. Über das offene Geheimnis, dass er eine Zuneigung für Mädchen hegen würde, ihnen zu nah komme, berichten viele ehemaligen Schülerinnen, mit denen die NW im Verlauf der Recherche Kontakt hatte. Er wird aber auch als &bdquo;kumpelhaft" und &bdquo;charismatisch" beschrieben. &bdquo;Mir wurde eine psychologische Beratung empfohlen" Anna muss etwa zwölf Jahre alt gewesen sein, als der Lehrer ihr im Sportunterricht beim Tischtennis mit einem Schläger auf den Po gehauen hat und sagte: ’Süße, warum bückst du dich nicht und holst den Ball’. &bdquo;Ich war schockiert", sagt die Löhnerin heute. Von ihrer Mitspielerin wurde die Szene abgetan, der Lehrer sei halt so. Anna wollte das nicht akzeptieren und hat den Vorfall ihren Eltern erzählt. Über ihre damalige Klassenlehrerin ging es erst hoch zum damaligen Schulleiter und weiter bis zum Schulamt. &bdquo;Der Fall muss dokumentiert sein." Anna erinnert sich, dass diverse Gespräche geführt wurden und ihr letztlich eine psychologische Beratung empfohlen wurde, &bdquo;weil ich mir das alles wohl eingebildet hätte". Der Lehrer habe sich herausgeredet, es sei nur freundschaftlich gemeint gewesen, schließlich habe er eine Familie und sei glücklich verheiratet. Passiert ist nichts. Das ungute Gefühl aber blieb. &bdquo;Es hat mich lange Zeit beschäftigt", sagt sie. Schließlich sei sie Minderjährig gewesen. &bdquo;Jetzt als gestandene Frau hätte ich mich den Übergriffen durchaus anders zu Wehr setzen können." "Es war schrecklich für mich, erniedrigend, verstörend" Eine andere ehemalige Schülerin sagt: &bdquo;Es wirkte so, als wüsste er genau, wie weit er gehen kann." Auch sie erinnert sich an ein unangenehmes Erlebnis. Es sei auf Klassenfahrt in der 6. Klasse im Schwimmbad passiert. &bdquo;Er hat mich im Wasser gepackt, meine Beine hoch und auseinander gezogen. Es war schrecklich für mich, erniedrigend, verstörend. Er fand es lustig, hat es als Spaß abgetan." Über Erinnerungen mit einem ähnlichen Tenor berichtet auch die ehemalige Schülerin Christina*. In der 9. Klasse habe eine damalige Referendarin mitbekommen, dass die Schüler sich über die unpassenden Aktionen des Lehrers ausgetauscht haben. &bdquo;Sie forderte uns auf, eine Liste mit allen Vorkommnissen zu erstellen, die wollte sie dann anonym weitergeben." Es folgte ein Gespräch mit der Klassenlehrerin, dem besagten Lehrer und der ganzen Klasse. &bdquo;Er stritt alles ab, sagte, es sei sein Humor. Unsere Klassenlehrerin konnte sich die Erlebnisse nicht vorstellen, es wurde einfach abgetan." Auch in dem offenen Brief wird davon berichtet, dass Betroffene mehrfach versucht haben, mit Lehrern ins Gespräch zu kommen, ihnen über die merkwürdigen Situationen berichtet haben, sie damit konfrontiert haben. Jahrelang. Doch ihnen sei nur &bdquo;Ignoranz" entgegen geschlagen. Daher richtet sich der Brief auch an das gesamte Kollegium: &bdquo;Sie haben beschlossen, es zu ignorieren und sich damit auf die Seite des Täters gestellt", schreiben die Initiatoren. &bdquo;Wenn etwas unternommen wurde, dann nie so, dass sich danach grundlegend etwas geändert hätte", wird kritisiert. Initiatorinnen des offenen Briefs werden bedroht Die Neue Westfälische sieht den Beitrag am 6. Januar auf Instagram und taucht in die Recherche ein. Über die Plattform nimmt die Redakteurin Kontakt mit den Initiatoren auf. Es folgt ein E-Mail-Verkehr, der keine 24 Stunden nach dem Post jäh unterbrochen wird. Die Initiatoren, die sich im Mailverlauf &bdquo;Mädchen vom SGL" nennen, berichten von massiver Bedrohung und Einschüchterungsversuchen. Daher haben sie den Post auf Instagram gelöscht, die Mailadresse deaktiviert. Es folgen viele Telefongespräche mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern, einige äußern sich mit ihrem Namen, andere berichten anonym von ihren Erfahrungen und Erlebnissen mit dem Lehrer. Finola Nieratschker arbeitet bei der Fachberatungsstelle Wildwasser in Minden und hat keine Berührungspunkte mit dem Löhner Gymnasium. Sie hört sich die Darstellungen an und sagt: &bdquo;Von diesen Fällen hören wir häufig. Löhne ist kein Einzelfall." Es geht auch um Machtmissbrauch Wildwasser spricht in diesen Fällen nicht von sexuellem Missbrauch, das sei auch eine juristische Definition, sondern von sexuellen Übergriffen. Nieratschker: &bdquo;Es sind Grenzverletzungen" und in welcher Art und Weise eine Grenze überschritten werde, entscheiden die Betroffenen. &bdquo;Das ist subjektiv." Sollten sich die Szenen so zugetragen haben, wie sie berichtet worden sind, liegt die Schwere in der Wiederholung. Zudem gehe es um Machtmissbrauch. Der Lehrer unterrichtet seit mehreren Jahrzehnten das Fach Sport am Gymnasium und kann viele Erfolge feiern. Angesprochen auf die genannten Vorfälle und die Vorwürfe des offenen Briefs verweist er auf seinen Anwalt. Rechtsanwalt Lindemann aus Bad Oeynhausen vertritt ihn. Einer von der NW angefragten umfassenden Stellungnahme stehe nichts im Weg, doch nicht zum jetzigen Zeitpunkt: &bdquo;Wir können wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens derzeit keine Auskünfte erteilen", so Lindemann und weiter: &bdquo;Hierbei ist wichtig, dass es zur Zeit lediglich einen Anfangsverdacht gibt, der aus dem offenen Brief resultiert und die Ermittlungsbehörden verpflichtet sind, den aus unserer Sicht völlig unhaltbaren Vorwürfen nachzugehen." Ob es zur Eröffnung des regulären Ermittlungsverfahrens kommt, ist noch völlig unklar, stellt der Anwalt fest. Schulleiterin informiert Eltern über ein Rundschreiben Anja Backheuer leitet das Gymnasium seit Sommer 2011 – erst kommissarisch, dann offiziell. Sie war unter dem alten Schulleiter schon im Führungsteam und hat auch ihr Referendariat an dieser Schule absolviert. Sie nimmt wie folgt Stellung: &bdquo;Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schulleitung des Städtischen Gymnasiums Löhne stehen mit Worten und Taten für eine respektvolle, wertschätzende und unterstützende Begegnung mit unseren Schülerinnen und Schülern ein. Unsere Schulöffentlichkeit ist geprägt von Offenheit und Vertrauen. Konflikte werden klar benannt und konstruktiv gelöst." Ihr ist die Veröffentlichung, in der Anschuldigungen gegen ein Mitglied des Kollegiums erhoben werden, bekannt. &bdquo;Wir nehmen die Möglichkeit ernst, dass es ein Bedürfnis in unserer Schülerschaft gegeben haben könnte, sich auf diesem Weg Gehör zu verschaffen." Der Versuch, mit den Autoren des offenen Briefs Kontakt aufzunehmen, scheiterte laut Backheuer, da die Mailadresse nicht mehr erreichbar war. &bdquo;Ein persönlicher und vertrauensvoller Austausch war somit bisher nicht möglich." "Wir sind jederzeit ansprechbar" Dass das &bdquo;offene Geheimnis" rund um den Sportlehrer schon seit Jahren existiert und es wohl auch mehrere Versuche gab, mit Lehrern und der Schulleitung ins Gespräch zu kommen, dazu äußert sich Anja Backheuer in ihrer ersten Stellungnahme nicht. Auf erneute Nachfrage schreibt sie, dass &bdquo;Schulleitung, Kollegium und das Beratungsteam immer offene Türen haben und jederzeit ansprechbar sind". Von diesen &bdquo;konkreten und strukturellen Gesprächsangeboten" machten Schüler Gebrauch. &bdquo;Das bestärkt uns in unserem Ansatz." Allerdings seien die jetzigen Vorwürfe anonym und öffentlich erhoben worden. &bdquo;Das ist Anlass für uns, unsere Wahrnehmung der Gesprächskultur zu hinterfragen. Über die innerschulische Gesprächskultur zu reflektieren schließt ein, unser tägliches Handeln sowie unsere schulischen und strukturellen Angebote zu überdenken und gegebenenfalls zu verbessern. Unabhängig davon gelten meine Ausführungen zum verpflichtenden Schutz von Persönlichkeitsrechten selbstverständlich auch für die schulinterne Öffentlichkeit." Die Schulleiterin hat einige Tage nach der Veröffentlichung des offenen Briefs ein Rundschreiben an alle Eltern verschickt. Das Dokument liegt der NW vor. Darin heißt es, dass die Schulleitung die schulpsychologische Beratungsstelle des Kreises Herford hinzugezogen hat, die dem Gymnasium &bdquo;im Umgang mit der Krise beratend zur Seite steht". Ebenfalls informiert ist die obere Schulaufsichtsbehörde, die Bezirksregierung Detmold, die einen &bdquo;Bearbeitungsprozess" einleite. * Alle Namen der Betroffenen sind der Redaktion bekannt.

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