Filmreife Verfolgungsjagd quer durch Löhne

Löhne. Diese Verfolgungsjagd kurz nach Mitternacht ging quer durch Wohngebiete, Spielstraßen, Tempo-30-Zonen, an der Kanzlei seines Strafverteidigers vorbei, über Kreuzungen, zahlreiche Straßenhuckel, haarscharf an anderen Verkehrsteilnehmern vorbei und endete schließlich in einer Sackgasse in der Nähe des Melbergener Mittelbachstadions. Ein 43-jähriger Mann aus Löhne raste am 22. August 2020 mit dem Kleinwagen seiner Ex-Frau durch die Stadt, auf der Flucht vor der Polizei, die kaum folgen konnte. Als der Löhner mit dem Auto nicht mehr weiterkam, floh er zu Fuß. Doch ein Straßenschild stellte sich ihm in den Weg. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld bietet Stoff für eine tagikomische Filmkomödie. Mittwoch musste sich der Autofahrer für seine abenteuerliche Flucht vorm Amtsgericht Bad Oeynhausen verantworten. Im Gerichtssaal überwogen allerdings die tragischen Momente: Der Angeklagte ist ein 43-jähriger Mann, der nach der Trennung von seiner Ehefrau offenbar den Boden unter den Füßen verloren hat, dem Alkohol verfallen ist und in Obdachlosenunterkünften lebt. Unterbrochen wird sein Leben vor allem durch regelmäßige Aufenthalte in Krankenhäusern zur Entgiftung. Einen Tag vor dem Strafprozess ist der Angeklagte erst wieder entlassen worden. Das alles erzählte der Angeklagte selbst und war komplett geständig. Auf Nachfrage des Richters versuchte er zu erklären, was ihn geritten hatte. Nach der Trennung von seiner Frau, erzählte der Angeklagte, sei er auf mehreren Kartons sitzen geblieben. Eigentlich habe seine Frau die Kartons an diesem Abend abholen wollen, sei aber nicht erschienen. Deshalb habe er das Auto seiner getrennt lebenden Frau genommen, polnische Nummernschilder montiert und die Kartons eingeladen. Die Sachen wollte er seiner Ex vor die Tür fahren. Die beiden wohnen nur wenige Hundert Meter auseinander. Polnische Kennzeichen "im Busch" gefunden Die polnischen Kennzeichen, beteuert der Angeklagte, habe er zuvor "im Busch gefunden" und montiert, um die Fahrzeugversicherung seiner Frau nicht zu gefährden. "Ich dachte, das wäre schlau." Einen Führerschein hatte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nicht. Als er dann die Polizeistreife entdeckte, wendete er und gab Gas. "Ich wusste ja, dass ich etwas falsch gemacht habe." Er hatte Alkohol getrunken, Amphetamine geschluckt und Cannabis geraucht. Eine Blutuntersuchung ergab später außerdem Hinweise auf Antidepressiva. Der Laborbericht stellte 0,91 Promille Alkohol fest. Ausfallerscheinungen stellten die Beamten jedoch nicht fest. Der Angeklagte ist ein geübter Trinker. Die Verfolgungsjagd führte quer durch Gohfeld und Melbergen. Zwei Polizeibeamte hatten in dieser Nacht eine Praktikantin an Bord. Sie waren auf den Kleinwagen aufmerksam geworden, weil ein Licht defekt war. Doch der Fahrer reagierte nicht auf das Haltesignal. Der Polizist, der damals am Steuer saß, schilderte eine halsbrecherische Autofahrt. An einer Kreuzung nahm der Angeklagte einem abbiegenden BMW die Vorfahrt, dessen Fahrer nur mit Mühe einen Unfall verhinderte. "Wir dachten, es hat geknallt", sagte der Polizist. Hatte es aber nicht. Der Polizist sah bloß Rauchschwaden von der Vollbremsung aufsteigen. Über Funk riefen die Beamten Unterstützung und schalteten zeitweise Blaulicht und Martinshorn aus, um den Druck auf den Angeklagten nicht unnötig zu erhöhen. Auf den Straßenhuckeln der Rüscherstraße hatten die Beamten jedoch Mühe, dem Angeklagten zu folgen. Der raste teilweise mit Tempo 120 davon. Die Fahrt endete in der Sackgasse "Am Schulplatz". Offenbar war der Angeklagte eine Straße zu früh abgebogen. Eigentlich wollte er über die Rotdornstraße zurück auf die Lange Straße fliehen, wo die Polizei ihn anfangs entdeckt hatte. Den Wagen ließ er stehen, den Schlüssel stecken. Nur seinen Rucksack setzte er noch auf, rannte aber gegen ein Straßenschild und fiel hin. Dann klickten die Handschellen. Der Angeklagte rennt aus dem Gerichtssaal Glücklicherweise ist bei der Verfolgungsjagd niemand zu Schaden gekommen. Der Angeklagte ist mehrfach vorbestraft und stand unter laufender Bewährung wegen Diebstahls. Im Straßenverkehr war er bisher unauffällig. Seine Bewährungshelferin stellte ihm ein durchweg positives Zeugnis aus. Er sei zuverlässig, freundlich und strukturiert. Nach Rückfällen sei er enttäuscht und strebe eine Langzeittherapie gegen seine Alkoholsucht an. Die Staatsanwältin zählte in ihrem Schlussvortrag ein ganzes Sammelsurium von Straftaten auf, die der Löhner in diesen wenigen Minuten Autofahrt begangen hatte. Die Raserei durchs Wohnviertel stufte sie als "rücksichtslos, grob verkehrswidrig und bewusst riskant" ein, forderte angesichts der positiven Sozialprognose jedoch keine Haft, sondern eine hohe Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu zehn Euro (1.500 Euro). Der Verteidiger schloss sich dem Antrag an. Der Richter verurteilte den 43-jährigen Löhner zu der geforderten Geldstrafe, doch als er dem Angeklagten das Urteil erläutern wollte, rannte der aus dem Gerichtssaal. Er musste dringend auf Toilette, weil er zuvor Wassertabletten eingenommen hatte. Zurück im Saal erkannte der Angeklagte das Urteil an. Es ist rechtskräftig.

Meistgelesen