Geschichten aus der alten Volksschule in Klosterbauerschaft

Kirchlengern. Ach ja, der Günther. Für Fräulein Herm-strüwer – das war seine Lehrerin – durfte er zuweilen mit dem Fahrrad nach Dünnerholz fahren und bei Bäcker Tödtmann ein Brot kaufen. &bdquo;Während des Unterrichts“, betont Heinz Steinmeier und lacht. Sein älterer Bruder ist jetzt schon ein Weilchen tot. Wie all die anderen Geschwister auch. &bdquo;Aber in Gedanken sind sie alle immer bei mir“, sagt der 82-Jährige. Besonders lebendig wurden seine Erinnerungen, als er neulich noch mal ein paar alte Fotos der Volksschule Klosterbauerschaft fand. &bdquo;Da sind wir ja alle hingegangen“, sagt Steinmeier. Die Beziehung der Familie zu der längst abgerissenen Dorfschule begann allerdings schon viel früher: Auch Steinmeiers Mutter Marie, eine geborene Mailänder, war dort Schülerin – und zwar eine der ersten Stunde. Steinmeier legt eine uralte Schwarz-Weiß-Aufnahme auf den Esszimmertisch. &bdquo;Das war die Einweihung im Oktober 1913“, sagt er. Und irgendwo zwischen den 89 Schülern, die auf dem Foto zu sehen seien, stehe auch seine Mutter. Erkennen kann er sie nicht, dafür ist die Aufnahme zu schlecht. &bdquo;Der erste Lehrer an der Schule war übrigens Wilhelm Niemeier“, sagt Steinmeier und zeigt auf ein weiteres unscharfes Männeken auf dem Foto. Die Schwester hat ihm in den Arm gebissen 1934 sei seine älteste Schwester Lisa eingeschult worden, 1937 Bruder Günther, der &bdquo;Brotbote“. Lehrer Niemeier habe ihn immer nur &bdquo;Mailänder“ genannt, so Steinmeier. &bdquo;Das war der Name unseres Großvaters.“ Schwester Anny folgte im Jahr 1940. &bdquo;Ihr Lehrer hat sich ihr ein paarmal etwas zu weit genähert“, erzählt der Klosterbauerschafter. Da habe ihm seine Schwester eines Tages kurz und kräftig in den Arm gebissen. Ihre Courage habe sie wohl vor weiteren Übergriffen bewahrt. &bdquo;Damals konnte man sich über so etwas ja nirgends beschweren, schon gar nicht bei den eigenen Eltern – die Lehrer hatten ja alle einen Heiligenschein“, erzählt Heinz Steinmeier. Er selbst sei erst 1946 eingeschult worden. &bdquo;Eigentlich wäre ich schon ein Jahr vorher an der Reihe gewesen, aber 1945 war ja gerade der Krieg zu Ende gegangen und es herrschte das reinste Chaos“, erzählt Steinmeier. Die Lehrer hätten erst mal allesamt entnazifiziert werden müssen. Wilhelm Niemeier stolperte dabei bekanntlich über seine jüngste Vergangenheit, erster Lehrer nach dem Kriege wurde Heinrich Drees, ein Ostvertriebener. Heinz Steinmeiers Lehrer wurde nach seinem &bdquo;Nazi-Test“ allerdings Wilhelm Tiemeyer, der auch schon vorher an der Schule unterrichtet hatte. Die Klasse war bunt gemischt Ostvertriebene und Flüchtlinge gab es freilich nicht nur unter den Lehrern. &bdquo;Meine Klasse war bunt gemischt“, erinnert sich Steinmeier. Aus allen Ecken des soeben zerfallenen &bdquo;Reichs“ seien die Leute nach Klosterbauerschaft gekommen – Menschen aus Schlesien, Böhmen, Ostpreußen, Hinterpommern und &bdquo;Ausgebombte“ aus dem Pütt und aus dem Rheinland. &bdquo;Auch bei uns im Haus waren zwischenzeitlich sieben fremde Menschen untergebracht, zusätzlich zu den Sieben, die dort schon wohnten“, erzählt Steinmeier. 14 Menschen hätten sich ein einziges Plumpsklo teilen müssen. Aber das nur am Rande. &bdquo;Wir haben eine gute Schulzeit in dieser Volksschule erlebt“, sagt Steinmeier. &bdquo;Nie mussten wir auf den Bus warten.“ Was aber in erster Linie daran lag, dass man grundsätzlich zu Fuß zur Schule ging, und zwar bei Wind und Wetter. Nur wenn man Brot für Fräulein Hermstrüwer holen sollte, dann gab’s ein Fahrrad. Zumindest für Bruder Günther.

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