Hausärzte sollen die Regelversorgung einstellen

Kirchlengern. Krankenhäuser untersagen Patientenbesuche, Schulen, Kitas und Hochschulen stellen ihren Betrieb ein und auch fast alle Freizeiteinrichtungen sind ab Dienstag in NRW geschlossen. Mit diesen weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens wollen die Behörden die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamen, um vor allem gefährdete Bevölkerungsgruppen wie Senioren und Vorerkrankte zu schützen. In den Hausarztpraxen sitzen jedoch in vielen Fällen weiterhin Dutzende Kranke in einem Wartezimmer nebeneinander und gefährden so das Praxisteam. Der Grund: Vorgaben für die Hausärzte in NRW gibt es bislang nicht. Die Folge: Die Mediziner müssen den Schutz ihrer Teams und Patienten selbst organisieren und finanzieren. Der Allgemeinmediziner Peter Weitkamp aus Kirchlengern im Kreis Herford erklärt, was das bedeutet und wie aufwendig der Schutz seiner Mitarbeiter und Patienten ist. Zwischen 8 und 12 Uhr klingelt in der Hausarztpraxis von Peter Weitkamp am Montag ununterbrochen das Telefon. Vor einem Fenster warten Dutzende Patienten, die Rezepte oder Überweisungen benötigen. Vor der Zugangsschleuse in die Praxis stehen ebenfalls Patienten in einer Warteschlange. Sie fühlen sich krank und fordern, mitunter lautstark, eine Behandlung ein. Zudem fahren immer wieder Patienten vor, die Corona-Testkits aus einer Box vor der Tür abholen und zu Erkrankten bringen. "Ich muss meine Mitarbeiter und Patienten schützen." &bdquo;Ohne Vorkehrungen würden sich all diese Patienten, ob sie krank sind oder nur ein Rezept benötigen, in der Praxis befinden", erklärt Weitkamp. &bdquo;Das kann ich mit Blick auf die sprunghaft steigende Zahl der Covid-19-Infektionen in NRW aber nicht länger verantworten. Ich muss meine Mitarbeiter und Patienten vor einer Ansteckung schützen." Nach zwei Krisensitzungen mit seinen Mitarbeitern und Einkäufen im Baumarkt, haben Weitkamp und sein Team die Praxis am Wochenende umgebaut. Im EKG-Untersuchungsraum befindet sich die Zugangsschleuse zur Praxis. Schilder weisen daraufhin, dass Patienten nur noch einzeln eintreten dürfen. Stefanie Niemeyer selektiert dort die Patienten. &bdquo;Wir haben alle Termine abgesagt und behandeln nur noch Notfälle, also Patienten mit akuten Schmerzen oder anderen Beschwerden", erklärt Weitkamp. &bdquo;Und auch die kommen nur einzeln in die Praxis, damit es sich im Wartezimmer nicht staut." Rezepte verteilt das Team durch ein geöffnetes Fenster Rezepte oder Überweisungen verteilt Michelle Batterton in einem ehemaligen Behandlungsraum. &bdquo;Kontakt mit den Patienten hat mein Team dort nur noch über ein geöffnetes Fenster", erklärt Weitkamp. Patienten, die Grippesymptome haben und sich in einem Risikogebiet aufgehalten oder Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatten, dürfen die Praxis nicht betreten. Verdachtsfälle müssen einen Boten zur Praxis schicken, mit dem sie keinen persönlichen Kontakt hatten. &bdquo;Der Bote entnimmt aus einer Box vor der Praxis ein Testkit, legt es dem Betroffenen vor der Tür und bringt es nach dem Abstrich bei uns vorbei." Unterstützt wird Weitkamp bei seinen Vorkehrungen nicht. &bdquo;Alle Behörden verweisen Patienten an Hausärzte, einheitliche Vorgaben, wie für die stationäre Gesundheitsversorgung, fehlen jedoch, auch von der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung kommt dazu nichts." Weitkamp und viele seiner Kollegen fühlen sich im Stich gelassen. Zudem fehlt es den Praxen an Ausstattung. Es fehlen Schutzmasken, -brillen und -kittel und auch die Beschaffung von Desinfektionsmittel wird immer schwieriger. &bdquo;Ich habe für jedes Teammitglied jeweils eine komplette Schutzausrüstung, mehr nicht", sagt Weitkamp. Dabei muss jeder, der in einer Arztpraxis Kontakt zu einem Verdachtsfall hat, nach Vorgaben des Robert-Koch-Instituts Schutzausrüstung tragen. &bdquo;Die ist jedoch nirgends mehr zu haben." Mitunter versuchen Mediziner aktuell in Baumärkten an Schutzausrüstung zu gelangen. Nicht alle Hausärzte ändern ihren Praxisalltag In vielen anderen Hausarztpraxen läuft der Betrieb weiter wie bisher, samt Routineuntersuchungen oder der Ausbildung von Studenten. &bdquo;Die ambulante Gesundheitsversorgung ist systemrelevant, wird aber von den Behörden nicht so behandelt", moniert Weitkamp. Hinzu kommen in vielen Praxen Existenzängste, denn viele Mediziner verweisen darauf, dass sie finanziell auf Routineuntersuchungen angewiesen sind. Deshalb fordert Weitkamp auch für die ambulante Gesundheitsversorgung konsequentes und einheitliches Vorgehen. &bdquo;Im Moment herrscht Chaos." Die Forderung von Weitkamp wird seit Montagnachmittag auch vom Hausärzteverband Westfalen-Lippe unterstützt. Die Vorsitzende Anke Richter-Scheer erklärt in einem Rundschreiben, das nw.de vorliegt, dass alle Hausarztpraxen den Regelbetrieb einstellen sollten. Behandelt werden sollten nur noch akute Fälle. &bdquo;Gesundheitsuntersuchungen sollten verschoben werden, Disease-Management-Programme können – ähnlich wie Krankmeldungen - auch telefonisch abgefragt werden. Jetzt, zum Ende des Quartals, wird uns das wirtschaftlich nicht wesentlich treffen", schreibt Richter-Scheer. "Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe hat zugesichert, dass sie im nächsten Quartal Möglichkeiten sieht, uns hier zu unterstützen, so dass keiner von uns mit größeren Einbußen rechnen muss." Die niedergelassenen Ärzte in Bielefeld fordern in einer gemeinsamen Erklärung Patienten, insbesondere die mit Atemwegsinfektionen, dazu auf, auf nicht dringend notwendige Praxisbesuche zu verzichten und die Praxen bei stärkeren Beschwerden nur nach telefonischer Anmeldung und nur mit dringend notwendigen Begleitpersonen aufzusuchen. &bdquo;Bei geplanten Terminen sollen die Patienten mit der Praxis abklären, ob die Vorstellung notwendig ist oder verschoben werden kann", heißt es weiter. Hausärzte fordern Disziplin von der Bevölkerung Das bedeutet nach Angaben der Mediziner der Initiative Bielefelder Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte Bielefeld sowie des Ärztenetzes Bielefeld aber nicht, dass Patienten auf die Notfallpraxen oder Kliniken ausweichen sollen. &bdquo;Diese Einrichtungen stehen weiterhin nur für bedrohliche Fälle zur Verfügung. Um sowohl Patienten zu schützen und den Ausfall von Praxen für die Versorgung zu verringern, ist ein veränderter und sehr geordneter Praxisablauf notwendig, der auf die Kooperation und Disziplin der gesamten Bevölkerung angewiesen ist." Die Ärztekammer Westfalen-Lippe verweist darauf, dass die Kammer grundsätzlich keine Vorgaben zum Praxisbetrieb macht. &bdquo;Wir informieren aber über die Risikobewertung, das Vorgehen bei Verdachtsfällen oder die Berufshaftpflicht", erklärt Sprecher Klaus Dercks. &bdquo;Informationen gibt es auch für Ärzte, die neu in der Versorgung oder Beratung von Corona-Patienten sind." Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) informiert online über neue Regeln beim Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Berufshaftpflichtversicherung, Entschädigungsregeln bei untersagter Tätigkeit oder Quarantäne, Hinweise zur Abrechnungen, Labortests und der Meldepflicht sowie zum Vorgehen bei Corona-Verdachtsfällen. Zudem versorgt die KVWL Ärzte regelmäßig mit einem Telegramm.

Meistgelesen