Von einem Jungen aus Jemen zum Nachbarschaftsfest: So gelingt Integration

Hiddenhausen. Gerhard Taake (73) könnte längst seinen wohlverdienten Ruhestand genießen. Wäre er nicht, fast zufällig, im Jahr 2000 auf Kalid (7) aufmerksam geworden. Kalid stammt aus dem Jemen, wurde als Kriegsflüchtling schwer verletzt im Bünder Krankenhaus behandelt und dort insgesamt 15 mal operiert. Kalid war alleine in Deutschland und durchlebte diese schwere Zeit ohne seine Familie, die aufgrund der Grenzschließung nicht nachreisen konnte. So wurde Gerhard Taake zum Ersatzvater für den kleinen Kalid und besuchte ihn regelmäßig. &bdquo;Die Freundin meines Sohnes arbeitet in dem Krankenhaus, sie erzählte mir von Kalid“, beschreibt er den Beginn einer großen Freundschaft, die ihm bis heute in Erinnerung ist. Kalid sprach kein Deutsch, aber mit Händen und Füßen konnte man sich verständigen. Mimik und Gestik waren die Zaubermittel der Kommunikation. &bdquo;So, wie immer im Leben. Wenn man will, dann klappt das auch.“ Bargeld im Brustbeutel geschmuggelt Sein Engagement blieb auch den Ärzten nicht verborgen, im Laufe der Jahre reiste er sogar mehrfach in den Jemen, um dort zu helfen. Als erfahrener Handwerker im Elektrobereich half er mit seinem Know How beispielsweise bei Elektroinstallationen und Solaranlagen. &bdquo;Die Zustände vor Ort haben mich erschüttert. Manche Menschen mussten in klitzekleinen Räumen hausen, das war menschenunwürdig“, erinnert sich Taake. Wie man denn Abhilfe schaffen könne, fragte er die Verantwortlichen vor Ort. Man könnte ein weiteres Geschoss auf das Gebäude setzen, aber dazu fehle das Geld. Zurück in Hiddenhausen sammelte Taake das Geld und übergab es bei seinem nächsten Besuch an den Verantwortlichen, nachdem er es im Brustbeutel in den Jemen schmuggelte. &bdquo;Das war nicht ungefährlich, aber man muss doch auch unkonventionell helfen können“, sagt er und schmunzelt. Er möchte den Menschen die Hand reichen Doch auch in seiner Gemeinde hilft er. In seiner Nachbarschaft kaufte die Gemeinde Hiddenhausen vor einiger Zeit ein Haus, in dem Flüchtlinge dezentral untergebracht wurden. Und Taake wäre nicht Taake, wenn er nicht auch hier das Eis brechen und helfen würde. &bdquo;Nachbarschaft ist mir wichtiger als die Verwandtschaft, denn Letztere kommt eigentlich nur mal zu Feiern, aber mit den Nachbarn ist man doch ständig in Kontakt“, sagt er. Er möchte den Menschen die Hand reichen und ihnen dabei helfen, Kontakte zu finden und zu vertiefen. &bdquo;Die Botschaft lautet: wir sind alle Hiddenhauser, unabhängig unseren Ursprungs, unserer Sprache oder Religion.“ Ein gemeinsames Nachbarschaftsfest zu planen, war da nur die logische Konsequenz. Adelheit und Gerhard Stork stellten hierzu ihren Hof zur Verfügung, die Nachbarn kennen und schätzen sich seit Jahren. &bdquo;Ich bin dann auch kurz ins Rathaus gegangen, um unseren Bürgermeister einzuladen. Die Einladungen an die Nachbarn waren dann Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Am Sonntag war es dann soweit: Rund 50 Frauen, Männer und Kinder aus der Nachbarschaft fanden sich auf dem Hof Stork ein und feierten den ganzen Tag über ihre bunte Nachbarschaft. So, wie man unter Freunden feiert. Sprachbarrieren? Fehlanzeige. Hier sprachen die Herzen und jeder hat jeden verstanden. &bdquo;Eine großartige Idee um zu zeigen, was Zusammenhalt bedeutet" Bürgermeister Andreas Hüffmann folgte der Einladung und ist stolz auf seine Bürgerinnen und Bürger: &bdquo;Eine großartige Idee um zu zeigen, was Zusammenhalt und Integration bedeutet. Hier zeigt sich, wie toll eine gute Nachbarschaft funktionieren kann.“ Man brauche nur in die Gesichter der Menschen zu schauen, um festzustellen, dass solche Möglichkeiten der Begegnung richtig und wichtig sind. Die dezentrale Unterbringung habe sich bewährt, wie man auch an diesem Beispiel sehen könne, so Hüffmann. Auch Bilal Abdan (36) ist erschienen und freut sich darüber, der Gemeinde Hiddenhausen zugewiesen worden zu sein, um hier sein neues Leben zu beginnen. Der Syrer kam 2016 nach Deutschland und musste zunächst seine Frau mit den vier Kindern zurücklassen. &bdquo;Das war eine schwierige Zeit für mich“, gesteht er. &bdquo;Ich musste zwei Jahre darauf warten, meine Familie endlich wieder in die Arme schließen zu können.“ Aus der Gemeinde habe er viel Hilfe erfahren, für die er heute sehr dankbar ist. Seit fünf Jahren arbeitet Abdan nun als Baggerfahrer und fühlt sich zusammen mit seiner Familie in Hiddenhausen sichtlich wohl. Seine Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungs, besuchen die Grundschule. Ehrensache, dass er heute auch mit ihnen zum Nachbarschaftsfest erschienen ist, um mit seinen neugewonnen Freunden diesen Tag zu feiern. Und was wurde aus Kalid, der ja mittlerweile schon erwachsen ist? Gerhard Taake: &bdquo;Wir stehen auch heute noch in engem Kontakt. Und sobald es wieder möglich ist, werde ich auch wieder in den Jemen reisen.“ In der Zwischenzeit füttere er regelmäßig sein blaues Sparschwein mit all dem Kleingeld, welches so anfällt. &bdquo;Ich unterstütze Kalid und seine Familie weiterhin. Und immer, wenn ich mal wieder Geld überwiesen habe, bekomme ich eine Videobotschaft. So weiß ich, dass das Geld auch tatsächlich ankommt.“

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