Hiddenhausen/Bielefeld. In der Hebammenpraxis "Rundherum" in Sundern klingelt es. Die werdende Mutter Jenny Kampe kommt zur Schwangerschaftsvorsorge. Ihre Hebamme Melanie Schröder erwartet sie bereits. Die beiden wirken vertraut, plaudern und scherzen miteinander. Auf einer breiten Polsterliege macht es sich die Schwangere schließlich bequem, sie enthüllt ihren mächtigen Bauch. Vorsichtig tastet Melanie Schröder ihn mit präzisen Handgriffen ab, hört die Herztöne ab und lächelt: "Das Baby ist putzmunter, es hat sich schon in Position gebracht."
Lange wird es nicht mehr dauern, Jenny Kampe ist bereits in der 39. Woche, bleibt aber ganz entspannt. Ihre Hebamme helfe ihr enorm in dieser Zeit. "Mit ihr kann ich über alles reden, sie bestärkt mich und gibt mir das nötige Vertrauen in meinen Körper." Was für Melanie Schröder ihre tägliche Arbeit ist, kam in der Ausbildung von Hebammen in den vergangenen Jahren zu kurz. Denn bisher war der außerklinische Bereich im praktischen Teil der Hebammenausbildung nicht verpflichtend vorgesehen.
Kreißsaal und Tätigkeit in einer Praxis unterscheiden sich
Dabei gingen den angehenden Hebammen wertvolle Erfahrungen verloren. Schwangerschaft und Wochenbett, Stillzeit und Rückbildung - die Themen von freiberuflichen Hebammen sind der in der Regel etwas anders gelagert als die im Kreißsaal. Denn in Deutschland sind Hausgeburten, anders als beispielsweise im europäischen Ausland, immer noch eine Seltenheit. In Zukunft wird sich der Fokus der Ausbildung jedoch ändern. Denn mit der Akademisierung des Berufs vollzieht sich dort ein Wandel.
Eine gut dreimonatige Praxisphase außerhalb der Klinik ist nun verbindlicher Bestandteil des Studiums der Hebammenwissenschaft. Die Fachhochschule in Bielefeld bereitet sich zum Beispiel intensiv darauf vor und treibt die Bildung von Netzwerken mit freiberuflichen Hebammen in der Region voran. Hintergrund ist die Verlagerung der Ausbildung von speziell ausgerichteten Schulen an Hochschulen, wo der theoretische Unterricht organisiert wird. Der praktische Teil verbleibt bei den Kliniken und wird nun durch einen Aufenthalt bei freiberuflichen Hebammen ergänzt. Damit wird in Deutschland europäisches Recht umgesetzt.
Eine akademische Ausbildung sei für den Beruf notwendig
"Hebammen sind laut Gesetz verantwortlich für Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit", erklärt Pia Bakker, selbst Hebamme und Diplom-Berufspädagogin. Als Lehrkraft gestaltet sie mit ihren Kolleginnen den neuen Studiengang und ein dazugehöriges Netzwerk aus. Hebammen seien Ärzten nicht weisungsgebunden, sagt Bakker und ergänzt. "Für diese verantwortungsvolle Position ist eine akademische Ausbildung notwendig."
Mit der neuen Ausbildung werde eine Lücke geschlossen. "Theoretische Kenntnisse konnten fast nur im klinischen Umfeld erprobt werden, was auch den Einstieg in die Freiberuflichkeit erschwert hat", erläutert Bakker. Denn die Unterschiede der Tätigkeiten von Hebammen in den einzelnen Bereichen seien groß. Von der Umstellung profitierten die Studierenden durch die Expertise der Freiberuflerinnen. Aber ebenso trifft das andersherum herum zu. Hebammen seien eingebunden in das Studium, "können sich in die praktische Ausbildung einbringen und ziehen sich damit ihren künftigen Nachwuchs heran".
Im Normalfall sei eine Geburt ein ganz natürlicher Vorgang
Nicole Kämpfer leitet die Hebammenpraxis "Rundherum". Wenn alles nach Plan läuft, wird sie im Wintersemester die erste Studentin in Sundern in Empfang nehmen. Sie freue sich darauf, den Studierenden alle Aspekte ihrer Arbeit zu vermitteln: "Dazu gehört auch ein anderer, weniger klinisch oder gar pathologisch geprägter Blick auf Schwangerschaft und Geburt", sagt Kämpfer. Im Normalfall sei das ein ganz natürlicher Vorgang und keine Krankheit.
Für die Hebamme steigt damit der Aufwand. Denn für die Arbeit muss sie eine pädagogische Weiterbildung zur Praxisanleitung absolvieren: "Es wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber das war eine bewusste Entscheidung", erklärt sie. In ihrer eigenen Ausbildung habe sie gemerkt, wie spärlich der Praxisanteil bei den Freiberuflichen ausfalle. Deshalb möchte sie dem beruflichen Nachwuchs mehr mitgeben. "Es reicht nicht, wenn die angehenden Hebammen einfach mitlaufen und zugucken." Denn nötig sei eine pädagogisch fundierte Vermittlung, um das Gesehene und Erlebte richtig verstehen und einordnen zu können.
In der Praxis am Bünder Fußweg ist gerade Linda Weichert mit ihrem dreimonatigen Sohn eingetroffen. Fröhlich glucksend liegt der Säugling unter dem Spielbogen, während seine Mama erzählt. Die Geburt sei schwieriger verlaufen und ganz anders als erwartet: "Erst mit einer Hebamme konnte ich über das Erlebte sprechen und das alles verarbeiten", sagt sie. Inzwischen seien sie und ihr Sohn ein eingespieltes Team.
Daran Anteil hatte die professionelle Begleitung: "Meine Hebamme hat mich in meinem Umgang mit ihm enorm bestärkt und mir geholfen, die vielen Tipps und Ratschläge vor allem der älteren Generation richtig einzuordnen."