Wirkt sich Corona auf die Geburten in Herford aus?

Herford. Raum 32 der Station 4B im Mathilden-Hospital ist ein Kreißsaal. An der Decke ist ein Sternenhimmel aufgehängt, ein Geburtsseil baumelt über dem Entbindungsbett, davor ruht ein orange-gelbfarbener Gymnastikball. Um diese Eindrücke zu sammeln, müssen werdende Mütter seit diesem Jahr nicht mehr physisch die Station 4B besuchen. Ein paar Mausklicks auf der Internetseite des Hospitals genügen und es öffnet sich ein digitaler Kreißsaal. Die Online-Begehung ist eine Idee ganz im Sinne der Krankenhaushygiene und für schwangere Frauen ein willkommenes Angebot. Doch die haben im ersten Jahr der Pandemie mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen. Ein Blick auf die Zahl der Geburten in diesem Jahr offenbart zunächst keine Überraschungen. Im Mathilden-Hospital werden 2020 wohl etwa 600 bis 700 Babys das Licht der Welt erblicken. Das Klinikum Herford registriert bisher 1.250 neue Erdenbürger. "Die Anmeldezahlen sind identisch zu denen der letzten Jahre", teilt das größte Herforder Krankenhaus mit. Die leitende Hebamme dort, Friederike Pilarski, hat jedoch festgestellt, dass es viele Frauen gibt, deren Entbindungstermin im Juni 2021 ist. Sie wären also im September schwanger geworden. Ob das mit der aktuellen Situation zusammenhängt, lässt sich allerdings noch nicht beurteilen. Stillberatung unterstützt die Mütter Richard Wojdat ist Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Mathilden-Hospital. Um den Effekt der Pandemie auf die Geburten zu beurteilen, sei es noch zu früh, erklärt er. Das Hospital ist eine als "babyfreundlich" zertifizierte Klinik. Einrichtungen dieser Art müssen bestimmte Kriterien der Weltgesundheitsorganisation und UNICEF erfüllen. "In einem babyfreundlichen Krankenhaus orientiert sich die gesamte Infrastruktur daran, dass Kind und Mutter die ganze Zeit zusammenbleiben", nennt Wojdat ein Beispiel. Das helfe, ein Urvertrauen der Kinder aufzubauen und festige die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Gleichwohl hat das Geschehen auf die bereits schwangeren Frauen in diesem Jahr Veränderungen mit sich gebracht, die nicht vorherzusehen waren. Aus Gründen des Infektionsschutzes konnten im Frühjahr Väter bei der Geburt in den Krankenhäusern nicht dabei sein. Zur Furcht vor einer Ansteckung kam die Furcht davor auf, in der Situation allein zu sein. "Die Rundum-Betreuung bleibt aber unberührt", sagt der Chefarzt, der in dem Zuge auf die Stillberatung verweist. Die Fachkräfte informieren und beraten auch nach der Geburt weiterhin, etwa damit es mit dem Stillen klappt. Mittlerweile können Väter, in der Regel und sofern sie nicht positiv getestet wurden, bei Geburten dabei sein. Im Wochenbett sind die Frauen dann jedoch für etwa drei Tage mit dem Baby allein. Ein Umstand, der auch positiv gesehen werden kann, da so mehr Zeit für den Beziehungsaufbau besteht und keine Ablenkung durch Besucher entsteht. Was vor der Pandemie jedoch in Gruppen und Kursen mit den Schwangeren besprochen werden konnte, wird heute in Einzelgesprächen bearbeitet. Da die Pränataldiagnostik im Mathilden-Hospital in diesem Jahr ausgebaut wurde, kämen die Frauen mitunter früher in die Einrichtung. Der Vorteil: "Die Frauen lernen uns so kennen und wissen, mit wem sie es zu tun haben", so der Chefarzt. "Präsenzkurse können nicht mehr stattfinden" Der direkte Kontakt, um Vertrauen aufzubauen, ist für die Arbeit von Silke Kelch-Wehrhahn unersetzlich. Die Betreiberin der Herforder Hebammenpraxis ist jedoch seit dem Frühjahr in der Ausübung ihres Berufs eingeschränkt. Die Geburtsvorbereitung und die Rückbildungskurse nach der Entbindung sind aktuell wie auch im Frühjahr nicht mehr möglich: "Präsenzkurse können nicht mehr stattfinden", sagt Kelch-Wehrhahn. Gerade die Geburt des ersten Kindes sei eine unsichere Phase, die mit zahlreichen Fragen einhergehe. Gleichgesinnte zu finden, die ebenfalls einen neuen Lebensabschnitt beginnen, sei wichtig, doch gerade kaum möglich: "Die Frauen sind ziemlich allein gelassen." Die Herforder Hebamme Kelch-Wehrhahn hat deshalb ein Online-Programm aufgesetzt, das sie noch dieses Jahr starten möchte. "Das ersetzt es nicht", sagt sie. Doch ist es immerhin ein kleiner Anker in einer mit vielen Fragen behafteten Zeit.

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