Gaby Jahn betreibt in Hiddenhausen eine Pension für Reptilien

Hiddenhausen. Rückblickend hat die Geschichte wohl in einem entlegenen Steinbruch irgendwo im hessischen Taunus begonnen. Gaby Jahn war damals noch Kind und sie verbrachte die Ferien mit ihren Eltern in dem Mittelgebirge. Dort gab es Wälder, Flüsse und ebenjenen Steinbruch, der Jahn bis heute in Erinnerung geblieben ist. Denn er war das Zuhause von schwarz-gelb gefleckten Feuersalamandern und sich durch das Unterholz schlängelnden Ringelnattern, die es in die feuchte Umgebung zog. "Alles, was kreucht und fleucht, hat mich schon als Kind begeistert", sagt Jahn heute. Sie ist, das kann getrost gesagt werden, immer noch verrückt nach den kreuchenden und fleuchenden Tieren, die auf sie eine ganz besondere Faszination ausüben. Gaby Jahn, 56, trägt an diesem Tag ein T-Shirt mit der Aufschrift "I like snakes" - ich mag Schlangen. Sie steht im Verkaufsraum eines von außen unscheinbaren Flachdachbaus an der Oberen Talstraße. Dort betreibt sie seit Anfang des Jahres "Gaby's Terraristik Shop". Das Verhältnis zwischen Mensch und Reptil ist ein merkwürdiges Aus den zahlreichen Terrarien blicken den Besuchern die neugierigen Augen von Kornnattern, Königsgeckos und Bartagamen an. "Manche denken, die schwimmen den ganzen Tag im Becken und schlagen Saltos. So ist es aber nicht." Stattdessen herrscht hinter den Glasscheiben Ruhe. Das Verhältnis zwischen Mensch und Reptil ist ein merkwürdiges. Denn die Tiere sind sich selbst genug. Sie verlangen weder Schmuseeinheiten, noch müssen sie Gassi geführt werden. Sie leben autark, solange der Mensch ihnen die Grundbedürfnisse erfüllt, Futter bereitstellt und eine entsprechende Umgebung schafft. "Es beruhigt mich, da reinzuschauen, sie zu beobachten", erklärt Jahn. Einer der Höhepunkte sei es, dem Nachwuchs beim Schlüpfen zuzusehen: "Ich habe es schon hunderte Mal gesehen, wie ein Ei angeritzt wird und das Köpfchen raus guckt. Ich frage mich dann: Wie hast du da reingepasst? Das ist faszinierend." Im hinteren Teil des Geschäfts ist die Reptilien-Pension untergebracht Im hinteren Teil ihres Geschäfts, etwas abgeschirmt von den neugierigen Augen ihrer Besucher, unterhält Jahn eine Reptilien-Pension. Terrarianer, so nennen sie sich selbst, die verreisen, krank sind oder gerade umziehen, können ihre Tiere für einen vereinbarten Zeitraum in der Pension abgeben: Gaby ist da. Gaby kümmert sich. Doch es gab im Leben von Gaby Jahn Situationen, in denen das Kümmern und ihr stetes Bemühen um die Tiere für sie zur Last wurden. Bevor sie 2013 in Enger ihren ersten Laden übernahm und lange bevor es sie nach Hiddenhausen zog, hatte sie privat bereits Schlangen, Geckos und Spinnen in ihrem Haus. So etwas spricht sich rum: "Irgendwann haben mir Leute Schlangen in Jutebeuteln an die Haustür gehängt. Die wollten sie loswerden und wussten nicht wohin damit." Ein anderes Mal schellten fremde Leute bei ihr an. Sie hatten von den exotischen Tieren gehört, wollten mal einen Blick darauf werfen. Aus diesen Ereignissen hat sie gelernt. Seitdem trennt Gaby Jahn Privates und Geschäftliches. Trotzdem ist sie für ihre Kunden, von denen einige über die Zeit zu Freunden geworden sind, weiterhin jederzeit erreichbar - jeden Tag, zu jeder Uhrzeit - falls mal etwas vorfällt. Die Welt komprimiert auf wenigen Quadratmetern in Hiddenhausen Mittlerweile kann sie sich aufgrund ihrer Tätigkeit keinen Urlaub mehr nehmen. Verreisen sei nicht möglich, denn sie muss die Tiere täglich einmal sehen. Es ist ein Opfer, das sie gerne bringt. Sie würde es nicht einmal so bezeichnen. Sie sei viel gereist, habe viel gesehen. Ein Stück weit ist es nun so, dass die weite Welt sich auf wenigen Quadratmetern in Hiddenhausen komprimiert hat. Es gibt tropische und wüstenähnliche Habitate, Tiere die in Afrika, Südamerika, Ostasien und Australien zu Hause sind. Importiert ist jedoch keines: "Ich arbeite nur mit Nachzuchten von Kunden", erklärt Jahn. Die Terrarianer seien ein Völkchen für sich. "Der Austausch ist wichtig. Da wird viel gequakt." Gequakt wird über Möglichkeiten der Haltung, Futter und natürlich die Tiere selbst. Momentan seien Leopard- und Kronengeckos gefragt, ebenso Bartagamen und Kornnattern, die mal rot, mal schwarz, mal weiß sind. Jedes Zahnrädchen erfüllt seine Aufgabe im Ökosystem In ihren Gesprächen ist es Jahn immer ein Anliegen, Interessenten einen sorgsamen Umgang mit den Reptilien nahezubringen. In den vergangenen Jahren sei der bürokratische Aufwand zunehmend gestiegen. Das Washingtoner Artenschutzabkommen sei so ein Beispiel: "Der himmelblaue Zwergtaggecko hat jetzt die höchste Schutzstufe. Solche Dinge verlagern sich." Man müsse auf dem Laufenden bleiben. Das bedeutet viel Papierkram. Andererseits möchte sie ihre Faszination für die "kreuchenden und fleuchenden" Tiere mit anderen Menschen teilen und ihnen einen Zugang zu diesen uns eher fremden Wesen vermitteln. "Kinder kennen unsere einheimischen Reptilien nicht mehr. Mir ist es wichtig, das Wissen zu vermitteln", erklärt Jahn. Wie andere Tiere hätten auch diese eine Existenzberechtigung und erfüllten eine Funktion im Ökosystem: "Man muss sie nicht lieben, aber sie haben ihre Berechtigung. Denn jedes Zahnrädchen erfüllt eine Aufgabe."

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